Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Philip Morris tritt die Zigarette aus
Der Tabakkonzern will Marlboro und Co. in Großbritannien künftig nicht mehr verkaufen – Stattdessen investiert das Unternehmen im Gesundheitsmarkt
hängen, womöglich sogar wie Haschisch-konsumenten in den Untergrund getrieben.
In diesem Sommer wachsen die scheinheiligen Marlboro-männer – von den Originalen aus der jahrzehntelangen Werbekampagne starben übrigens mehrere an Krebs – über sich hinaus. Erst verkündete PMI den Ankauf der britischen Firma Vectura für die stolze Summe von einer Milliarde Pfund (1,17 Mrd Euro/1,26 Mrd Franken). Das Unternehmen
arbeitet als Zulieferer für die Pharmaindustrie, stellt vor allem Inhalatoren für Asthmakranke her. Der Deal stelle ein Paradox dar, kommentierte die „Financial Times“: „Medikamente halten Menschen am Leben, Zigaretten töten sie.“
Unbeirrt teilte der neue Vorstandschef Jacek Olczak der „Mail on Sunday“mit, er wolle seiner Firma „erlauben, den Rauch hinter sich zu lassen“. Die etwas nebulöse Sprache spiegelt eine ellenlange Rechtfertigung
auf der Pmi-website wider, in der viel von „reduziertem Risiko“und der famosen „rauchfreien Zukunft“die Rede ist. Olczak formuliert immerhin auch ein konkretes Ziel: Bis 2025 wolle sein Unternehmen die Hälfte des Gewinns nach Steuern aus dem Verkauf von E-zigaretten und anderen Dampfprodukten erzielen. Wie ehrgeizig diese Vorgabe ist, erläutert der Pole anhand eines Vergleichs: Noch vor fünf Jahren erwirtschaftete PMI keinen Pence mit dieser Sparte.
Ins gleiche Horn des graduellen Umbaus stösst auch eine Marlborofrau: Moira Gilchrist ist bei PMI für die „strategische und wissenschaftliche Kommunikation“zuständig. Natürlich bleibe das Aufhören „die beste Lösung“für Raucher. Mithilfe neuer Technik, vulgo E-dampfstengel, könne ihre Branche aber „für all jene, die das nicht schaffen, bessere Alternativen“bereitstellen.
Fürs Erreichen des hehren Zieles, so Chairman Calantzopoulos, bedürfe es aber des Gesetzgebers: Der solle doch bitte den Verkauf von Tabakprodukten binnen zehn Jahren verbieten.
Tatsächlich hat sich die konservative Regierung von Premierminister Boris Johnson vor zwei Jahren das „extrem harte Ziel“gesetzt, England bis 2030 zigarettenfrei zu machen. Die schottische Regionalregierung will dies bis 2034 erreichen, die Verantwortlichen in Wales und Nordirland mochten sich bisher vorsichtshalber nicht auf ein Datum festlegen. Pragmatisch scheint man auf der Insel zu sehen, was mit „rauchfrei“eigentlich gemeint ist. Parlament und Regierung in London verstehen darunter eine Marge von fünf Prozent der Bevölkerung, was rund drei Millionen Menschen entspricht – bisher führen sich rund 15 Prozent der Briten ihre tägliche Ration Nikotin zu. Damit liegt das Land im Europa-vergleich weit hinten.
Dass nun ausgerechnet Marlboro-hersteller PMI die Behörden zur Eile antreibt, bringt langjährige Anti-rauch-lobbyisten auf die Palme. „Diese leeren Versprechungen haben wir von der Tabakindustrie schon häufiger gehört“, empört sich Michelle Mitchell von Cancer Research UK. „Aus unserer Arbeit zur Unterstützung einkommensschwacher Länder wissen wir, dass Philip Morris‘ Taten nicht mit der Rhetorik von der raucherfreien Welt übereinstimmen.“Die Lobbygruppe Ash möchte Big Tobacco lieber zur Kasse bitten, um eine Aufklärungskampagne der Regierung zu finanzieren. PMI sei nicht glaubwürdig, glaubt Ash-chefin Deborah Arnett: „Dieses Unternehmen verkauft bis heute weltweit jede zehnte Zigarette.“Noch auf lange Sicht hin ist der Rauch vom Marlboro-lagerfeuer also nur ganz selten weiß.