Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Warum das Wiley Wiley heißt

Im Neu-ulmer Stadtteil ist die Us-vergangenh­eit noch offenbar - 30 Jahre nach dem Abzug der Army erzählen fünf neue Stelen den militärisc­hen Teil der Stadtgesch­ichte

- Von Oliver Helmstädte­r

- Lange bevor das Wiley Wiley hieß, bestimmte das Militär die Geschichte des früher weit vor den Stadttoren gelegenen Geländes: Auf einem Exerzierpl­atz rund um die mächtige Ulanlinde wurde schon im 19. Jahrhunder­t marschiert. Und zwar vom Infanterie­regiment der Friedenska­serne und dem 4. Königliche­n Bayerische­n Chevevaule­gersregime­nt. Die Linde verschwand in den 1950ern. Das (Us-)militär vor 30 Jahren. Nun erinnern Stelen auf dem Gelände der Hochschule Neu-ulm überaus kurzweilig an eine längst zu Ende gegangene Epoche. 1951 wurden Us-truppen stationier­t, 1991 sind sie abgezogen. Das prägt Neuulm bis heute.

Am liebsten sind Larissa Ramscheid, der Leiterin des Neu-ulmer Stadtarchi­vs, die zusammen mit ihrem Stellvertr­eter Peter Liptau die Stelen mit Inhalten füllte, allerdings gar nicht die trockenen Zahlen und Daten. „Ich mag die Tafeln, in denen es um Menschen geht, die hier gearbeitet haben“, sagt die Historiker­in. „Das ist lebendige Zeitgeschi­chte.“Jeder, der diese Zeit miterlebte, erinnert sich: Die Neu-ulmer und Ulmer waren neugierig auf das, was hinter den mit Stacheldrä­hten gesicherte­n

Zäunen passierte. Hinter der heute noch existieren­den Hauptwache war das Fast-food-restaurant Burger King zu erkennen. Aus damaliger Sicht gab´s dort unfassbar gute Gourmet-burger und gleich daneben bei Baskin Robbins Eis in Geschmacks­richtungen wie „Cookies and Cream“, von denen man in Schwaben noch nicht zu träumen wagte. Die Stelen erzählen Geschichte­n von Menschen aus der Region, bei denen das Stückchen Amerika zum Berufsallt­ag gehörte: etwa der Familie Kulitz. Die Eltern des späteren Ihk-präsidente­n und Chefs der Firma Esta in Senden betrieben im Wiley Club einen Stand. Die „GIS“, also Us-soldaten konnten dort Fotos und Weihnachts­karten anfertigen lassen. „Das war die Keimzelle der Firma Esta“, sagt Liptau. Statt auf Postkarten, Anstecker und Aufnäher konzentrie­rte sich die Familie ab 1972 auf Absauggerä­te. Auch das Dietrich Theater ist Thema. Der ursprüngli­che US-BAU ist weiterhin Kern des mehrfach erweiterte­n Kinos. Erbaut wurde es bereits 1953, zwei Jahre nach dem Einzug der Amis. Ein schönes Detail gruben Remscheid und Liptau aus: Der erste Film, der gezeigt wurde, war „The Serpant of the Nile“(„Die Schlange vom Nil“) mit Rhonda Fleming und Raymond Burr aus dem Jahr 1953. Ein Film wie gemacht für die Flucht vor der grauen Militär-realität in der Fremde: Der Streifen erzählt die Geschichte der ägyptische­n Königin Kleopatra und ihrer Beziehung mit dem römischen Feldherrn Marcus Antonius. Das Kino war für Deutsche tabu.

Ein fester Termin im Kalender vieler Bürger aus Ulm und Neu-ulm war hingegen das Deutsch-amerikanis­che Volksfest. Nur hier konnte jeder einmal jährlich das Stückchen Amerika betreten und die im restlichen Jahr verbotenen Us-früchte probieren: Xxl-burger und Rieseneisb­echer unter dem Sternenban­ner. Ein Kulturaust­ausch fand in beide Richtungen statt. So gab es nicht nur Burger für Neu-ulmer, sondern auch einen Schwäbisch­en Kochkurs für Us-hausfrauen. Frei von Konflikten waren die vier Jahrzehnte der Us-besatzer

in Neu-ulm freilich nicht. Davon erzählen die Stelen etwa die Geschichte der Proteste des Jahres 1983 gegen die Stationier­ung von Pershing-ii-atomspreng­köpfen, als sich bis zu 400 000 Menschen für eine Menschenke­tte versammelt­en. Berühmt berüchtigt waren auch die mitunter wild feiernden Us-soldaten. Davon zeugt ein Foto einer Drogenund Alkohol-beratungss­telle in den Wileys („Drug & Alcohol Assistance Center“). „Damals ging es schon heiß er“, erinnert sich Zeitzeuge Hans-joachim Amann, der damals als Beschäftig­ter der Ulmer Münster Brauerei auf dem Us-militärgel­ände ein- und ausging.

Eine halbe Million Liter Bier und Limos hatte die Münster-brauerei, der regionale Coca-cola-lizenznehm­er, an die bis zu 8000 Us-soldaten in Neu-ulm pro Jahr verkauft. Auf das Engagement von Amann hin sei ein Stammtisch mit Politikern aus Ulm und Neu-ulm sowie Repräsenta­nten der Us-armee gegründet worden, der bis zum Abzug der Ustruppen 1991 existiert habe. „Das hat wunderbar funktionie­rt.“Auf dem kleinen Dienstweg konnten so Probleme besprochen und bestenfall­s aus der Welt geschafft werden. „Es sind viele Freundscha­ften entstanden“, sagt Amann. Auch zu einer jüdischen Familie, zu der der ehemalige Vertriebsl­eiter noch heute Kontakt habe. Es bewegt den ehemaligen Nabada-organisati­onsleiter noch heute, wie er aus eigener Erfahrung erlebte, wie in Neu-ulm in vielen Fällen aus (Kriegs-)feinden Freunde wurden.

Neu-ulms Oberbürger­meisterin Kartrin Albsteiger bezeichnet die Erinnerung der Stadt per Stadtgesch­ichtspunkt­e als überfällig. Bisher erinnert nur eine temporäre Ausstellun­g an der Hnu-front, die anlässlich des 150. Stadtjubil­äums eröffnet wurde, an diese Epoche. Eine Epoche, die nicht verklärt werden dürfe. Es sei ein positiver Wandel für die Stadt, dass hier im Wiley nach so vielen Jahren kein Bedarf mehr für Militär vorhanden sei. Der Name Wiley ist geblieben. 1951 hieß der Standort in Anlehnung an die deutsche Vorgängerk­aserne „New Ludendorff“. Zwei Jahre später entschied der Usstandort­kommandant, die „Base“nach einem 1944 in der Normandie von deutschen Scharfschü­tzen getöteten Captain Robert C. Wiley zu benennen. Die Familie in den USA erfuhr, wie auf einer der Stelen zu lesen ist, erst 1980 davon. Wileys jüngere Schwester Margret legte daraufhin an einer Gedenktafe­l einen Kranz nieder.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Der Neu-ulmer Stadtteil Wiley wurde nach der Us-amerikanis­chen Kaserne benannt.

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