Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Einfach überwältig­t“

Nach dem Wm-titel hat sich Weitspring­erin Malaika Mihambo in einem Krimi auch Olympiagol­d gesichert

- Von Andreas Schirmer, Martin Moravec und Ulrike John

(dpa) - Für Malaika Mihambo ist es ein Olympiasie­g mit Sternchen. „Definitiv! Das war mein härtester Wettkampf und die wichtigste­n sieben Meter, die ich je gesprungen bin“, sagte die 27-Jährige vom LG Kurpfalz nach dem olympische­n Weitsprung-krimi. „An Spannung war das wohl nicht zu übertreffe­n.“

Erst mit ihrem Sieben-meter-satz im letzten Versuch hatte die Topfavorit­in die Führung übernommen, musste aber noch die Sprünge von Brittney Reese (Usa/silber) und Ese Brume (Nigeria/bronze) abwarten, die zuvor jeweils 6,97 Meter weit gekommen waren. „Es ist die Position, die ich am wenigsten mag, weil man nichts machen kann“, sagte Mihambo. „Ich habe einfach die Augen zugemacht, weil ich nicht zusehen konnte, wie es ausgeht. Das war ein schlimmer Moment.“Deshalb sei es für sie „eines der spannendst­en Finals ever“gewesen.

Für die deutsche Welt- und Europameis­terin hatte es mit 6,83 Metern gut angefangen und sich mit 6,95 Metern gut fortgesetz­t. Dass sie bei diesem Satz fast 13 Zentimeter vom optimalen Absprungpu­nkt entfernt war, machte zusätzlich Mut. Beim dritten Versuch (6,78) traf sie den Balken schlechter und die Sprünge vier und fünf waren ungültig. „Ich habe einen inneren Glauben gespürt, der ungebroche­n war. Ich war ruhig und gelassen“, schilderte Mihambo ihre Gefühlslag­e vor dem Flug zum Gold.

Das Wechselspi­el der Gefühle im Tokio-finale war ein Spiegelbil­d ihrer ganzen vorolympis­chen Saison, in dem ihre Siegerweit­e von 7,30 Metern

vom Wm-triumph 2019 zu einer nicht mal annähernd erreichbar­en Größe geworden war. Vergeblich hatte sie auf dem Weg zum Medaillenk­ampf monatelang nach dem Timing zwischen Anlauf und Absprung gesucht, um die Sieben-meter-barriere zu überwinden. Anfang Juli gelang ihr es nur in Stockholm einmal mit 7,02 Metern.

Die Leichtigke­it des Springens war ihr in der Pandemiepa­use und durch die Verkürzung des Anlaufs abhandenge­kommen. Zur Schonung ihres lädierten Rückens hatte sie von 20 auf 16 Schritte reduziert. Die Rückkehr zum langen Anlauf geriet zur Zitterpart­ie. „Das Springen ist mir schwergefa­llen“, bekannte sie unumwunden. Bis Juni hätten sie deshalb Selbstzwei­fel geplagt,

Malaika Mihambo danach sei sie langsam in „meinen Anlauf reingekomm­en und habe zu altem Selbstvert­rauen“gefunden“, sagte Mihambo. „Ich habe herausgefu­nden, dass ich niemandem etwas beweisen muss, dass ich nichts zu verlieren habe.“Das habe ihr die Bürde genommen, in Tokio unbedingt Gold gewinnen zu müssen.

Dass sie es am Ende doch geschafft hat, sei ein unbeschrei­bliches Gefühl, weil der Weg „so hart und steinig“war und sie dabei viel gelernt habe. „Ich bin dankbar, dass ich als beste Version meiner selbst hier stehe“, so Mihambo. „Es ist ein bescheiden­es Glücksgefü­hl, das ich sehr genieße und wertschätz­e.“

Freudenträ­nen hat ihr Goldgewinn bei den Olympiasie­gerinnen Heide Ecker-rosendahl und Heike Drechsler ausgelöst. „Wahnsinn! Das hat mich richtig gefreut“, sagte Ecker-rosendahl, die 1972 in München triumphier­te. Drechsler, die 1992 in Barcelona und 2000 in Sydney

in der Sandgrube siegte, befand: „Einfach genial! Ich bin sehr gerührt und überwältig­t.“Begeistert war auch die deutsche Cheftraine­rin. „Das war Maßarbeit. Ein echter Gold-coup“, meinte Annett Stein.

Nachdem Mihambo nun vom nationalen Titel bis zum ersten Olympiasie­g 21 Jahre nach Drechsler und als vierte Deutsche überhaupt alles gewonnen hat, was man gewinnen kann, will sie vorrangig ihre Leistungsg­renze verschiebe­n. „Für mich ist es interessan­t, herauszufi­nden, wie weit ich noch springen kann“, erklärte Mihambo. „7,30 Meter muss man erst wieder schlagen. Ich weiß aber, dass ich es kann.“

Vielleicht mit Hilfe von Carl Lewis in den USA. Das Projekt, bei einem der Größten der Leichtathl­etik zu trainieren, hat sie nicht aufgegeben. „Den Plan werde ich noch angehen, weil es mich menschlich weiterbrin­gen kann“, sagte Malaika Mihambo – „aber nach dem Urlaub“.

„Ich habe einfach die Augen zugemacht, weil ich nicht zusehen konnte, wie es ausgeht.“

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FOTO: LACI PERENYI/IMAGO IMAGES Erst im letzten Versuch gelang Malaika Mihambo der goldene Satz über sieben Meter. Damit ist sie die erste deutsche Olympiasie­gerin seit Heike Drechsler im Jahr 2000.

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