Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Diese Werkrealsc­hule überzeugt Eltern

32 Anmeldunge­n: Nächstes Jahr gibt es an der Roter Werkrealsc­hule erstmals zwei 5. Klassen

- Von Katrin Bölstler

- Landauf, landab schließen die Werkrealsc­hulen. Viele Eltern haben Angst, dass ihren Kindern mit einem Hauptschul­abschluss der Weg in die Zukunft verbaut ist. Ganz anders sieht es in Rot an der Rot aus. Dort steigen die Anmeldezah­len seit vielen Jahren – und im nächsten Schuljahr wird es sogar zwei fünfte Klassen geben, da schon jetzt 32 Anmeldunge­n vorliegen. Rektor Werner Egger sieht keinen Grund, sich auf diesem Erfolg auszuruhen, im Gegenteil. Unterstütz­t von der Gemeinde und dem Schulamt Biberach versucht er nun das Kultusmini­sterium zu überzeugen, ihm eine 10. Klasse zu genehmigen, sodass die Schülerinn­en und Schüler künftig ihren mittleren Bildungsab­schluss in dem 4000-Seelen-dorf machen können.

Warum gerade seine Schule einen so guten Ruf hat, darauf hat Egger keine konkrete Antwort. Wer jedoch mit offenen Augen durch das Schulhaus läuft und mit ihm, Lehrern und Schülern spricht, bekommt schnell eine Ahnung, was der Grund sein könnte. Der 60-Jährige ist ein eher unaufgereg­ter Typ. Gern reden tut er aber schon und das kommt ihm auch zugute. Denn, wie er mit einem Schmunzeln sagt, „du musst mit den Leuten schwätzen, dann geht das schon“.

Sein Lebenslauf ist für einen Pädagogen eher untypisch, da er selbst zuerst die Hauptschul­e besuchte und danach eine Ausbildung zum Landwirt machte. „Dadurch schwätzen die Schüler und ich aber die gleiche Sprache und das ist gut so“, meint er dazu. Erst viel später, nach einigen Jahren als Ausbilder bei der Bundeswehr, entschied er sich, noch einmal den Beruf zu wechseln und wie seine Frau Lehrer zu werden. Es stellte sich als die richtige Entscheidu­ng heraus, denn Egger ist ein beliebter Lehrer und ein guter Netzwerker.

Seine Neuner, die er vergangene Woche verabschie­det hat, haben ihm zum Abschied ein Sträußchen mit einem Spruchband geschenkt. „Danke“steht da ganz groß drauf geschriebe­n. „Danke fürs Zuhören. Danke für die Tipps bei der Klassenarb­eit.“Die getrocknet­en Blumen sind sorgfältig getrocknet und mit einem lila Seidenband zusammenge­fasst. Eine Geste, die von Herzen kommt.

Dass die Schüler sich hier wohlgefühl­t haben, belegen auch die handschrif­tlichen Zettel, die die Abschlussk­lasse ausgefüllt hat. Zu beantworte­n war die Frage, warum sie gerne die Roter Werkrealsc­hule besucht haben und was sie vermissen werden. Fast alle haben bei der Aussage „Kleine Schule“ein Kreuz gemacht, ebenso bei „gute Berufsorie­ntierung“. Die Eltern, die ebenfalls einen solchen Zettel ausfüllen konnten, haben ähnlich geantworte­t.

„Natürlich haben wir wie alle anderen auch fast nur Schüler mit einer Hauptschul­empfehlung. Unsere Kinder sind keine Denker, aber wir nehmen sie so, wie sie sind und bestärken sie“, sagt Egger. In der 4.

Klasse bescheinig­t zu kriegen, nicht gut genug für die Realschule oder das Gymnasium zu sein, verunsiche­re viele Kinder. Ebenso gehe es jenen Schülerinn­en und Schülern, die es in der Realschule nicht schaffen würden und dann in der 6., 7. oder 8. Klasse an die Werkrealsc­hule wechselten. „Sie fühlen sich wertlos und haben keine Motivation, sich anzustreng­en. Unsere Aufgabe ist es daher, ihr Selbstwert­gefühl wieder aufzubauen und ihnen zu zeigen, dass es da draußen Firmen gibt, die auf sie warten. Denn die Welt braucht nicht nur Denker, sondern auch Macher“, ist der Pädagoge überzeugt.

Doch was so einfach klingt, gelingt nicht vielen Schulen, denn sonst würden die Anmeldezah­len an den anderen Werkrealsc­hulen ja ebenfalls steigen. Gibt es im ländlichen Raum also vielleicht weniger schwache Schüler oder weniger Kinder mit Migrations­hintergrun­d als in der Stadt? Egger verneint diese Annahme. Rund ein Drittel der Kinder habe einen Migrations­hintergrun­d. Schon lange hat die Roter Werkrealsc­hule eine Vkl-klasse. Kinder, die nur schlecht Deutsch sprechen, werden stundenwei­se aus ihren eigentlich­en Klassen herausgeno­mmen, um sich intensiv mit der deutschen Sprache auseinande­rzusetzen. Denn ohne Deutschken­ntnisse, das ist hier allen klar, haben die Kinder überhaupt keine Chance.

Dass die Schule zudem eine wichtige Stütze ist für jene Kinder, die aus sozial schwachen Familien kommen, habe sich stark während des Lockdowns gezeigt, erzählt der Schulleite­r. „Ich habe in der Zeit, in der die Schule geschlosse­n war, Kinder auf dem Schulhof getroffen, die mich darum gebeten haben, sich einfach hier aufhalten zu dürfen, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalte­n haben.“

Warum aber gelingt es nun ausgerechn­et dieser kleinen Schule mitten in Oberschwab­en, dass zwei Drittel ihrer Schulabgän­ger direkt danach eine Ausbildung starten und das andere Drittel danach einen höheren Schulabsch­luss anstrebt? Ein Gang durchs Schulhaus bringt Erleuchtun­g. Im ersten Stock kleben überall an den Wänden Plakate, auf denen die Siebtkläss­ler berichten, welchen Beruf sie an ihrem Schnuppert­ag ausprobier­t haben. Die Schule setzt von Anfang an darauf, den Schülern in jeder erdenklich­en Weise klar zu machen, dass sie fürs Leben lernen. Und dass es sich daher lohnt, sich anzustreng­en.

Ein paar Schritte weiter unterricht­et Tim Radke seine 7. Klasse gerade in Mathematik. Obwohl es nur noch wenige Tage bis zu den Ferien sind, wird noch ordentlich gepaukt. Das Klassenzim­mer ist mit 31 Schülern voll besetzt. Aus der Gesamtgeme­inde Rot kommen in dieser Klasse nur sieben Schüler, alle anderen wohnen in der Region. Zum Teil kommen sie sogar aus anderen Landkreise­n und aus dem nahe gelegenen Bayern.

Und obwohl die Klasse so groß ist, herrscht Ruhe, niemand motzt, niemand schießt quer. Radke sitzt vorne am Pult und schreibt auf einem Blatt Papier, das unter der Dokumenten­kamera liegt, die Aufgabe auf, die dadurch für alle an der Tafel zu sehen ist. Nachdem er die Vorgehensw­eise erklärt hat und alle die Aufgabe einmal zusammen durchgerec­hnet haben, gibt er der Klasse fünf Minuten Zeit, um die nächste Aufgabe selbst zu lösen. Wer nicht klar kommt, hebt die Hand.

Darauf angesproch­en, erzählen ein paar der Siebtkläss­ler, wo sie ihren Schnuppert­ag verbracht haben. Die Bandbreite der Berufe ist groß. Ein Schüler verbrachte den Tag bei der Firma Max Wild und lernte den Beruf des Kfz-mechatroni­kers kennen. Eine Mitschüler­in begleitete einen Tag lang einen Stuckateur bei Jako Baudenkmal­pflege. Wem der Schnuppert­ag gefallen hat, der kann in der 8. Klasse eine ganze Woche in dem Betrieb verbringen. In der zweiten Woche wird dann ein weiterer Beruf ausprobier­t. „Das ist echt gut, denn dann weiß ich, ob das was für mich ist“, sagt eine Schülerin dazu.

Für die Firmen wiederum ist es eine optimale Gelegenhei­t, um künftige Lehrlinge kennenzule­rnen. Bauunterne­hmer, Steinmetze, Gärtnereie­n, Lagerlogis­tikfirmen, Restaurati­onsfachbet­riebe, der Einzelhänd­ler, sie alle haben die Chance erkannt und sind eine Bildungspa­rtnerschaf­t mit der Werkrealsc­hule eingegange­n. Und diese bedeutet in Rot eben nicht nur, dass die Schülerinn­en und Schüler mal ein paar Tage mitlaufen. Vertreter der Firmen sind jedes Schuljahr vor Ort und üben mit den Schülern Bewerbunge­n zu schreiben und setzen mit ihnen Projekte um.

Zuletzt entstand so in Zusammenar­beit mit der Biberacher Karl-arnold-schule ein Gartenhaus. Die Achtklässl­er durften zusammen mit den Zimmererle­hrlingen in der Berufsschu­le das Gartenhaus planen und die Hölzer zuschneide­n. Um das Haus dann auf dem Schulgelän­de aufzubauen, kam der Ausbildung­sleiter eines Bildungspa­rtners an die Schule und leitete die Jugendlich­en an.

Ein weiteres Beispiel: Jugendlich­e, die sich fürs Schrauben interessie­rten, konnten im Technikunt­erricht jahrelang mit einem pensionier­ten Kfz-mechaniker alte Mopeds auseinande­rschrauben und wieder zusammenba­uen. Überall im Schulhaus finden sich weitere Beispiele von Werkstücke­n, die die Jugendlich­en selbst unter Anleitung gebaut haben.

Die Bildungspa­rtnerschaf­ten sind natürlich nicht von alleine entstanden, sondern wurden vor allem von der Schulleitu­ng initiiert. „Wir sagen den Betrieben ganz klar, was unsere Schüler können und wo ihre Schwächen sind. Aber vor allem in den Praktika oder bei den Projekten an unserer Schule erkennen die Ausbildung­sleiter dann selbst, welcher Schüler in seinen Betrieb passt und so haben sich daraus schon oft direkte Angebote für einen Ausbildung­splatz ergeben“, sagt Egger. Einmal im Jahr kommen alle Bildungspa­rtner zusammen und überlegen aufs Neue, wie sie die Schüler motivieren und für ihre Berufe begeistern können.

Motivieren­d ist für die Jugendlich­en auch, dass regelmäßig frühere Schüler vorbeischa­uen und von ihrer Ausbildung berichtete­n. „Wenn die Schülerinn­en und Schüler erkennen, dass sie etwas können und wofür sie lernen, sind sie motiviert“, ist Rektor Egger überzeugt. Genau wie Erwachsene bräuchten auch Kinder ein Ziel vor Augen.

„Und da die Eltern sehen, dass ihre Kinder bei uns eine Perspektiv­e haben, dass die Firmen aus der Region sie gerne als Lehrlinge annehmen, schicken sie sie auch gerne zu uns.“Egger und sein Team hoffen, dass dieser Gedanke auch wieder mehr in der Politik ankommt. Dass nicht alle Kinder gleich sind. Dass das aber auch in Ordnung so ist, da das Handwerk und die Industrie eben auch die Macher braucht. „Wir sind die Schule für die Kinder, die mit den Händen denken – und das ist auch gut so.“

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FOTO: KATRIN BÖLSTLER Rektor Werner Egger scheint den richtigen Draht zu seinen Schülern gefunden zu haben. Vor allem über praktische Projekte schaffen er und seine Kollegen es, die Schüler zu motivieren und ihr Selbstvert­rauen zu stärken.
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Timo Radke unterricht­ete dieses Schuljahr die 7. Klasse. Darauf angesproch­en, berichtete­n die Schüler, warum es ihnen so gut an der Werkrealsc­hule gefällt.

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