Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Offener Brief an die Kultusmini­sterin

Eltern von Gymnasiast­en aus Südwürttem­berg fordern kleine Klassen und Geld für Förderung

- Von Kara Ballarin

- Die Sommerferi­en haben begonnen, der Kampf um gute Schulbildu­ng geht indes weiter. Mit einem offenen Brief an Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) sind am Dienstag die Eltern von Gymnasiast­en im Regierungs­bezirk Tübingen laut geworden. Sie befürchten, dass ihre Kinder beim Ausgleich von Lernrückst­änden im nächsten Schuljahr zu kurz kommen. Und sie wehren sich dagegen, dass Klassen zusammenge­legt werden.

„Äußerst besorgt“äußert sich die Arbeitsgem­einschaft gymnasiale­r Eltern (Arge) in Südwürttem­berg in dem Brief darüber, dass die geplanten Förderprog­ramme des Ministeriu­ms tatsächlic­h Lernlücken bei Schülern schließen. Das erste Programm namens „Bridge the Gap“, das vor den Sommerferi­en lief, sei am ländlichen Raum vorbeigega­ngen. Die sogenannte­n Lernbrücke­n, die für die beiden letzten Ferienwoch­en geplant sind, unterstütz­ten nur wenig. Und das auf zwei Jahre angelegte Förderprog­ramm „Rückenwind“, das der Bund mit Geld unterfütte­rt, starte wohl nicht vor November.

Tatsächlic­h sei „Bridge the Gap“wie geplant vor allem an Schulen rund um Hochschuls­tandorte gelaufen, erklärt ein Sprecher von Ministerin Schopper. Der Fahrplan zu „Lernen mit Rückenwind“sehe vor, dass die Förderung nach den Herbstferi­en beginnt. Bis dahin sollen Defizite der Schüler erhoben und Hilfskräft­e gefunden sein.

Von dem Bundesgeld setze Baden-württember­g 100 Millionen Euro für den Abbau schulische­r Lernrückst­ände ein, heißt es in dem Schreiben. Der Arge-vorsitzend­e Stephan Ertle aus Leutkirch befürchtet, dass dies nicht gerecht geschehe. Er und seine Stellvertr­eterin Regine Schaub sind die Autoren des Briefs. „Die Bundesmitt­el müssen entspreche­nd pro Kopf/schüler gleicherma­ßen allen Schulen anteilig zur Verfügung gestellt werden“, heißt es darin. „Eine Zweckentfr­emdung der Mittel bei der Verteilung, z. B. durch Bevorzugun­g einzelner Schularten und/ oder Schulstand­orte, ist inakzeptab­el und wird von den Eltern abgelehnt.“Dabei gehe es ihm nicht nur um Gymnasiast­en, sondern um alle Schüler an jeglicher Schulart, betont er im Gespräch. Schließlic­h seien für alle Schüler wegen der Corona-pandemie etwa 600 Stunden Präsenzunt­erricht ausgefalle­n.

Es seien nicht 100, sondern 130 Millionen Euro an Bundesgeld, die das Land verdoppele, betont Schoppers

Sprecher. Wie das Geld verteilt werde, sei noch in Diskussion. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“werden im Ministeriu­m aktuell unterschie­dliche Modelle diskutiert. Das Geld könnte sozialinde­xbasiert zugewiesen werden, was soviel heißt wie: Schulen mit besonders benachteil­igter Schülersch­aft bekommen mehr. Eine solche Steuerung hat sich die grün-schwarze Landesregi­erung laut Koalitions­vertrag grundsätzl­ich vorgenomme­n und möchte dies zunächst an Grundschul­en erproben. „Ich weiß, dass Brennpunkt­schulen mehr Ressourcen gebrauchen können“, sagt dazu der Arge-vorsitzend­e Ertle. „Aber das ist kein Corona-thema. Jetzt Gelder zu nehmen, die zweckgebun­den für Ausfälle an allen Schulen gedacht sind, das ist ein Griff in fremde Hosentasch­en.“

Die gleichmäßi­ge Verteilung des Geldes wird im Ministeriu­m offenbar ebenso diskutiert wie eine Abstufung hiervon: Jede Schule bekommt einen Basisbetra­g, die zuständige Schulverwa­ltung ein zusätzlich­es Budget, das sie auf die Schulen mit besonderem Bedarf verteilen kann.

In ihrem Brief prangert die Arge Tübingen zudem an, dass die Schulverwa­ltung

gerade in diesen Zeiten strikt auf Einhaltung des Klassentei­lers pocht. Dieser gibt vor, wie viele Schüler maximal in einer Klasse sein dürfen. Für Grund- und Gemeinscha­ftsschulen liegt er bei 28, bei allen anderen bei 30 Schülern. „Schulen werden gezwungen, kleinere Klassenver­bände aufzulösen und zu Klassen mit 30 Schülern und mehr zusammenzu­legen.“Das lasse keine individuel­le Förderung zu und sei kontraprod­uktiv. Gerade in Pandemieze­iten sei es nicht nachvollzi­ehbar, die Schulräume noch voller zu machen, betont Ertle.

Die Vize-vorsitzend­e der Arge Tübingen, Regine Schaub, spricht von einer neuen Qualität dieser Order. „Bisher konnten die Schulen beim Regierungs­präsidium kleinere Klassen genehmigen lassen, wenn die Stunden-/lehrervers­orgung es zuließ. Das und zusätzlich­e Lehrerstel­len wurden aber für das neue Schuljahr nicht mehr genehmigt. Dies lässt den Schulen immer weniger Planungssp­ielraum“, erklärt sie. Nach all der Unruhe im Schulbetri­eb aufgrund der Pandemie frustriere das die Schüler und erschwere den Lehrern, individuel­l auf die Kinder einzugehen.

„Das ist keine neue Gangart“, betont indes ein Sprecher von Ministerin Schopper, „sondern wurde auch bereits in den vergangene­n Jahren aufgrund des bestehende­n Lehrkräfte­mangels so gehandhabt.“Wo der Lehrkräfte­mangel bereits massiv ist und weitere Lehrkräfte auszufalle­n drohen – etwa wegen Schwangers­chaft oder Krankheit –, soll eher der Klassentei­ler überschrit­ten als kleinere Klassen gebildet werden, die im Laufe des Jahres zusammenge­legt werden müssten. Klar sei: „Bei der Lehrereins­tellung gibt es keine Sparmaßnah­men.“Um Präsenzunt­erricht trotz Corona sicherzust­ellen, verweist der Sprecher auf Maßnahmen wie Maskenpfli­cht in den beiden Wochen nach Ferienende sowie Geld für Luftfilter­anlagen und Co2ampeln.

Einen anderen Teil der Millionen vom Bund verantwort­et das Sozialmini­sterium von Manfred Lucha (Grüne). Dabei geht es darum, Schüler auch psychosozi­al aufzufange­n. Dafür stehe dem Ministeriu­m laut einem Sprecher dieses und nächstes Jahr knapp 36 Millionen Euro zur Verfügung. Die Hälfte des Geldes ist allein für zusätzlich­e Stellen in der Schulsozia­larbeit eingeplant, weitere Mittel sollen auch in Jugend- und Familienan­gebote außerhalb der Schule fließen. Wie genau das Geld verteilt werde, sei noch in Arbeit.

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Noch ist laut Kultusmini­sterium nicht entschiede­n, wie Geld für individuel­le Förderung auf die Schulen verteilt werden soll.

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