Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Spatzen verschenken jetzt sogar Tickets
Für mehr Impfungen: Ulm schlägt unkonventionelle Wege ein – Mattheis für Gang in Milieus, OB kritisiert Land
- Das Ulmer Impfzentrum klagt über eine niedrige Impfbereitschaft. Es sei deutlich mehr Impfstoff vorhanden, als die Nachfrage groß. Deshalb setzt das Impfzentrum nun verstärkt auf niederschwellige Angebote, geht dahin, wo sich viele Menschen tummeln. Am Samstag impft ein mobiles Team vor dem Donaustadion, Anmeldungen sind nicht erforderlich.
Die Impfaktion geschieht in Kooperation mit dem SSV 1846 Ulm Fußball. Die Ulmer Spatzen kicken am Samstag im Dfb-pokal gegen den 1. FC Nürnberg. Und sie erhoffen sich ein volles Haus. Weil die Inzidenz unter 35 liegt, könne die Zuschauerzahl von 9220 ausgeschöpft werden, so der SSV.
Das Impfangebot vor dem Stadion – von 14.30 bis 20 Uhr wird ein Impfteam vor Ort sein – richtet sich aber nicht nur an Zuschauer des Pokalknallers (erste Runde), sondern an alle. Verabreicht werden Erstimpfungen ohne Terminvereinbarung.
Zum Einsatz kommen die Vakzine von Biontech oder auf Wunsch von Johnson & Johnson (nur eine Impfung nötig). Impflinge sollten ihren Personalausweis und idealerweise ihren Impfpass mitbringen. Sie bekommen auch eine Gegenleistung (außer natürlich den Schutz gegen Corona): Alle, die sich an diesem Tag vor dem Stadion impfen lassen, erhalten einen Ticketgutschein für ein Regionalligaheimspiel des SSV Ulm.
Dies ist nicht der erste unkonventionelle Weg, den das Ulmer Impfzentrum geht, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Zahlreiche ähnliche Aktionen seien geplant. Oder wurden bereits abgehalten, so wie kürzliche Impfungen – ohne Anmeldungen – an der Universität oder im Stadthaus am Münsterplatz. 250
Personen haben sich hier am 17. Juli impfen lassen, eine gute Quote, so das Impfzentrum.
Und diese Erfolgsgeschichte soll weiter gehen: Das mobile Impfteam bietet im August fünf weitere Termine im Stadthaus an, bei denen man sich ohne Anmeldung impfen lassen kann – am 11., 18. und 25. August (mittwochs) von 9 bis 15 Uhr sowie am 21. und 28. August (samstags) von 9 bis 21 Uhr.
Geimpft wird mit dem Vakzin von Johnson & Johnson, sowie mit dem Impfstoff von Biontech, da dieser auch für Kinder ab zwölf Jahren und als Zweitimpfung für Personen zugelassen ist, die bei ihrer Erstimpfung Astrazeneca bekommen haben.
Für die Impfung muss ein Ausweis vorlegt werden, die Krankenversichertenkarte sei „sehr erwünscht“, aber nicht zwingend erforderlich, ein Impfpass kann, wenn vorhanden, vorgelegt werden.
Hilde Mattheis, die scheidende Ulmer Spd-bundestagsabgeordnete, begrüßt solche niederschwelligen Angebote. Und wünscht sich noch mehr davon – „Impfbusse vor dem Aldi oder am Ulmer Karlsplatz“.
Die Debatte um Impfungen von Kindern ab zwölf Jahren hält die Gesundheitsexpertin für eine Scheindebatte, die vor allem der Angst der Ministerpräsidenten geschuldet sei, demnächst wieder die Schulen schließen zu müssen. Mattheis findet: Die Erwachsenen müssten nun voran gehen – und die Politik sich um jene Erwachsenen kümmern, die die Impfung bisher links liegen gelassen haben.
Bei solchen handele es sich laut Mattheis vor allem auch um Menschen, die Sprachbarrieren hätten. Das sei ein „Hauptproblem“. Mattheis weiter: „Solange sich das Gerücht hält, das Impfen impotent macht, muss hier mit vielsprachigen Sozialarbeitern gearbeitet werden. Wir müssen hingehen zu den Leuten und ihnen sagen, dass sie einer Fehlinformation aufsitzen.“Den Menschen müsste klar gemacht werden, dass sie sich impfen lassen müssten, auch um zu verhindern, dass ihre Kinder im Herbst wieder aus der Kita genommen werden oder die Schulen wieder schließen.
Von einer Impfpflicht hält Mattheis nichts. Harte Kritik übt sie an
Bayerns Vize-regierungschef Hubert Aiwanger. Dessen Begründung, warum er sich nicht impfen lässt, sei „unverantwortlich“. Es stimme sie „traurig“und es sei „unanständig“, dass Aiwanger aus politischem Kalkül versuche, mit solchen Aussagen Stimmen aus bestimmen Schichten zu fischen.
Aiwanger tritt mit seinen Freien Wählern im Herbst bei der Bundestagswahl an.
Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) steht voll und ganz hinter der Entscheidung der Gesundheitsminister der Länder, Jugendlichen und Kindern ab zwölf Jahren flächendeckende Impfangebote zu machen. „In Ulm gibt es das alles schon. Die Gesundheitsminister bestätigen damit quasi den Ulmer Weg, den wir zusammen mit unserem Impfzentrum und dessen mobilen Teams eingeschlagen haben. Unsere Entscheidung, auch Minderjährige zu impfen und niederschwellige Impfangebote für alle zu machen, war richtig.“
Seit Mitte Juli können sich Schülerinnen und Schüler ab 16 Jahren impfen lassen, Impfungen für Kinder ab zwölf sind in Ulm mit Einverständnis der Eltern seit 26. Juli möglich. Auch laut Czisch sei es wichtig, den Menschen dort Angebote zu machen, wo sie sich aufhalten: in Schulen, Einkaufszentren, im Stadthaus.
Nicht zu vergessen, das Impfzentrum in der Friedrichsau. Auch hier sind Impfungen ohne Termin möglich. Die Zukunft der Einrichtung, die vom Land eingerichtet wurde, sei allerdings nur noch bis zum 30. September gesichert. „Ein Fehler“, wie der OB meint. Czisch zeigt sich überzeugt davon, „dass wir die Impfzentren ebenso wie die mobilen Impfteams auch im Herbst noch brauchen werden. Spätestens dann, wenn Auffrischungsimpfungen in den Heimen und Pflegeeinrichtungen erforderlich werden“.