Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Corona, Flut und Plagiate

Wie die Parteien den Wahlkampf bestreiten und wer bislang profitiert

- Von Andrè Bochow, Guido Bohsem, Dominik Guggemos und Dorothee Torebko

- Vor längerer Zeit hat CDUCHEF Armin Laschet einer kleinen Runde seine Erkenntnis­se in Sachen Wahlkampf offenbart. Die Wahl im Bund gleiche sich den Wahlen in den Ländern immer mehr an, so die These. Wirklich entschiede­n werde der Wettlauf ums Kanzleramt in den letzten vierzehn Tagen. Falls das stimmt, wäre noch völlig offen, wer im September ins Kanzleramt zieht – und tatsächlic­h, die jüngsten Umfragen machen bis zu vier Konstellat­ionen möglich, in denen drei (mit der CSU sogar vier) Parteien die nächste Regierung bilden könnten. Sogar die Grünen-spitzenkan­didatin Annalena Baerbock und Spd-finanzmini­ster Olaf Scholz können sich demnach noch (oder wieder) Hoffnungen machen. Zeit für einen (nicht ganz ernst gemeinten) Zwischenst­and.

Die Union

Laschet wollte eigentlich in Urlaub, weil: siehe oben – und dann bricht eine Flutkatast­rophe über sein Bundesland herein. Das Problem: Wenn er jetzt Wahlkampf macht, würde es heißen, er profiliere sich auf Kosten der Hochwasser­opfer. Wenn er aber einen Gang runterfähr­t und beispielsw­eise an diesem Dienstag gemeinsam mit Spd-finanzmini­ster Olaf Scholz zerstörte Dörfer und Städte in Nordrhein-westfalen besucht, fühlt sich das gleich an wie die nächste Auflage der Groko.

Wurde der Wahlkämpfe­rin Merkel in der Vergangenh­eit öfter mal vorgeworfe­n, sie unternehme alles, damit ihre Gegner die eigenen Anhänger nicht mobilisier­en könnten, während sie die eigene Klientel möglichst bei Laune hielt (asymetrisc­he Demobilisi­erung), führt Laschet das Konzept ins Extrem. Von Plagiatsvo­rwürfen gegen Laschet, die am Dienstag nun auch der Österreich­er Stefan Weber erhob, lassen sich allenfalls Gegner Laschets mobilisier­en. Abgesehen davon sediert dieser sogar die eigenen Reihen. Kein Wunder, dass man in der CDU schon über die „symetrisch­e Demobilisi­erung“des Nrw-ministerpr­äsidenten spottet. Das passt dem selbsterna­nnten „Kanzler der Herzen“aus Bayern gar nicht: CSU-CHEF Markus Söder warnt davor, im „Schlafwage­n ins Kanzleramt“rollen zu wollen. Die Union müsse mal angreifen. Und Laschet? Wird abwarten, so viel ist klar. Die Suche nach dem besten Kandidaten läuft derweil noch, sagen zumindest die Anhänger von Friedrich Merz.

Die Grünen

Das Gleiche gilt auch für die Grünen, denn zwischendu­rch hat in der Partei so manch einen Zweifel überfallen, ob Annalena Baerbock wirklich die beste Wahl ist, oder ob ihr Co-vorsitzend­er Robert Habeck es doch besser gemacht hätte, obwohl er ein Mann ist. An diesem Dienstag jedenfalls senden die beiden nach langer Zeit mal wieder ein Zeichen der Geschlosde­r senheit aus. In der tiefsten brandenbur­gischen Provinz stellen sie in der Vereinshüt­te der Naturfreun­de Biesenthal ihr Klimaschut­z-sofortprog­ramm für die neue Legislatur­periode vor. Danach: Wandern durch das Naturschut­zgebiet. Turnschuhe statt Pumps, Sonnensche­in statt Rampenlich­t, matschiges Moor statt Hochglanz-cover. Zurück zu den Wurzeln.

Die Grünen wollen weg von den Personalde­batten, Diskussion­en um Plagiatsvo­rwürfe, Lebenslauf. Stattdesse­n wollen sie lieber über Themen wie Klimaschut­z, Kindeswohl und Mobilität auf dem Land reden. Das war lange geplant und wirkt doch ein bisschen verzweifel­t. Das freche Selbstbewu­sstsein Baerbocks und auch ihre Frische spürt man kaum. Die Leichtigke­it des Frühlings, vorbei. Jetzt heißt es, keine Fehler, keine Experiment­e, mehr Kontrolle. Die Aussagen sitzen, kritische Fragen umschifft sie mit den immergleic­hen Sätzen. Keiner hat erwartet, dass uns die Union das Kanzleramt schenkt, sagt Baerbock etwa über ihre Probleme. Doch haben wohl die wenigsten damit gerechnet, dass die Grünen sich das Geschenk selbst aus der Hand schlagen würden.

Die AFD

Das führt unmittelba­r auf die Suche nach den selbsterna­nnten Anti-grünen, also der AFD. Weiter auseinan

könnten die Weltbilder nicht liegen, größer der gegenseiti­ge Abscheu nicht sein. Während die Grünen in den Umfragen Achterbahn fahren, gleicht die Reise der AFD eher einer Kahnfahrt im Spreewald. Gemeinsame Auftritte des Spitzenduo­s Tino Chrupalla und Alice Weidel stehen erst ab der kommenden Woche auf dem Programm, in Schwerin. Schwerpunk­te? Der Kampf gegen die Impfpflich­t. Eine Impfpflich­t fordern zwar derzeit noch nicht mal die Grünen, aber das bedeutet nicht, dass die AFD ihre Wählerscha­ft nicht dagegen immunisier­en möchte. Auffällig laut schweigt die erste Reihe der AFD aber, wenn es um die „Querdenker“geht. Wurde im vergangene­n Jahr noch mehr oder weniger subtil mit der immer radikaler werdenden Protestbew­egung geflirtet, gibt es derzeit keinerlei Verbrüderu­ngsversuch­e mit deren Anführern.

Die FDP

Wer nach tatsächlic­hen Gewinnern der Corona-krise sucht, wird bei der FDP fündig. Vier Jahre nach der Entscheidu­ng, lieber nicht zu regieren, liegen die Liberalen auf Erfolgskur­s. In den Umfragen jedenfalls verzeichne­n sie neben den Grünen Zuwächse im Vergleich zum Ergebnis der vergangene­n Bundestags­wahl, und in drei von den vier möglichen Koalitione­n wäre die Truppe um Parteichef Christian Lindner dabei.

Lindner und Co. gelang es in den vergangene­n Monaten, gegen die Corona-politik der großen Koalition zu stänkern, ohne dabei in das Lager der Corona-leugner abzurutsch­en. Die FDP präsentier­te sogar einen eigenen Plan, wie man es besser machen könnte. Lindner schaut derzeit ein wenig besorgt auf die Union und Armin Laschet, mit dem er bereits in Nordrhein-westfalen eine Koalition geschmiede­t hat. Während die Liberalen ihren Zähl-beitrag für die von Lindner erhoffte schwarz-gelbe Koalition bringen, zieht es Lascht vor, alles zu demobilisi­eren, was nicht von der Flut in seinem Land weggerisse­n wurde.

Die SPD

Ist eine eigenwilli­ge Partei. Warum der offizielle Wahlkampfb­eginn so spät erfolgt und auf den heutigen Mittwoch fällt, ist ein Rätsel. Die Genossen fragen sich, was sie denn noch machen sollen, um mal über die 15 Prozent-hürde zu kommen. Die Antwort lautet: Warten, denn gelegentli­ch guckt da schon eine 16 oder 17 um die Ecke. Darüber hinaus: Volle Aufmerksam­keit auf Olaf Scholz. Der Finanzmini­ster ist, auch weil er Vizekanzle­r ist, praktisch 24 Stunden auf allen Kanälen zu sehen. Inhaltlich will die SPD, was außer der AFD alle wollen: Erderwärmu­ng stoppen, ohne die Menschen darben zu lassen. Um sich zu unterschei­den, bleibt nur der Spitzenkan­didat.

Am Anfang dachten viele, Scholz würde das Volk verspotten, wenn er behauptete, Kanzler werden zu wollen. Aber dann stellte sich heraus, dass die Konkurrenz dazu neigt, Fehler oder gar nichts zu machen. Klar, ein bisschen Glück haben die Sozis schon. Etwa beim Abend mit „Brigitte“, wo sich die Interviewe­rin für die „blödeste Frage“ihres Lebens entschuldi­gen musste. Die Frage lautete, ob dem Scholz seine Frau weiterarbe­iten möchte, wenn er Kanzler würde. „Würden Sie so etwas auch fragen, wenn es um einen Ehemann ginge“, war die Antwort, die besser war, als alle Wahlplakat­e der SPD sein werden. Was allerdings kein Kunststück ist. Was jetzt schon hängt, ist langweilig­er, als Scholz je war.

Die Linken

Die Partei, die angeblich DIE LINKE ist, hat mit dem Ausgang des Wahlrennen­s schon jetzt nicht mehr viel zu tun. Das haben die Führungskr­äfte bemerkt und sind ziemlich einheitlic­h in den Urlaub gefahren. Zurück blieb der sehr unbekannte Bundesgesc­häftsführe­r Jörg Schindler, der unter anderem ein Papier mit einem linken Klimapaket verteilte, was schlicht niemand zur Kenntnis nahm, dem Klima wegen der Papiervers­chwendung geschadet und die Linken auch nicht über sieben Prozent gebracht hat. Denn da liegen sie. An guten Tagen. Das Ziel Zweistelli­gkeit ist nicht einmal in Sicht. Eine Regierungs­beteiligun­g auch nicht. Von Rot-rot-grün, bzw. Grün-rot-rot redet niemand mehr, dafür aber von der Gefahr, dass die Linken aus dem Bundestag fliegen.

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FOTO: M. BECKER/DPA Kanzlerkan­didaten unter sich: Armin Laschet (CDU, links) und Olaf Scholz (SPD, Zweiter von links) laufen durch die Innenstadt von Stolberg.

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