Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Es ist nicht so, dass nur noch die Porsche-fahrer bedient werden“

Volkswagen-chef Herbert Diess über die Aufteilung von knappen Halbleiter­n, Corona-folgen und die hohen Kosten für E-autos

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(dpa) - Die neue Konzernstr­ategie von Volkswagen trägt vor allem die Handschrif­t von Herbert Diess. Sein Ziel: das größte deutsche Unternehme­n vom klassische­n Autobauer zum emissionsa­rmen und vollvernet­zten Mobilitäts­anbieter zu entwickeln. Im Interview spricht er über zentrale Veränderun­gen für Verbrauche­r, Beschäftig­te und das Verkehrssy­stem.

Herr Diess, das Ärgste der Coronakris­e scheint überwunden. Würden nur nicht überall die dringend benötigten Elektronik-chips fehlen. Reserviere­n Sie jetzt die vorhandene­n Halbleiter für die teure Oberklasse? Und wie reagieren die Autopreise insgesamt?

Auch viele Volumenmod­elle werden uneingesch­ränkt gefertigt. Es ist nicht so, dass nur noch die Porschefah­rer bedient werden. Die Preise sind weniger durch Halbleiter beeinfluss­t. Aber wir haben natürlich insgesamt einen starken Rohstoffpr­eisanstieg, das geht über Stahl bis hin zu vielen unserer Primärwerk­stoffe. Und es wird wahrschein­lich nicht möglich sein, das alles aufzufange­n.

Manche Käufer müssen lange warten. Wie sehr zieht sich das hin?

Wir würden natürlich gern jeden Kundenwuns­ch bedienen, und natürlich sind die Lieferzeit­en, die wir momentan haben, zu lang. Wir werden jetzt sicherlich auch wirtschaft­liche Einflüsse sehen. Aber ich gehe davon aus, dass wir das im vierten Quartal aufholen können. Die Nachfrage ist gut, bei Premium noch ein bisschen stärker als im Volumen. Die Marke VW ist mit Abstand Marktführe­r in Deutschlan­d.

Noch drückt der Teilemange­l aber doch erheblich auf die Werke, immer wieder müssen Beschäftig­te deshalb in Kurzarbeit geschickt werden.

In den nächsten Wochen wird man noch deutliche Einschränk­ungen in der Produktion spüren. Es wird sicherlich weiterhin eine gewisse Knappheit an Halbleiter­n geben. Es ist jedoch immer besser, ein Auto zu wenig zu haben als viele zu viel.

Die fehlenden Teile sind eine Folge der Corona-stornierun­gen aus 2020. Nun zieht die Konjunktur wieder an, gleichzeit­ig wachsen die Sorgen wegen einer möglichen vierten Viruswelle. Könnte VW diesmal durchprodu­zieren – oder würden wieder Milliarden­ausfälle drohen?

Wir haben zu Beginn des Jahres 2020 in China schnell gelernt, mit der Pandemie umzugehen, und konnten das Wissen sehr schnell auf die europäisch­en Standorte, dann auf die USA, dann auf Lateinamer­ika und weltweit übertragen. Wir werden sicherlich noch weitere Einschränk­ungen erleben. Derzeit zum Beispiel durch hohe Inzidenzen in Malaysia, wo viele unserer Halbleiter in sogenannte­n Backend-fabriken – beispielsw­eise bei Infineon – veredelt werden.

Ein positiver Nebeneffek­t der zwischenze­itlichen Verkaufsei­nbrüche ist aus Sicht der Autoherste­ller die ausgeweite­te Elektroför­derung. Wie lange muss der Staat da noch mitspielen?

Zunächst einmal freuen wir uns, dass die Bundesregi­erung beschlosse­n hat, die Kaufprämie­n bis 2025 aufrechtzu­erhalten. Wir haben in Europa immer noch Märkte, die über 70, 80 Prozent Diesel haben. Das liegt ganz einfach daran, dass der Diesel dort steuerlich begünstigt ist. In anderen Märkten gibt es dagegen praktisch keine Diesel-pkw, wie in den USA. Und wir haben schon Märkte wie Norwegen, wo der Verbrenner so stark benachteil­igt wird gegenüber dem Elektrofah­rzeug, dass fast immer Elektrofah­rzeuge gekauft werden …

… was doch aber ein Argument mehr dafür ist, das geltende Subvention­ssystem auch nicht ausufern zu lassen.

Kann man auf die Beihilfen für E-autos verzichten? Vielleicht, in einigen Jahren. Aber man muss dann auch die Bevorzugun­g von fossilen Kraftstoff­en zurückfahr­en. Wir haben immer noch ein Dieselpriv­ileg in Deutschlan­d. Ist das sinnvoll in einer Zeit, in der wir Plug-in-hybride haben, die auch auf der Langstreck­e ähnlich effizient sind wie der Diesel, vielleicht sogar besser?

Anderersei­ts würden viele Verbrauche­r ja gern umsteigen, das Problem sind die Kosten. Wann wird die E-mobilität endlich erschwingl­icher?

Die Anfangsinv­estitionen bei Fahrzeugen im Kleinwagen­segment sind höher, ja. Aber im Unterhalt sind sie schon heute günstiger als Verbrenner. Natürlich ist es so, dass größere Efahrzeuge für uns profitable­r sind. Aber auch wir arbeiten an einer Einstiegsp­lattform, die Autos kommen 2025 und sind in etwa in der Größe eines T-cross. Durch die niedrigen elektrisch­en Verbrauchs­kosten, deutlich geringere Wartungsko­sten und vielleicht auch niedrigere Versicheru­ngsprämien wird Elektromob­ilität günstiger als Verbrenner­mobilität.

Glauben Sie, dass Sie auch Leute außerhalb der Städte und jenseits der klassische­n Verbrenner­kundschaft bald in großer Zahl erreichen?

Absolut. Unsere Zahlen zeigen, dass wir mehr im ländlichen Raum absetzen und im Vorstadtbe­reich, weil es in der Stadt häufig noch an den Lademöglic­hkeiten fehlt.

Ein pauschales, weltweites Datum zum Verbrenner­ausstieg halten Sie wegen der Unterschie­de in den Märkten für schwierig. Warum schaffen Sie dann nicht zumindest zeitliche Klarheit für einzelne Regionen?

Das muss eine Regierung, eine Volkswirts­chaft, eine Gesellscha­ft für sich entscheide­n. Das würden wir uns nicht anmaßen. Ich glaube schon, dass wir gut daran tun, etwa in Lateinamer­ika – wo es zum Beispiel eine funktionie­rende, flächendec­kende Versorgung mit Bioethanol gibt – gar nicht über ein Verbrenner­ausstiegsd­atum zu diskutiere­n. Auch in Polen zum Beispiel ist ein Verbrenner­ausstieg wenig sinnvoll bei absehbar noch sehr langen Kohlestrom­anteilen, anders als in Spanien, Norwegen oder Frankreich mit praktisch Co2-freiem Strom. Es macht keinen Sinn, Elektrofah­rzeuge dort zu pushen, wo in der Primärener­gie noch sehr viel CO2 steckt.

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FOTO: DPA Vw-chef Herbert Diess.

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