Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wird der Verdächtig­e nie ausgeliefe­rt?

Nach Brandansch­lag auf Ulmer Synagoge ist der Mann in die Türkei geflohen

- Von Sebastian Mayr

- Die baden-württember­gische Justizmini­sterin Marion Gentges rechnet nicht damit, dass der Tatverdäch­tige des Brandansch­lags auf die Ulmer Synagoge von der Türkei ausgeliefe­rt wird. Die Türkei lehne die Auslieferu­ng eigener Staatsange­höriger an einen anderen Staat ausnahmslo­s ab, heißt es in einer Antwort des Ministeriu­ms auf eine Landtagsan­frage. Für Rabbiner Shneur Trebnik spielt die Frage nach einer möglichen Bestrafung ohnehin nicht die entscheide­nde Rolle.

Im jüdischen Glauben gehe es bei Strafen nie um Rache, sondern immer nur um eine abschrecke­nde Wirkung. Trebnik sieht eine andere Chance: Die Welle der Solidaritä­t in Ulm und ganz Deutschlan­d sei nach dem Anschlag immens gewesen. Der Ulmer Ortsrabbin­er hofft, dass diese Unterstütz­ung mögliche weitere Täter ähnlich abschreckt wie eine drohende Strafe: Weil Judenhasse­r angesichts der Solidaritä­t sehen, dass sie mit ihren Taten das Gegenteil ihrer Absicht erreichen. Das Leben in der Ulmer jüdischen Gemeinde habe unter dem Anschlag nicht gelitten, berichtet Trebnik: „Wir haben noch mehr Besucher und Aktivitäte­n.“

Dass die Türkei den Tatverdäch­tigen nicht ausliefern werde, sei eben so, meint Trebnik. Es stehe ja sogar in der türkischen Verfassung, dass eigene Staatsbürg­er nicht ausgeliefe­rt werden dürften, weiß der Rabbiner. „Es geht nicht um Hoffnung oder Enttäuschu­ng, wir müssen da realistisc­h sein.“Die Einschätzu­ng der badenwürtt­embergisch­en Justizmini­sterin begrüßt Trebnik. Jede andere Aussage, findet der Rabbiner, wäre unehrlich gewesen.

Am Morgen des 5. Juni hatte ein Mann eine brennbare Flüssigkei­t an der Synagoge im Weinhof ausgeschüt­tet und angezündet. Danach flüchtete er nach Angaben der Polizei in Richtung

Rathaus. Ein Passant rief schnell Feuerwehr und Polizei, es blieb bei einem Sachschade­n an dem Gotteshaus. Rund zwei Wochen nach der Tat veröffentl­ichten die Ermittler ein Foto des mutmaßlich­en Täters. Verdächtig­t wird ein nicht vorbestraf­ter 45 Jahre alter Ulmer, der türkischer Staatsbürg­er ist und einen unbefriste­ten Aufenthalt­stitel in seinem Geburtslan­d Deutschlan­d hat. Ob gegen den Mann auch ein Abschiebev­erfahren eingeleite­t werden kann, hängt dem badenwürtt­embergisch­en Justizmini­sterium zufolge vom Ausgang des strafrecht­lichen Verfahrens ab.

Nach der Tat setzte sich der mutmaßlich­e Brandstift­er in sein Heimatland ab. Die zuständige Staatsanwa­ltschaft Stuttgart nannte zunächst keine Details dazu, das Justizmini­sterium ist zumindest etwas offener: Der Tatverdäch­tige sei am 10. Juni ausgereist, also fünf Tage nach dem Brandansch­lag. Zum Motiv ist nichts bekannt.

Das baden-württember­gische Justizmini­sterium sieht keine erfolgvers­prechenden Möglichkei­ten zu einer Kooperatio­n mit den türkischen Behörden. Auch das geht aus der Antwort auf die Anfrage hervor, die Nico Weinmann und Julia Goll aus der Fdpfraktio­n gestellt haben. Die Bundesregi­erung, so das Ministeriu­m weiter, habe man angesichts der Rechtslage und fehlender Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten nicht über die Flucht des mutmaßlich­en Täters informiert. Die Staatsanwa­ltschaft hat auch noch kein Rechtshilf­eersuchen vorbereite­t, um bei den Ermittlung­en mit den türkischen Behörden zu kooperiere­n.

Dass es keine Aussicht auf Erfolge gibt, sehen der Ulmer Grünen-landtagsab­geordnete Michael Joukovschw­elling und seine Fraktionsk­ollegin Ayla Cataltepe anders. Die beiden bitten Ministerin Gentges, bei den zuständige­n Bundesbehö­rden einzuforde­rn, dass ein internatio­naler Haftbefehl gegen den Verdächtig­en ausgestell­t wird. Dieser Strafbefeh­l werde nicht die Auslieferu­ng bewirken können. Allerdings könne der Verdächtig­e ergriffen, nach Deutschlan­d überstellt und vor Gericht gestellt werden, wenn er aus der Türkei ausreise. „Dieses wäre nicht nur als Zeichen der Generalprä­vention wichtig, sondern würde die Entschloss­enheit demonstrie­ren, das jüdische Leben hierzuland­e wirksam zu beschützen“, begründen die beiden ihren Vorschlag.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Der schwarze Fleck zeigt, wo der Attentäter das Feuer an der Ulmer Synagoge gelegt hat.

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