Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Weltmeisterin greift auch nach olympischem Gold
Judoka Anna-maria Wagner vom KJC Ravensburg geht als eine der Favoritinnen auf die Matte
- Wenn der Donnerstag in Deutschland gerade erst beginnt, wird Anna-maria Wagner ihren ersten Kampf bei den Olympischen Spielen in Tokio schon hinter sich haben. Für 5.38 Uhr mitteleuropäischer Zeit ist das Achtelfinale der Judoka vom KJC Ravensburg angesetzt. Falls alles glatt läuft, wird es nur der Auftakt für die 25-Jährige zu einem Wettkampftag sein, der mit dem größten aller Titel enden soll. Von großem Druck will die Weltmeisterin und Mitfavoritin aber nichts wissen. „Ich spüre die ganz normale Anspannung und freue mich zu kämpfen“, sagt Wagner.
Seit einer Woche schon ist Annamaria Wagner in Tokio. Den Reisestress hat sie gut verarbeitet, ihre Unterkunft im Olympischen Dorf hat sie bezogen, die Eröffnungsfeier hat sie genossen. „Das war ein bisschen spartanisch und relativ klein gehalten“, erinnert sie sich an die Stunden, in denen sie mit dem gesamten deutschen Team ihr Land auf der ganz großen Bühne repräsentieren durfte. „Für mich war das Highlight die Wartezeit, bis wir ins Stadion durften. Da habe ich mich mit anderen deutschen Athleten ausgetauscht und wir haben vor dem Einlauf gemeinsam die Hymne gesungen“, blickt Wagner zurück. Ins Olympiastadion zu kommen, sei zwar „cool“gewesen, die Zuschauer hätten aber schon gefehlt, weil so keine „krasse Stimmung“aufkommen konnte. Schön sei anschließend gewesen, dass sie durch Nachrichten und Videos auf ihr Handy mitbekommen habe, dass viele am Fernseher zuschauten, als sie ganz und gar Olympionikin wurde.
Apropos Olympionikin – als solche fühlt sich Wagner in diesen Tagen gar nicht. Sie hält das von sich weg, um sich treu zu bleiben. „Ich bin mit der Einstellung gekommen, dass es einfach ein Wettkampf ist, bei dem ich gut abschneiden will. Weil ich das so gut im Griff habe, flasht mich das alles gar nicht so“, sagt Wagner, die mit dieser Herangehensweise vor einigen Wochen bei der Weltmeisterschaft schon sehr gut gefahren ist und den Titel gewann. „Ich bin fokussiert, gut drauf und habe nicht das Gefühl, zu sehr abgelenkt zu werden. Ich kann die vielen Eindrücke um mich herum ganz gut ausblenden.“
Und doch saugt die Ravensburgerin natürlich olympische Momente in sich auf. Sie freut sich zum Beispiel, wenn sie jemandem begegnet, der wie sie die Kleidung trägt, die ihn als Mitglied der deutschen Mannschaft ausweist. „Das ist wie in einer großen Familie“, sagt Wagner. Auch bewege sie sich gerne im Dorf, obwohl das ständige Maskentragen nerve. Das sei sie aber natürlich längst gewohnt.
Bis zum Wettkampftag verbleibe sie im „Energiesparmodus“, um dann auf den Punkt abliefern zu können. Was Wagner vor hat, verdeutlichte sie schon kurz vor dem Abflug nach Japan im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Gold ist ganz klar mein Ziel“, sagte sie damals mit einem Selbstbewusstsein, das durch die jüngsten Erfolge mehr als gerechtfertigt erscheint. Neben dem Wm-titel gewann sie nämlich auch die beiden jüngsten Grand-slam-turniere.
Im Achtelfinale der Klasse bis 78 Kilogramm wartet Wagner in Tokio nach einem Freilos in der ersten Runde auf die Siegerin des Duells zwischen Karen Leon aus Venezuela und Patricia Sampaio aus Portugal. Sollte die Ravensburgerin ihre Leistung abrufen, dürfte der Weg ins Halbfinale kein Problem sein. Dort allerdings würde vermutlich die Weltranglistenzweite Shori Hamada aus Japan warten. Weitere Kandidatinnen für die vorderen Plätze sind die von Wagner im Wm-finale bezwungene Französin Madeleine Malonga, die die Weltrangliste seit geraumer Zeit anführt, und die jüngst mit Wm-bronze dekorierte Niederländerin Guusje Steenhuis.
Bei einem relativ normalen Turnierverlauf dürften diese vier Kämpferinnen die drei Medaillen unter sich ausmachen.
Judoka Dominic Ressel hat die erste Medaille für den Deutschen Judo-bund knapp verpasst. Der 27-Jährige aus Kronshagen verlor im legendären Nippon Budokan in Tokio im kleinen Finale gegen den Österreicher Shamil Borchashvili durch Ippon und verpasste Bronze. Der Weltranglisten-zehnte beendete seine ersten Olympischen Spiele damit auf Rang fünf, Ressel hatte sich zuvor in der Gewichtsklasse bis 81 Kilogramm nach einer unglücklichen Viertelfinalniederlage gegen den Japaner Takanori Nagase über die Hoffnungsrunde in den Bronze-kampf gearbeitet. Nagase krönte sich kurz darauf im Finale zum fünften japanischen Judoolympiasieger dieser Spiele. Er setzte sich gegen den für die Mongolei startenden Saeid Mollaei durch, der nach seiner Flucht aus Iran in Deutschland gelebt und trainiert hatte. (dpa)