Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Diese Werkrealschule überzeugt Eltern
32 Anmeldungen: Nächstes Jahr gibt es an der Roter Werkrealschule erstmals zwei 5. Klassen
- Landauf, landab schließen die Werkrealschulen. Viele Eltern haben Angst, dass ihren Kindern mit einem Hauptschulabschluss der Weg in die Zukunft verbaut ist. Ganz anders sieht es in Rot an der Rot aus. Dort steigen die Anmeldezahlen seit vielen Jahren – und im nächsten Schuljahr wird es sogar zwei fünfte Klassen geben, da schon jetzt 32 Anmeldungen vorliegen. Rektor Werner Egger sieht keinen Grund, sich auf diesem Erfolg auszuruhen, im Gegenteil. Unterstützt von der Gemeinde und dem Schulamt Biberach versucht er nun das Kultusministerium zu überzeugen, ihm eine 10. Klasse zu genehmigen, sodass die Schülerinnen und Schüler künftig ihren mittleren Bildungsabschluss in dem 4000-Seelen-dorf machen können.
Warum gerade seine Schule einen so guten Ruf hat, darauf hat Egger keine konkrete Antwort. Wer jedoch mit offenen Augen durch das Schulhaus läuft und mit ihm, Lehrern und Schülern spricht, bekommt schnell eine Ahnung, was der Grund sein könnte. Der 60-Jährige ist ein eher unaufgeregter Typ. Gern reden tut er aber schon und das kommt ihm auch zugute. Denn, wie er mit einem Schmunzeln sagt, „du musst mit den Leuten schwätzen, dann geht das schon“.
Sein Lebenslauf ist für einen Pädagogen eher untypisch, da er selbst zuerst die Hauptschule besuchte und danach eine Ausbildung zum Landwirt machte. „Dadurch schwätzen die Schüler und ich aber die gleiche Sprache und das ist gut so“, meint er dazu. Erst viel später, nach einigen Jahren als Ausbilder bei der Bundeswehr, entschied er sich, noch einmal den Beruf zu wechseln und wie seine Frau Lehrer zu werden. Es stellte sich als die richtige Entscheidung heraus, denn Egger ist ein beliebter Lehrer und ein guter Netzwerker.
Seine Neuner, die er vergangene Woche verabschiedet hat, haben ihm zum Abschied ein Sträußchen mit einem Spruchband geschenkt. „Danke“steht da ganz groß drauf geschrieben. „Danke fürs Zuhören. Danke für die Tipps bei der Klassenarbeit.“Die getrockneten Blumen sind sorgfältig getrocknet und mit einem lila Seidenband zusammengefasst. Eine Geste, die von Herzen kommt.
Dass die Schüler sich hier wohlgefühlt haben, belegen auch die handschriftlichen Zettel, die die Abschlussklasse ausgefüllt hat. Zu beantworten war die Frage, warum sie gerne die Roter Werkrealschule besucht haben und was sie vermissen werden. Fast alle haben bei der Aussage „Kleine Schule“ein Kreuz gemacht, ebenso bei „gute Berufsorientierung“. Die Eltern, die ebenfalls einen solchen Zettel ausfüllen konnten, haben ähnlich geantwortet.
„Natürlich haben wir wie alle anderen auch fast nur Schüler mit einer Hauptschulempfehlung. Unsere Kinder sind keine Denker, aber wir nehmen sie so, wie sie sind und bestärken sie“, sagt Egger. In der 4.
Klasse bescheinigt zu kriegen, nicht gut genug für die Realschule oder das Gymnasium zu sein, verunsichere viele Kinder. Ebenso gehe es jenen Schülerinnen und Schülern, die es in der Realschule nicht schaffen würden und dann in der 6., 7. oder 8. Klasse an die Werkrealschule wechselten. „Sie fühlen sich wertlos und haben keine Motivation, sich anzustrengen. Unsere Aufgabe ist es daher, ihr Selbstwertgefühl wieder aufzubauen und ihnen zu zeigen, dass es da draußen Firmen gibt, die auf sie warten. Denn die Welt braucht nicht nur Denker, sondern auch Macher“, ist der Pädagoge überzeugt.
Doch was so einfach klingt, gelingt nicht vielen Schulen, denn sonst würden die Anmeldezahlen an den anderen Werkrealschulen ja ebenfalls steigen. Gibt es im ländlichen Raum also vielleicht weniger schwache Schüler oder weniger Kinder mit Migrationshintergrund als in der Stadt? Egger verneint diese Annahme. Rund ein Drittel der Kinder habe einen Migrationshintergrund. Schon lange hat die Roter Werkrealschule eine Vkl-klasse. Kinder, die nur schlecht Deutsch sprechen, werden stundenweise aus ihren eigentlichen Klassen herausgenommen, um sich intensiv mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen. Denn ohne Deutschkenntnisse, das ist hier allen klar, haben die Kinder überhaupt keine Chance.
Dass die Schule zudem eine wichtige Stütze ist für jene Kinder, die aus sozial schwachen Familien kommen, habe sich stark während des Lockdowns gezeigt, erzählt der Schulleiter. „Ich habe in der Zeit, in der die Schule geschlossen war, Kinder auf dem Schulhof getroffen, die mich darum gebeten haben, sich einfach hier aufhalten zu dürfen, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten haben.“
Warum aber gelingt es nun ausgerechnet dieser kleinen Schule mitten in Oberschwaben, dass zwei Drittel ihrer Schulabgänger direkt danach eine Ausbildung starten und das andere Drittel danach einen höheren Schulabschluss anstrebt? Ein Gang durchs Schulhaus bringt Erleuchtung. Im ersten Stock kleben überall an den Wänden Plakate, auf denen die Siebtklässler berichten, welchen Beruf sie an ihrem Schnuppertag ausprobiert haben. Die Schule setzt von Anfang an darauf, den Schülern in jeder erdenklichen Weise klar zu machen, dass sie fürs Leben lernen. Und dass es sich daher lohnt, sich anzustrengen.
Ein paar Schritte weiter unterrichtet Tim Radke seine 7. Klasse gerade in Mathematik. Obwohl es nur noch wenige Tage bis zu den Ferien sind, wird noch ordentlich gepaukt. Das Klassenzimmer ist mit 31 Schülern voll besetzt. Aus der Gesamtgemeinde Rot kommen in dieser Klasse nur sieben Schüler, alle anderen wohnen in der Region. Zum Teil kommen sie sogar aus anderen Landkreisen und aus dem nahe gelegenen Bayern.
Und obwohl die Klasse so groß ist, herrscht Ruhe, niemand motzt, niemand schießt quer. Radke sitzt vorne am Pult und schreibt auf einem Blatt Papier, das unter der Dokumentenkamera liegt, die Aufgabe auf, die dadurch für alle an der Tafel zu sehen ist. Nachdem er die Vorgehensweise erklärt hat und alle die Aufgabe einmal zusammen durchgerechnet haben, gibt er der Klasse fünf Minuten Zeit, um die nächste Aufgabe selbst zu lösen. Wer nicht klar kommt, hebt die Hand.
Darauf angesprochen, erzählen ein paar der Siebtklässler, wo sie ihren Schnuppertag verbracht haben. Die Bandbreite der Berufe ist groß. Ein Schüler verbrachte den Tag bei der Firma Max Wild und lernte den Beruf des Kfz-mechatronikers kennen. Eine Mitschülerin begleitete einen Tag lang einen Stuckateur bei Jako Baudenkmalpflege. Wem der Schnuppertag gefallen hat, der kann in der 8. Klasse eine ganze Woche in dem Betrieb verbringen. In der zweiten Woche wird dann ein weiterer Beruf ausprobiert. „Das ist echt gut, denn dann weiß ich, ob das was für mich ist“, sagt eine Schülerin dazu.
Für die Firmen wiederum ist es eine optimale Gelegenheit, um künftige Lehrlinge kennenzulernen. Bauunternehmer, Steinmetze, Gärtnereien, Lagerlogistikfirmen, Restaurationsfachbetriebe, der Einzelhändler, sie alle haben die Chance erkannt und sind eine Bildungspartnerschaft mit der Werkrealschule eingegangen. Und diese bedeutet in Rot eben nicht nur, dass die Schülerinnen und Schüler mal ein paar Tage mitlaufen. Vertreter der Firmen sind jedes Schuljahr vor Ort und üben mit den Schülern Bewerbungen zu schreiben und setzen mit ihnen Projekte um.
Zuletzt entstand so in Zusammenarbeit mit der Biberacher Karl-arnold-schule ein Gartenhaus. Die Achtklässler durften zusammen mit den Zimmererlehrlingen in der Berufsschule das Gartenhaus planen und die Hölzer zuschneiden. Um das Haus dann auf dem Schulgelände aufzubauen, kam der Ausbildungsleiter eines Bildungspartners an die Schule und leitete die Jugendlichen an.
Ein weiteres Beispiel: Jugendliche, die sich fürs Schrauben interessierten, konnten im Technikunterricht jahrelang mit einem pensionierten Kfz-mechaniker alte Mopeds auseinanderschrauben und wieder zusammenbauen. Überall im Schulhaus finden sich weitere Beispiele von Werkstücken, die die Jugendlichen selbst unter Anleitung gebaut haben.
Die Bildungspartnerschaften sind natürlich nicht von alleine entstanden, sondern wurden vor allem von der Schulleitung initiiert. „Wir sagen den Betrieben ganz klar, was unsere Schüler können und wo ihre Schwächen sind. Aber vor allem in den Praktika oder bei den Projekten an unserer Schule erkennen die Ausbildungsleiter dann selbst, welcher Schüler in seinen Betrieb passt und so haben sich daraus schon oft direkte Angebote für einen Ausbildungsplatz ergeben“, sagt Egger. Einmal im Jahr kommen alle Bildungspartner zusammen und überlegen aufs Neue, wie sie die Schüler motivieren und für ihre Berufe begeistern können.
Motivierend ist für die Jugendlichen auch, dass regelmäßig frühere Schüler vorbeischauen und von ihrer Ausbildung berichteten. „Wenn die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass sie etwas können und wofür sie lernen, sind sie motiviert“, ist Rektor Egger überzeugt. Genau wie Erwachsene bräuchten auch Kinder ein Ziel vor Augen.
„Und da die Eltern sehen, dass ihre Kinder bei uns eine Perspektive haben, dass die Firmen aus der Region sie gerne als Lehrlinge annehmen, schicken sie sie auch gerne zu uns.“Egger und sein Team hoffen, dass dieser Gedanke auch wieder mehr in der Politik ankommt. Dass nicht alle Kinder gleich sind. Dass das aber auch in Ordnung so ist, da das Handwerk und die Industrie eben auch die Macher braucht. „Wir sind die Schule für die Kinder, die mit den Händen denken – und das ist auch gut so.“