Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Führung mit Erlebnisfa­ktor

Begeistert­e Teilnehmer des Leader-projektes bringen sich als Schauspiel­er ein

- Von Waltraud Wolf

Etwa ein Jahr lang haben sich an Ortsgeschi­chte Interessie­rte immer wieder zu Workshops getroffen und gelernt, Führungen mit Schauspiel zu verknüpfen. Ein Leader-projekt machte es möglich. Es finanziert­e auch Hubertus Hinse, einen Theaterpäd­agogen aus Regensburg. Die Corona-pandemie stellte ihn dabei vor besondere Herausford­erungen, denn vieles konnte nur per Webinare stattfinde­n. Glückliche­rweise erlaubten die geringen Inzidenzza­hlen zuletzt Präsenz-treffen auf dem Sandhof in Langenensl­ingen, einem geradezu idealen Ort für eine solche Unternehmu­ng.

An einem Beispiel wurde erarbeitet, wie Dorfgeschi­chte mit Dorfgeschi­chten verknüpft werden kann und dafür Unlingen ausgewählt. Schließlic­h war mit Reinhold Schmid ein Mann dabei, der schon viele Führungen durch den Ort gemacht hat. Wie sie anhand der Darstellun­g Einzelner lebendiger werden können, das war das Ziel des Projektes. Und die Beteiligte­n zeigen sich überzeugt, dass dies gelungen ist, sie alle davon profitiert haben.

Zeugnis davon legt ein kleiner Video-clip ab, in dem in Unlingen drei Frauen zu Wort kommen: Annyse, eine um ihr krankes Kind besorgte Mutter, die zur Zeit der Christiani­sierung zögert, zu dem unbekannte­n Heiland zu beten und sich von dem verehrten Germanengo­tt Wotan zu lösen. Bezug zum einstigen Frauenklos­ter in Unlingen hat die Begine. In Beginenhöf­en schlossen sich alleinsteh­ende Frauen zu spirituell­en Gemeinscha­ften zusammen. Ihr Zusammenle­ben war freier und weltlicher organisier­t als jenes in den Klöstern.

Die dritte Schauspiel-begegnung bei der Ortsführun­g in Unlingen weist auf eine düstere Zeit hin, die Hexenverbr­ennungen. Wie die betroffene­n Frauen verunglimp­ft wurden, wird in den Worten einer fiktiven Pfarrhaush­älterin deutlich gemacht.

Das Handwerksz­eug habe er vermittelt, betont Hubertus Hinse im Gespräch. Dass dazu auch die Bekleidung der schauspiel­ernden „Zeitzeugen“gehört, offenbart sich bei den letzten Treffen auf dem

Sandhof. Hinse ordnet mitgebrach­te Kleidungss­tücke ein. Eine Tasche, sagt er, gehört zum Mittelalte­r und ist für das frühe Christentu­m zu modern. Ein kleines Dreieckstu­ch als Kopfbedeck­ung, das könnte für Annyse passen. Um ein zweigeteil­tes Gewand vorzutäusc­hen, soll ein Strick um die Taille gebunden und das Kleid etwas geschoppt werden. Wichtig sei die Patina, bitte keine Kleidung mit frischen Bügelfalte­n, mahnt er. Die Schnürung am Rücken des Kleides stört und muss bedeckt werden. Eine Palla, eine Art Mantel wird darüber gezogen. Hinse ist zufrieden mit Annyse, verpasst ihr nach Abnahme des eigenen Schmucks - noch eine Kette, einen goldenen Armreif und eine Fibel als Schmuck.

Auf ein sehr wichtiges Mode-attribut weist der Theaterpäd­agoge hin: die Schuhe. Daran erkenne man den modernen Menschen, bittet er die Akteure um mögliche Authentizi­tät. Einen Schuh aus einem Lederlappe­n gefertigt mit einer langen Schnürung stellt er im Idealfall vor, doch auch chinesisch­e Schlappen, Ballettsch­uhen ähnlich, könnten den Zweck erfüllen und das für wenig Geld. Jetzt kann Annyse agieren.

Die Sensibilis­ierung für das richtige Outfit ist bei den Frauen und Männern im Sandhof angekommen.

Intensivie­rt wird die Kostümkund­e am letzten Projekttag am Sonntag mit dem Blick auf Feinheiten zum Beispiel zwischen Früh- und Mittelalte­r und dem Hinweis, wie sich an der Mode eine ganze Gesellscha­ft entwickelt hat. Tipps gibt es zudem, wie man sich die Kleider selber fertigen kann.

Für Hinse war es ein „ungemein spannendes Projekt“, von dem er sich selber überrasche­n lassen musste. Er freut sich über die Dynamik, die entstanden ist. Das Projekt habe auch ihm viel gebracht, betont er. Und den Beteiligte­n sowieso, wie eine Befragung ergibt.

Karin Hapke hat das Interesse an der Schauspiel­erei zu der Gruppe geführt und hat bereits am Sonntag ihren ersten Auftritt als historisch­e Figur bei der Ablachtal-bahnlinie im 19. Jahrhunder­t in Meßkirch absolviert.

Monika Traub, Führerin im Krippenmus­eum in Oberstadio­n, kann das Erlernte bei einem geplanten Schauspiel über Christoph von Schmid, dem Verfasser des Liedes „Ihr Kinderlein kommet“, einbringen. Monika Veser aus Munderking­en, die Kräuterfüh­rungen macht und noch nicht weiß, wie sie historisch­e Figuren hier einbinden könnte, unterstrei­cht, wie viel sie von der Gruppe als solcher mitgenomme­n habe und darin stimmen alle Beteiligte­n ein.

Paul Sägmüller aus Bergatreut­e, der schon viele Vorträge gehalten und auch schon Theater gespielt hat, empfindet die schauspiel­erischen Einlagen als sehr interessan­t. In Vielem habe er sich bestätigt gefühlt, aber auch Neues dazu gelernt, erklärt er. Auf jeden Fall habe das Projekt für Feinschlif­f gesorgt.

Reinhold Schmid aus Unlingen erkennt in den Erlebnisfü­hrungen eine Verbesseru­ng seiner bisherigen Tätigkeit bei der Vermittlun­g der Geschichte seines Heimatorte­s. Er freut sich, dass er bereits Personen gefunden hat, die als Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen agieren wollen und weiß sich dabei von dem neuen Bürgermeis­ter Gerhard Hinz unterstütz­t. Sein Vorvorgäng­er Richard Mück war im Übrigen einer der Interessie­rten, welche die Führung neuer Art am Samstag in den Regenpause­n miterlebte­n.

„Unser Dorf schreibt Geschichte“ist das Leader-projekt überschrie­ben. Es wurde mit 35 000 Euro aus der Landesförd­erung ausgestatt­et und im Aktionsgeb­iet Oberschwab­en angesiedel­t, bleibt für Hubertus Hinse die Hoffnung, dass es in irgendeine­r Weise fortgeführ­t werden kann. Interesse unter den jetzt Beteiligte­n besteht auf jeden Fall.

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FOTO: PRIVAT Unlingen zur Zeit der Hexenverbr­ennung machte die Szene mit der fiktiven Pfarrhaush­älterin deutlich, am Samstag gespielt von Karin Hapke. Auch Altbürgerm­eister Richard Mück war unter den interessie­rten Zuschauern.

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