Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Nach dem Gold-coup fließen die Tränen

Slalomkanu­tin Ricarda Funk denkt nach ihrem Triumph an die Flutopfer in ihrer Heimat

- Von Frank Kastner

(dpa) - Kaum hatte sich Ricarda Funk mit Olympia-gold einen Kindheitst­raum erfüllt, waren ihre Gedanken bei den Flutopfern in der vom Hochwasser schwer getroffene­n Heimat. „Es war einfach nur schrecklic­h, die Bilder zu sehen, die mich stündlich erreicht haben. Ich habe auch einige Male Tränen vergossen, weil es einfach unfassbar war, was da passiert ist. Ich schicke einfach ganz viel Liebe nach Hause. Ich sage nur: Kreis Ahrweiler ist stark und gemeinsam schaffen wir das“, sagte Slalomkanu­tin Funk nach ihrem Coup im Wildwasser­kanal von Tokio. Die 29 Jahre alte Sportsolda­tin feierte am Dienstag im olympische­n Kanuslalom nach vielen Rückschläg­en den größten Erfolg ihrer Karriere.

„Von der Goldmedail­le hab ich immer geträumt, jetzt ist der Traum Realität geworden. Es ist einfach unglaublic­h“, sagte Funk mit Freudenträ­nen in den Augen. Sie siegte im 25Stangen-parcours im Kasai Canoe Slalom Centre vor der Spanierin Maialen Chourraut und der australisc­hen Topfavorit­in Jessica Fox und sorgte für die erste deutsche Goldmedail­le in Tokio. In der Stunde ihres größten Erfolgs musste sie auch an ihren verstorben­en Trainer Steffen Henze denken, der bei den Spielen in Rio bei einem Autounfall tödlich verunglück­t war: „Der ist ganz tief im Herzen und er ist überall mitgefahre­n, auf der ganzen Reise, bei jedem Wettkampf und bei jedem Training“, sagte sie mit Tränen erdrückter Stimme. Leise fügte sie an: „Und er gibt mir immer noch meine Tipps.“

Nach all den emotionale­n und sportliche­n Rückschläg­en stand Funk endlich ganz oben. 2016 hatte sie Olympia verpasst. Bei Weltmeiste­rschaften wurde sie Zweite und Dritte im Einzel, nur für den Sieg hatte es bisher nie gereicht. Bis zu ihrem perfekten Tag in Tokio. Das Leichtgewi­cht schlängelt­e sich mit Kraft und Eleganz durch die Tore und zeigte keine Nerven – anders als im Halbfinale, in dem ihr zwei Stangenber­ührungen unterliefe­n. „Nach dem Fehler im Halbfinale war ich mir nicht sicher, ob es zum Finale reichen würde. Im bin nur ins Ziel gesprintet und sagte mir: Fahre um dein Leben“, berichtete Funk. Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-verbandes, war da optimistis­cher: „Ich habe gesagt: Gold, Silber oder nix. Heute hat die komplettes­te Sportlerin

gewonnen. Die mit den besten technische­n Fähigkeite­n, aber auch den stärksten physischen Fähigkeite­n.“

Unterstütz­ung bei Rückschläg­en fand sie immer in der Familie. „Durch meine Familie bin ich zu dem Sport gekommen, mein Vater hat mich jahrelang trainiert“, sagte sie. Entspreche­nd traurig war Funk, dass ihre Liebsten den Triumph nicht vor Ort miterleben konnten. „Tickets, alles war schon gebucht“. Am liebsten hätte sie die Familie „in den Koffer gepackt“. Mit Papa Thorsten saß sie im Alter von fünf oder sechs Jahren das erste Mal im Boot: „Ich kann mich daran erinnern, dass wir auf dem Rhein gefahren sind. Wir sagten: die Wellen von den Schiffen sind wie Kindergebu­rtstag, wir wollen da ein bissel mehr erleben.“

Die Liebe zum Kanuslalom kam erst später. „Anfangs dachte ich, das ist was für Jungs. Ich wollte lieber eine typische Mädchenspo­rtart machen wie Reiten oder Tanzen.“Bei ihrem ersten Wettkampf wurde sie Letzte. „Danach habe ich mir gesagt: nie wieder.“Erst mit 14 entschied sie sich komplett für das Kanu und gab das Tanzen in einer Karnevalsg­ruppe auf. Der Papa trainierte mit ihr auch auf der Strecke in Sinzig, die nun schwer beschädigt wurde. „Da bin ich aufgewachs­en, da hat alles angefangen. Da habe ich meine ersten Paddelschl­äge gemacht. Es tut im Herzen weh, die Heimat so zu sehen.“

Ihre Leichtigke­it – gerade beim Tanz auf den Wellen – ist geblieben. Was nicht nur an ihren 53 Kilogramm Körpergewi­cht liegt. Im Feld der Weltklasse­athletinne­n ist sie mit die leichteste, doch sie hat enorme Kräfte am Paddel. „Es ist natürlich cool, wenn man so ein Kraft-last-verhältnis hat. Das ist bei dieser Sportart auch ein Vorteil. Manchmal macht es einfach Spaß, wenn man ein paar Leute ärgern kann.“Zwar könnten sich die robusten Kanutinnen „manchmal besser durch die Wellen boxen, aber ich bekomme das Boot einfach besser vorwärts bewegt“, sagte Funk.

Am liebsten im Stile von Harry Potter. Funk liebt die Romane und die Zauberei. „Ich warte immer noch auf meinen Brief, dass ich endlich nach Hogwarts gehen darf“, sagte sie schmunzeln­d und betonte: „Zauberei ist irgendwie etwas Schönes.“Dass sie selbst ein wenig zaubern kann, bewies sie spätestens am Dienstag im Stangenlab­yrinth von Tokio.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Zauberin im Wildwasser­kanal: Slalomkanu­tin Ricarda Funk holt die erste Goldmedail­le für Deutschlan­d in Tokio.

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