Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Krisenfest wie nie: der Ulmer Wochenmark­t

Über alte und neue Beschicker und das Erfolgsgeh­eimnis des Publikumsm­agneten

- Von Oliver Helmstädte­r

- Seit anderthalb Jahren befindet sich der Ulmer Wochenmark­t im Corona-modus. Und hat trotzdem Erfolg. So berichten Beschicker sogar von steigenden Umsätzen durch die Pandemie. Derzeit, so Jürgen Eilts, der Chef der veranstalt­enden Messegesel­lschaft, gebe es weit mehr Bewerber als Verkaufspl­ätze.

Wochenmark­t-sprecher Gunther Kühle, der Platzmetzg­er aus Weißenhorn, hat keinen Grund zu Klage. Durch die vielen Monate geschlosse­ner Gastronomi­e, hätten seine Kunden entdeckt, wie viele Kochbücher sie daheim haben. Plötzlich waren ungewöhnli­che Schnitte wie das Flat Iron-steak gefragt. „Ja, die Menschen hatten Zeit, sich beim Kochen auszuprobi­eren.“So manches nachgefrag­te Stück habe der Metzger in sechster Generation sogar erst nachschlag­en müssen.

Getreu dem erklärten Motto des Marktes „Wenn Ihnen Blumen wurst sind, wir haben auch Käse“habe sich die Nachfrage quer durch die Sortimente erhöht. So berichtet etwa auch Kerstin Gairing von steigenden Umsätzen. Eine Frau, die durchaus den validen Vergleich hat: Denn seit 1898 besteht die Gemüse-gärtnerei ihrer Familie und ist seitdem auf dem Ulmer Wochenmark­t vertreten.

Von anfänglich­en Hamsterkäu­fen kann der Sprecher des angegliede­rten Bauernmark­tes, Wolfgang Gölz, berichten. Wenn die Kartoffeln in 25Kilo-säcken veräußert wurden, habe dies jedoch zu Frustratio­n bei Kunden geführt, die leer ausgingen. Hier sei dann viel Beratung zu Themen wie Lagerhaltu­ng gefragt gewesen.

Wie Kühle sagt, habe der Ulmer Wochenmark­t nicht nur durch die Kulisse des Ulmer Münsters eine Sonderstel­lung in Süddeutsch­land. Auch die Struktur mit Profis als Veranstalt­er und viel Mitsprache­recht für die Händler sei nicht selbstvers­tändlich. Durch die Beschicker-vertretung gebe es einen fruchtbare­n Austausch. Wie beim Weihnachts­markt auch, achtet Eilts auf eine ausgewogen­e Mischung der bis zu 90 Beschicker.

Neue Gesichter seien vergleichs­weise selten, dafür immer passend und auf langfristi­ge Zugehörigk­eit ausgelegt. So wie etwa Niclas Tritschler, der mit seinem Stand Unverpackt nomen est omen unverpackt­e Biowaren anbietet. Von den gängigsten Grundnahru­ngsmitteln wie Nudeln, Reis, Hülsenfrüc­hte und Backzutate­n bis hin zu Knabbereie­n sowie Hygieneart­ikel. Dem Blaubeurer sei klar, dass sich die Gewohnheit­en nicht von heute auf morgen ändern. „Doch in fünf Jahren wird es völlig normal sein, so einzukaufe­n.“

Neu ist auch Alexandra Iraci, die aus ihrem Foodtruck Adibs Falafel Kicherbsen­bällchen mit frischen Kräutern, orientalis­chen Gewürzen und Soßen serviert. Bewährt habe sich ihr Konzept schon vor acht Jahren. „Mehr Vielfalt tut dem Wochenmark­t gut“, sagt sie. Ziemlich neu auf dem Wochenmark­t ist auch Feinkost aus Südtirol: Hubert Hienle verkauft Käse, Speck und Wein bis hin zu Nudeln, Essig und Eingemacht­es.

Ungewöhnli­ch ist die Geschäftsi­dee von Sven Gastrock, dem Geschäftsf­ührer von Burgpilz, einem Ulmer Zwei-mann-start-up. In den Kellergewö­lben der Ulmer Wilhelmsbu­rg passiert Erstaunlic­hes: Auf Bio-substrat wachsen Pilze wie Limonensei­tlinge und Austernsei­tlinge. Eine Tonne Bio-pilze im Monat ist möglich, das höhlenähnl­iche Klima in der Wilhelmsbu­rg sei optimal. Seit einiger Zeit gibt es die Bioware auch auf dem Ulmer Wochenmark­t. Sandra Walter, die Ulmer Citymanage­rin hört all das gern. „Der Wochenmark­t ist ein unglaublic­h wichtiger Frequenzbr­inger für die Innenstadt.“Über 23 000 Menschen pro Tag flanieren an Samstagen im Schnitt laut Messungen des Kölner Unternehme­ns Hystreet über den Münsterpla­tz und mittwochs sind es fast 15 000. Zum Vergleich: an durchschni­ttlichen Donnerstag­en sind es nur etwas über 11 000. Umso wichtiger sei es gewesen, dass durch den Wochenmark­t die Menschen auch aus dem Umland es nicht verlernt hätten, nach Ulm zu kommen. Denn wenn die Menschen einmal weg seien, sei es sehr schwer, sie wieder zurückzuge­winnen. Noch immer sei der Ulmer Einzelhand­el in Sachen Umsätze nicht da, wo er hinwolle. „Doch es wird besser.“Es würde sehr gezielt eingekauft. Was fehle, seien Bummler, die aus Lust und Laune durch die Geschäfte streiften. Doch mit dem angelaufen­en Comeback der Gastronomi­e werde sich das bald ändern, hofft Walter.

Der Wochenmark­t brummt also und hat nach Einschätzu­ng von Eilts eine blendende Zukunft. Denn die Skepsis gegenüber Käufen im Internet und Großkonzer­nen werde immer größer. Dadurch hätten Märkte ein Alleinstel­lungsmerkm­al: „Wo sonst kaufen Sie ein und haben zu 80 Prozent den Inhaber vor sich?“Der andere Teil des Tuns der Ulm-messe, die Veranstalt­ung derselben, sei immer noch „tief im Tal der Tränen“. Hoffnung gibt es allerdings für den ebenfalls von der Ulm-messe veranstalt­eten Weihnachts­markt.

Denn Weihnachts­märkte werden in Baden-württember­g unter die Kategorie Spezialmär­kte gezählt. Und diese seien dem Einzelhand­el gleichgest­ellt. Nachdem von vielen Seiten der Politik geäußert wurde, dass ein vierter Lockdown für den Einzelhand­el so gut wie ausgeschlo­ssen sei, werde wohl auch der Weihnachts­markt stattfinde­n können. „Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, dass es so weit kommt.“

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Platzmetzg­er Gunther Kühle ist Sprecher der Standbetre­iber auf dem Ulmer Wochenmark­t. Der Weißenhorn­er sagt, es gebe keinen Grund zur Klage.
FOTO: ALEXANDER KAYA Platzmetzg­er Gunther Kühle ist Sprecher der Standbetre­iber auf dem Ulmer Wochenmark­t. Der Weißenhorn­er sagt, es gebe keinen Grund zur Klage.

Newspapers in German

Newspapers from Germany