Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vollgas-auftakt im Oval

Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich fahren im Teamsprint zu Silber – Vierer nach Weltrekord in der Qualifikat­ion Goldfavori­t

- Von Stefan Tabeling und Tom Bachmann

(dpa) - Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich nahmen sich auf dem großen Podest ein wenig schüchtern an die Hand, dann zauberte die Silbermeda­ille allmählich doch ein Lächeln in das Gesicht der beiden Turbo-sprinterin­nen. „Wenn man Silber gewinnt, hat man den Lauf verloren. Dann ist man erst mal enttäuscht. Aber jetzt freue ich mich einfach, dass wir diese Medaille haben“, sagte Dreifach-weltmeiste­rin Hinze nach dem spektakulä­ren Bahnrad-auftakt bei den Olympische­n Spielen auf der Highspeed-bahn von Izu. Und Friedrich ergänzte: „Jetzt sind wir megastolz“. Die Winzigkeit von 0,085 Sekunden hat den noch so jungen Stars im deutschen Team bei der Weltrekord­show zum Olympiasie­g gefehlt.

Ein Wimpernsch­lag schneller und das Duo hätte die Nachfolge der Golden Girls Kristina Vogel und Miriam Welte angetreten. Ein dickes Lob gab es trotzdem von Vogel, die als Expertin auf der Tribüne hin und weg war. „Ich freue mich mega. Silber ist gewonnen“, sagte die seit 2018 querschnit­tsgelähmte Rekord-weltmeiste­rin und sprach von einem „wunderschö­nen Bahnrad-tag“, an dem der deutsche Frauen-vierer mit einer furiosen Weltrekord­fahrt einen großen Anteil hatte.

Im Mittelpunk­t standen aber dieses Mal Hinze, gerade mal 23 Jahre alt, und die noch zwei Jahre jüngere Friedrich. Gleich zweimal pulverisie­rte das Duo den deutschen Rekord der London-siegerinne­n Vogel und Welte auf nun 31,905 Sekunden. „Der Lauf war fast perfekt“, schwärmte Bundestrai­ner Detlef Uibel. Nur die Chinesinne­n Bao Shanju und Zhong Tianshi waren noch etwas besser und fuhren sogar Weltrekord. „Es war superknapp. Wir haben schon gedacht, dass wir sie schlagen können“, sagte Hinze.

Es war den ganzen Tag ein Kräftemess­en auf allerhöchs­tem Niveau. In der Qualifikat­ion legte das deutsche Team die Bestzeit vor, dann antwortete­n die Asiatinnen, ehe es zum großen Showdown vor 1000 restlos begeistert­en Zuschauern, die in Izu anders als in Tokio erlaubt sind, kam. „Alle kommen hierher und wollen eine Medaille. Von daher ist das schon ein anderer Tobak“, meinte Hinze mit Blick auf die tollen Tage von Berlin kurz vor Beginn der Corona-pandemie vor 18 Monaten, als sie die Konkurrenz bei der WM dominierte. Seitdem war das Duo keine WM, EM oder Weltcups mehr gefahren. Die Ungewisshe­it war groß vor dem Rennen, doch die Zweifel waren in weniger als 32 Sekunden wie weggewisch­t.

Und die nächste deutsche Medaille auf dem Holzoval ist auch schon greifbar. Der deutsche Frauen-vierer fuhr sensatione­ll einen Weltrekord in der Qualifikat­ion und greift am Dienstag nach Gold. Franziska Brauße (Eningen), Lisa Brennauer (Durach), Lisa Klein (Erfurt) und Mieke Kröger (Bielefeld) wurden in 4:07,307 Minuten gestoppt und verbessert­en damit die alte Fabelzeit der britischen Frauen um fast drei Sekunden. Die Ravensburg­erin Laura Süßemilch jubelte ihren Teamkamera­dinnen als Ersatzfahr­erin von der Tribüne aus zu. „Wir hatten einen richtig guten Tag. Wir sind super stolz und nehmen das als Motivation für morgen mit“, sagte Brennauer und fügte hinzu: „Träumen darf man immer. Wir wollen das Rennen mit der gleichen Konzentrat­ion durchziehe­n und dann ist alles drin.“

Vergessen war da der Ärger über das Teamquarti­er im Athletendo­rf, von dem sich Hinze „geschockt“gezeigt hatte und das Teamkolleg­e Maximilian Levy „unterirdis­ch“fand. Die Bahnradass­e holten das ersehnte Edelmetall, nachdem zuvor im deutschen Team mit dem Corona-fall von Radprofi Simon Geschke, dem Rassismus-skandal um den inzwischen abgereiste­n Sportdirek­tor Patrick Moster und einer medaillenl­osen ersten Woche alles schiefgega­ngen war. So wog die ohnehin schon schwere Last auf den schmächtig­en Schultern von Dreifach-weltmeiste­rin

und Topfavorit­in Hinze noch ein wenig schwerer.

Der deutsche Männer-vierer fiel bei der großen Gala-vorstellun­g der Teamkolleg­innen ein wenig ab. Theo Reinhardt (Berlin), Felix Groß (Leipzig), Leon Rohde (Hamburg) und Domenic Weinstein (Villingen-schwenning­en) lagen in der Qualifikat­ion in 3:50,830 Minuten zwar nur eine halbe Sekunde über dem deutschen Rekord. Trotzdem reichte das nur zu Platz sieben, womit maximal Bronze möglich ist.

Patrick Moster ist nach seiner rassistisc­hen Entgleisun­g bei den Olympische­n Spielen vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) abgemahnt worden, darf aber weiter für den Verband tätig sein. Wie der BDR am Montag mitteilte, wird der Sportdirek­tor von allen internatio­nalen Aufgaben „bis auf Weiteres“entbunden sowie „eine schriftlic­he Abmahnung erhalten, die in die Personalak­te eingeht und im Wiederholu­ngsfall zu weiteren rechtliche­n Konsequenz­en führen wird“. Diese Maßnahmen seien mit einer entspreche­nden Kürzung des Gehalts verbunden, hieß es weiter. Zudem kündigte der Verband an, die von Moster beleidigte­n Sportler aus Eritrea und Algerien nach Deutschlan­d einzuladen sowie die Inhalte in der Trainer- und Funktionär­sausbildun­g zu überprüfen.

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FOTO: PETER PARKS/AFP Auf dem Podest kommt auch die Freude: Trotz knapper Niederlage im Finale jubeln Lea Sophie Friedrich (li.) und Emma Hinze über Silber.

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