Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Warum das Wiley Wiley heißt
Im Neu-ulmer Stadtteil ist die Us-vergangenheit noch offenbar - 30 Jahre nach dem Abzug der Army erzählen fünf neue Stelen den militärischen Teil der Stadtgeschichte
- Lange bevor das Wiley Wiley hieß, bestimmte das Militär die Geschichte des früher weit vor den Stadttoren gelegenen Geländes: Auf einem Exerzierplatz rund um die mächtige Ulanlinde wurde schon im 19. Jahrhundert marschiert. Und zwar vom Infanterieregiment der Friedenskaserne und dem 4. Königlichen Bayerischen Chevevaulegersregiment. Die Linde verschwand in den 1950ern. Das (Us-)militär vor 30 Jahren. Nun erinnern Stelen auf dem Gelände der Hochschule Neu-ulm überaus kurzweilig an eine längst zu Ende gegangene Epoche. 1951 wurden Us-truppen stationiert, 1991 sind sie abgezogen. Das prägt Neuulm bis heute.
Am liebsten sind Larissa Ramscheid, der Leiterin des Neu-ulmer Stadtarchivs, die zusammen mit ihrem Stellvertreter Peter Liptau die Stelen mit Inhalten füllte, allerdings gar nicht die trockenen Zahlen und Daten. „Ich mag die Tafeln, in denen es um Menschen geht, die hier gearbeitet haben“, sagt die Historikerin. „Das ist lebendige Zeitgeschichte.“Jeder, der diese Zeit miterlebte, erinnert sich: Die Neu-ulmer und Ulmer waren neugierig auf das, was hinter den mit Stacheldrähten gesicherten
Zäunen passierte. Hinter der heute noch existierenden Hauptwache war das Fast-food-restaurant Burger King zu erkennen. Aus damaliger Sicht gab´s dort unfassbar gute Gourmet-burger und gleich daneben bei Baskin Robbins Eis in Geschmacksrichtungen wie „Cookies and Cream“, von denen man in Schwaben noch nicht zu träumen wagte. Die Stelen erzählen Geschichten von Menschen aus der Region, bei denen das Stückchen Amerika zum Berufsalltag gehörte: etwa der Familie Kulitz. Die Eltern des späteren Ihk-präsidenten und Chefs der Firma Esta in Senden betrieben im Wiley Club einen Stand. Die „GIS“, also Us-soldaten konnten dort Fotos und Weihnachtskarten anfertigen lassen. „Das war die Keimzelle der Firma Esta“, sagt Liptau. Statt auf Postkarten, Anstecker und Aufnäher konzentrierte sich die Familie ab 1972 auf Absauggeräte. Auch das Dietrich Theater ist Thema. Der ursprüngliche US-BAU ist weiterhin Kern des mehrfach erweiterten Kinos. Erbaut wurde es bereits 1953, zwei Jahre nach dem Einzug der Amis. Ein schönes Detail gruben Remscheid und Liptau aus: Der erste Film, der gezeigt wurde, war „The Serpant of the Nile“(„Die Schlange vom Nil“) mit Rhonda Fleming und Raymond Burr aus dem Jahr 1953. Ein Film wie gemacht für die Flucht vor der grauen Militär-realität in der Fremde: Der Streifen erzählt die Geschichte der ägyptischen Königin Kleopatra und ihrer Beziehung mit dem römischen Feldherrn Marcus Antonius. Das Kino war für Deutsche tabu.
Ein fester Termin im Kalender vieler Bürger aus Ulm und Neu-ulm war hingegen das Deutsch-amerikanische Volksfest. Nur hier konnte jeder einmal jährlich das Stückchen Amerika betreten und die im restlichen Jahr verbotenen Us-früchte probieren: Xxl-burger und Rieseneisbecher unter dem Sternenbanner. Ein Kulturaustausch fand in beide Richtungen statt. So gab es nicht nur Burger für Neu-ulmer, sondern auch einen Schwäbischen Kochkurs für Us-hausfrauen. Frei von Konflikten waren die vier Jahrzehnte der Us-besatzer
in Neu-ulm freilich nicht. Davon erzählen die Stelen etwa die Geschichte der Proteste des Jahres 1983 gegen die Stationierung von Pershing-ii-atomsprengköpfen, als sich bis zu 400 000 Menschen für eine Menschenkette versammelten. Berühmt berüchtigt waren auch die mitunter wild feiernden Us-soldaten. Davon zeugt ein Foto einer Drogenund Alkohol-beratungsstelle in den Wileys („Drug & Alcohol Assistance Center“). „Damals ging es schon heiß er“, erinnert sich Zeitzeuge Hans-joachim Amann, der damals als Beschäftigter der Ulmer Münster Brauerei auf dem Us-militärgelände ein- und ausging.
Eine halbe Million Liter Bier und Limos hatte die Münster-brauerei, der regionale Coca-cola-lizenznehmer, an die bis zu 8000 Us-soldaten in Neu-ulm pro Jahr verkauft. Auf das Engagement von Amann hin sei ein Stammtisch mit Politikern aus Ulm und Neu-ulm sowie Repräsentanten der Us-armee gegründet worden, der bis zum Abzug der Ustruppen 1991 existiert habe. „Das hat wunderbar funktioniert.“Auf dem kleinen Dienstweg konnten so Probleme besprochen und bestenfalls aus der Welt geschafft werden. „Es sind viele Freundschaften entstanden“, sagt Amann. Auch zu einer jüdischen Familie, zu der der ehemalige Vertriebsleiter noch heute Kontakt habe. Es bewegt den ehemaligen Nabada-organisationsleiter noch heute, wie er aus eigener Erfahrung erlebte, wie in Neu-ulm in vielen Fällen aus (Kriegs-)feinden Freunde wurden.
Neu-ulms Oberbürgermeisterin Kartrin Albsteiger bezeichnet die Erinnerung der Stadt per Stadtgeschichtspunkte als überfällig. Bisher erinnert nur eine temporäre Ausstellung an der Hnu-front, die anlässlich des 150. Stadtjubiläums eröffnet wurde, an diese Epoche. Eine Epoche, die nicht verklärt werden dürfe. Es sei ein positiver Wandel für die Stadt, dass hier im Wiley nach so vielen Jahren kein Bedarf mehr für Militär vorhanden sei. Der Name Wiley ist geblieben. 1951 hieß der Standort in Anlehnung an die deutsche Vorgängerkaserne „New Ludendorff“. Zwei Jahre später entschied der Usstandortkommandant, die „Base“nach einem 1944 in der Normandie von deutschen Scharfschützen getöteten Captain Robert C. Wiley zu benennen. Die Familie in den USA erfuhr, wie auf einer der Stelen zu lesen ist, erst 1980 davon. Wileys jüngere Schwester Margret legte daraufhin an einer Gedenktafel einen Kranz nieder.