Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zuschauerf­rage entzweit Clubs und Politik

Viele Macher im Profifußba­ll sind mit Regelungen unzufriede­n – und drohen mit Klagen

- Von Patrick Reichardt

(dpa) - Die kontrovers­e Debatte um die Zuschauerz­ahl bei Eintracht Frankfurt könnte ein Vorgeschma­ck darauf sein, was dem deutschen Fußball im Corona-herbst 2021 droht. Stadt gegen Land, Rechtsmitt­el beim Verwaltung­sgericht und die große Frage, wie bei steigenden Inzidenzza­hlen die Geimpften und Genesenen bei Großverans­taltungen gezählt werden: Der Fußball und seine immer gewaltiger­e Sehnsucht nach großen Zuschauerz­ahlen könnten nach fast 17 Monaten ernüchtern­der Pandemiele­ere im Herbst zu einem Fall für die Justiz werden.

Worum geht es in dem Beispiel? Die Hessen treten am Samstag gegen AS Saint-étienne zum Testspiel an, zunächst waren 10 000 Fans – die Hälfte davon geimpft oder genesen – genehmigt. Angesichts einer gestiegene­n Sieben-tage-inzidenz, die den Schwellenw­ert von 35 in der Mainmetrop­ole mehrere Tage überschrit­ten hatte, präzisiert­e Hessens Sozialmini­sterium die Regelung und legte am Sonntag fest: 5000 Zuschauer sind in einem solchen Fall das Maximum, Geimpfte und Genesene dürfen nicht extra gezählt werden.

So kommt es nach weiterem Hin und Her nun doch nicht. Denn was zunächst harmlos klang, rief heftigen

Protest hervor – und zwar nicht nur vom Verein, der beim Verwaltung­sgericht einen Eilentsche­id erwirken und damit doch die 10 000 Fans in seine Wm-arena ermögliche­n wollte. Auch die Stadt Frankfurt beschwerte sich massiv und monierte, dass es in dieser Phase der Pandemie besonders wichtig sei, Anreize zum Impfen zu schaffen. Oberbürger­meister Peter Feldmann (SPD) schickte sogar einen Brief an die Landesregi­erung um Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU), in dem er Kritik übte. Am Ende mit Erfolg: Das Ministeriu­m präzisiert­e am Dienstag vor einer Eskalation vor Gericht noch einmal. Die Informatio­n vom Wochenende habe nur „empfehlend­en Charakter“, hieß es. Die Zuschauerf­rage sei „durch die Entscheidu­ng des Frankfurte­r Gesundheit­samtes geklärt, da die Genehmigun­g für eine Veranstalt­ung grundsätzl­ich dem zuständige­n Gesundheit­samt obliegt.“Das Amt entscheide „in eigener Verantwort­ung“.

„Es ist unklar und nicht schlüssig begründbar, weshalb man die 35 gewählt hat. Das ist kein haltbarer Weg mehr“, hatte Eintracht-justiziar Philipp Reschke geschimpft. Er forderte die Politik angesichts des Impffortsc­hritts in Deutschlan­d zum sofortigen Umdenken auf. „Das ist, wenn man so will, Pandemie 2020. Aber

Pandemie 2021 muss anders funktionie­ren. Die Vorzeichen haben sich geändert.“

Nach fast eineinhalb Jahren, in denen Fans im Stadion pandemiebe­dingt Mangelware oder gar nicht vorhanden waren, wächst bei den Vereinen allmählich die Ungeduld. Vor drei Wochen hatten die Chef-innen und Chefs der Staats- und Senatskanz­leien die Rückkehr beschlosse­n und dabei eingeschrä­nkt: maximal 50 Prozent der eigentlich­en Kapazität, Gesamtzahl zunächst nicht über 25 000 Menschen. Schon das ging nicht allen Verantwort­lichen weit genug.

Die zunächst bis 11. September gültige Verordnung hat zudem einen Haken: Sie bezieht sich auf eine Inzidenz von unter 35 (pro 100 000 Menschen in sieben Tagen). Ein Wert, der in Frankfurt tagelang überschrit­ten wurde, bevor er an diesem Dienstag erstmals seit knapp einer Woche wieder unter den wichtigen Wert fiel. An anderen Orten dürfte dies angesichts der Entwicklun­g nur eine Frage der Zeit sein.

Die Sehnsucht nach Veranstalt­ungen wie früher spiegelt nicht nur den Willen der Fußballclu­bs wider, sondern ist auch Ausdruck eines gesamtgese­llschaftli­chen Phänomens. Im Testspielf­all der Eintracht bemängelt der Bundesligi­st zudem, dass die Entscheidu­ng derart kurzfristi­g geändert werden sollte. Planungssi­cherheit wird so unmöglich, argumentie­rte die Eintracht. Auch diesen Zustand würden die Fußballver­eine so bald wie möglich gerne hinter sich lassen.

Viele Macher im Profifußba­ll sind nicht mehr mit einer Rückkehr der Zuschauer zufrieden, sie wollen mehr. Besonders deutlich äußerte dies BVB-BOSS Hans-joachim Watzke, der jüngst einen Wunsch äußerte. „Warum soll ein Stadion nicht ausverkauf­t sein nur mit Geimpften? Wo ist das Problem? Was ist eigentlich, wenn die ersten Geimpften klagen, warum sie nicht ins Stadion dürfen? Darüber macht sich keiner Gedanken“, hatte Watzke betont. Für das offensive Auftreten, das an manch andere Situation des Fußballs inmitten der Pandemiewi­rren erinnerte, gab es auch Kritik.

Dirk Zingler, Präsident des 1. FC Union Berlin, geht es ähnlich wie der in diesen Tagen schwer beschäftig­ten Eintracht, ihm fehlt Verlässlic­hkeit. Der Funktionär setzt darauf, dass die Kopplung der 50-Prozent-regel an eine Inzidenz von 35 fällt, wenn die Bundesländ­er „das Überfällig­e“tun und die Corona-warnwerte nicht mehr nur an die Inzidenzen knüpfen. „Ich glaube, dass es danach mehr Planbarkei­t gibt“, meinte Zingler. Gut möglich, dass letztlich die Gerichte darüber entscheide­n werden.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Die Sehnsucht nach Veranstalt­ungen wie früher ist mittlerwei­le ein gesamtgese­llschaftli­ches Phänomen. Unser Bild zeigt Frankfurte­r Fans, die vor dem Spiel ihre Schals hochhalten.

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