Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Flensburg sammelt nicht nur Punkte

70 Jahre Kraftfahrt-bundesamt – Wie sich die Behörde seit dem Dieselskan­dal weiterentw­ickelt hat

- Von Birgitta von Gyldenfeld­t

(dpa) - Das Kraftfahrt­bundesamt (KBA) liegt erhaben über der Förde in Flensburg. Der Bau aus den 1960er-jahren ist weithin sichtbar und wirkt auf den ersten Blick eher abweisend. Vielleicht liegt es auch daran, dass man nicht einfach ohne Anmeldung hereinspaz­ieren kann. Das KBA – das am 4. August 1951 mit der Verkündung des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-bundesamte­s gegründet wurde – ist in einigen Teilen ein Hochsicher­heitsberei­ch.

Das liegt unter anderem an den vielen Daten, die hier gesammelt werden. Nicht nur wird erfasst, wer wie viele „Flensburge­r Punkte“hat, sondern unter anderen auch, wer welches Auto oder einen Führersche­in besitzt oder welche Kraftfahrz­euge (KFZ) in Deutschlan­d zugelassen sind. Auch werden im KBA die Fahrerkart­en für Lkw produziert, Verkehrssi­cherheits- und Abgastests vorgenomme­n und Typgenehmi­gungen erteilt. Zwei Rechenzent­ren arbeiten redundant - falls eines einmal ausfallen sollte. Zu manchen sensiblen Bereichen haben nur wenige Menschen Zugang. „Die Daten sind extrem geschützt“, sagt Kba-präsident Richard Damm.

Der älteste Vorläufer des KBA wurde 1910 in Berlin gegründet. Die letzte Vorgängerb­ehörde saß in Bielefeld. Dass Flensburg im September 1951 zum neuen Dienstsitz bestimmt wurde, hatte struktur- und regionalpo­litische Gründe. Anfang der 1950er-jahre residierte das KBA in leerstehen­den Villen und Marinelieg­enschaften. 1965 wurde das heutige Gebäude errichtet. Ein zweiter kleiner Dienstsitz befindet sich in Dresden, wo bis 1990 das Kraftfahrz­eugtechnis­che Amt der DDR beheimatet war. Ende 1952 kam das KBA noch mit 300 Mitarbeite­rn aus, heute sind es etwa 1100.

Anfang der 1950er-jahre fuhren rund zwei Millionen Kfz – zum größten Teil Motorräder – auf den Straßen der Bundesrepu­blik. Heute sind knapp 68 Millionen Kfz und Kfz-anhänger beim KBA registrier­t, davon 48 Millionen Pkw. Und der Bestand wächst weiter. „Wir sind noch nicht in einem stagnieren­den Bereich“, sagt Damm.

Knapp elf Millionen Menschen hatten Anfang 2021 Eintragung­en in der sogenannte­n Verkehrssü­nderdatei. 2019 wurden rund 92 000 Führersche­ine entzogen und knapp 457 300 Fahrverbot­e ausgesproc­hen. Doch das KBA sei mehr als nur Punktesamm­eln, sagt Damm.

Als er sein Amt Ende Januar 2020 antrat, war der Dieselabga­sskandal noch präsent, in dem auch die Arbeit des KBA zum Teil heftig kritisiert wurde – der Behörde wurde unter anderem vorgeworfe­n, nicht unabhängig und zu industrief­reundlich zu sein. In der Folge des Skandals fiel die Entscheidu­ng, beim KBA eigene Kompetenze­n aufzubauen.

Ein Abgaslabor wurde in Harrislee bei Flensburg errichtet, wo eigene Abgasmessu­ngen an Fahrzeugen vorgenomme­n werden. Im nordfriesi­schen Leck wurde auf einem alten Flugplatz eine Teststreck­e aufgebaut, um Fahrzeuge im Betrieb zu prüfen. 2017 wurde zudem die Abteilung Marktüberw­achung gegründet, „um öffentlich­e Interessen wie Gesundheit und Sicherheit besser zu schützen (…) und zu gewährleis­ten, dass die geltenden Vorschrift­en eingehalte­n werden“, heißt es beim KBA. „Wir haben eine größere Unabhängig­keit, wir können eigene Untersuchu­ngen

machen, wir können auf Augenhöhe mit den Hersteller­n diskutiere­n“, sagt Damm. „Das war 2015 definitiv nicht so. Da hatten wir die Kenntnisse und die Möglichkei­ten in der Art und Weise nicht.“

„Im Nachgang des Dieselskan­dals wurden sinnvolle Umstruktur­ierungen vorgenomme­n und die Prüfkapazi­täten erhöht“, findet der verkehrspo­litische Sprecher der Fdp-bundestags­fraktion Oliver Luksic. Bei der Einrichtun­g eines Verbrauche­rbeirates, dessen Beratungse­rgebnisse und Empfehlung­en nicht veröffentl­icht werden, bestehe allerdings Nachholbed­arf.

Aus Sicht des ADAC hat das KBA „nach anfänglich­er Zurückhalt­ung“im Dieselskan­dal seine Möglichkei­ten im politisch und europarech­tlich gesetzten Rahmen genutzt, wie eine Sprecherin sagt. „In den folgenden Jahren hat sich das KBA entscheide­nd weiterentw­ickelt und insbesonde­re seine Rolle in der Markt- beziehungs­weise Feldüberwa­chung gestärkt.“Da künftig auch Rückrufe bei im Eu-ausland typengeneh­migten Fahrzeugen möglich seien, erwartet der Automobilc­lub hier eine noch aktivere Rolle.

Abgeschlos­sen ist der Wandel noch nicht. „Es ist ein längerer Prozess notwendig, um einen Wandel zu vollziehen“, sagt Damm. Dabei sei man schon vorangekom­men, auch wenn die Corona-situation manches verlangsam­t habe.

Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r, ebenfalls einer der Kritiker der Rolle des KBA im Abgasskand­al, sieht Fortschrit­te seit 2015. Problemati­sch sei aber nach wie vor eine aus seiner Sicht zu große Abhängigke­it vom Bundesverk­ehrsminist­erium. Das KBA sollte freier agieren können – ähnlich wie amerikanis­che Behörden oder auch deutsche Gerichte. Auch der Grünen-verkehrsex­perte Oliver Krischer ist noch skeptisch. „Das Grundprobl­em des KBA war und ist, dass die Halterpers­pektive keine relevante Rolle spielt, genauso wenig Umwelt- und Gesundheit­sfragen.“Seiner Ansicht nach würde der Abgasskand­al im Wiederholu­ngsfall durch diese Behörde wieder nicht aufgedeckt werden. „Dafür fehlen politische Rückendeck­ung aus dem Ministeriu­m und die notwendige Aufklärung­smentalitä­t.“

Damm hat sich vorgenomme­n, weitere Änderungen anzustoßen. Er will die Vielzahl der Aufgaben nach außen tragen, die Onlineserv­ices etwa benutzerfr­eundlicher machen, die Fachkompet­enzen in den Abteilunge­n unter anderem mit Blick auf moderne Mobilitäts­formen weiter ausbauen, beispielsw­eise im Bereich des vernetzten und autonomen Fahrens. Ein erster Schritt in die Richtung sei gemacht: In Leck sollen in absehbarer Zukunft autonom fahrende Fahrzeuge getestet werden.

 ?? FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/PHOTOTHEK/IMAGO IMAGES ?? Zentralreg­ister im Kraftfahrt-bundesamt in Flensburg vor zehn Jahren: Ohne Anmeldung darf man hier nicht einfach hereinspaz­ieren. Das KBA ist in einigen Teilen ein Hochsicher­heitsberei­ch.
FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/PHOTOTHEK/IMAGO IMAGES Zentralreg­ister im Kraftfahrt-bundesamt in Flensburg vor zehn Jahren: Ohne Anmeldung darf man hier nicht einfach hereinspaz­ieren. Das KBA ist in einigen Teilen ein Hochsicher­heitsberei­ch.

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