Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wird der Verdächtige nie ausgeliefert?
Nach Brandanschlag auf Ulmer Synagoge ist der Mann in die Türkei geflohen
- Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges rechnet nicht damit, dass der Tatverdächtige des Brandanschlags auf die Ulmer Synagoge von der Türkei ausgeliefert wird. Die Türkei lehne die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an einen anderen Staat ausnahmslos ab, heißt es in einer Antwort des Ministeriums auf eine Landtagsanfrage. Für Rabbiner Shneur Trebnik spielt die Frage nach einer möglichen Bestrafung ohnehin nicht die entscheidende Rolle.
Im jüdischen Glauben gehe es bei Strafen nie um Rache, sondern immer nur um eine abschreckende Wirkung. Trebnik sieht eine andere Chance: Die Welle der Solidarität in Ulm und ganz Deutschland sei nach dem Anschlag immens gewesen. Der Ulmer Ortsrabbiner hofft, dass diese Unterstützung mögliche weitere Täter ähnlich abschreckt wie eine drohende Strafe: Weil Judenhasser angesichts der Solidarität sehen, dass sie mit ihren Taten das Gegenteil ihrer Absicht erreichen. Das Leben in der Ulmer jüdischen Gemeinde habe unter dem Anschlag nicht gelitten, berichtet Trebnik: „Wir haben noch mehr Besucher und Aktivitäten.“
Dass die Türkei den Tatverdächtigen nicht ausliefern werde, sei eben so, meint Trebnik. Es stehe ja sogar in der türkischen Verfassung, dass eigene Staatsbürger nicht ausgeliefert werden dürften, weiß der Rabbiner. „Es geht nicht um Hoffnung oder Enttäuschung, wir müssen da realistisch sein.“Die Einschätzung der badenwürttembergischen Justizministerin begrüßt Trebnik. Jede andere Aussage, findet der Rabbiner, wäre unehrlich gewesen.
Am Morgen des 5. Juni hatte ein Mann eine brennbare Flüssigkeit an der Synagoge im Weinhof ausgeschüttet und angezündet. Danach flüchtete er nach Angaben der Polizei in Richtung
Rathaus. Ein Passant rief schnell Feuerwehr und Polizei, es blieb bei einem Sachschaden an dem Gotteshaus. Rund zwei Wochen nach der Tat veröffentlichten die Ermittler ein Foto des mutmaßlichen Täters. Verdächtigt wird ein nicht vorbestrafter 45 Jahre alter Ulmer, der türkischer Staatsbürger ist und einen unbefristeten Aufenthaltstitel in seinem Geburtsland Deutschland hat. Ob gegen den Mann auch ein Abschiebeverfahren eingeleitet werden kann, hängt dem badenwürttembergischen Justizministerium zufolge vom Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens ab.
Nach der Tat setzte sich der mutmaßliche Brandstifter in sein Heimatland ab. Die zuständige Staatsanwaltschaft Stuttgart nannte zunächst keine Details dazu, das Justizministerium ist zumindest etwas offener: Der Tatverdächtige sei am 10. Juni ausgereist, also fünf Tage nach dem Brandanschlag. Zum Motiv ist nichts bekannt.
Das baden-württembergische Justizministerium sieht keine erfolgversprechenden Möglichkeiten zu einer Kooperation mit den türkischen Behörden. Auch das geht aus der Antwort auf die Anfrage hervor, die Nico Weinmann und Julia Goll aus der Fdpfraktion gestellt haben. Die Bundesregierung, so das Ministerium weiter, habe man angesichts der Rechtslage und fehlender Unterstützungsmöglichkeiten nicht über die Flucht des mutmaßlichen Täters informiert. Die Staatsanwaltschaft hat auch noch kein Rechtshilfeersuchen vorbereitet, um bei den Ermittlungen mit den türkischen Behörden zu kooperieren.
Dass es keine Aussicht auf Erfolge gibt, sehen der Ulmer Grünen-landtagsabgeordnete Michael Joukovschwelling und seine Fraktionskollegin Ayla Cataltepe anders. Die beiden bitten Ministerin Gentges, bei den zuständigen Bundesbehörden einzufordern, dass ein internationaler Haftbefehl gegen den Verdächtigen ausgestellt wird. Dieser Strafbefehl werde nicht die Auslieferung bewirken können. Allerdings könne der Verdächtige ergriffen, nach Deutschland überstellt und vor Gericht gestellt werden, wenn er aus der Türkei ausreise. „Dieses wäre nicht nur als Zeichen der Generalprävention wichtig, sondern würde die Entschlossenheit demonstrieren, das jüdische Leben hierzulande wirksam zu beschützen“, begründen die beiden ihren Vorschlag.