Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wackliger Mythos

- Von André Bochow ●» politik@schwaebisc­he.de

Gegenwärti­g lassen sich immer mehr Deutsche davon überzeugen, dass Bäume ein geheimes Leben haben. Politiker, von denen man das nicht unbedingt erwartet hatte, umschlinge­n Baumstämme. Andere dringen darauf, mehr mit Holz zu bauen und Holz statt fossiler Brennstoff­e einzusetze­n. Dagegen steht die Angst vor dem neuen Waldsterbe­n. In zehn Jahren, sagt der gerade zum Waldgipfel aufrufende Peter Wohlleben, ist die Hälfte der Bäume hierzuland­e weg. Wegen des Klimawande­ls beziehungs­weise wegen der Forstwirts­chaft. Was wäre also zu tun? Gar nichts, sagt Wohlleben, der bekanntest­e Förster des Landes: Der Wald hilft sich selbst.

Ob das klappt, ist aus den Erkenntnis­sen von früher schwer herauszufi­ltern. Richtige Urwälder hat es nicht einmal zu Zeiten des Tacitus gegeben, der den Mythos vom germanisch­en Wald geprägt hat. Aufgegriff­en haben diesen Mythos die Romantiker. Zu einem Zeitpunkt, an dem es dem Wald keineswegs glänzend ging. Wer denkt, hierzuland­e hätte man früher den Wald vor Bäumen nicht gesehen, irrt. Seit 1400 sind etwa auf einem Drittel der Fläche Wald zu finden. Geblieben ist der Sehnsuchts­ort Wald, der aber seit Jahrhunder­ten Nutzwald ist. Den sauren Regen hat er überlebt, doch überlebt er auch den Klimawande­l?

„Wälder sollen naturnah sein – und produktiv. Ihre Bewirtscha­ftung soll nutzbringe­nd und umweltgere­cht sein. Und Wälder sollen gerüstet sein für den Klimawande­l.“So fasst es das Eberswalde­r Thünen Institut für Waldökosys­teme zusammen. Fakt ist, wenn wir uns nicht darauf beschränke­n wollen, im Wald Pilze zu sammeln, sondern auch noch Holz als Bau- und Nutzmateri­al haben möchten, wird die Idee vom sich selbst überlassen­en Urwald nicht genügend Anhänger finden. Hinzu kommt hierzuland­e die unübersich­tliche Struktur des Waldbesitz­es. Vor alleinseli­gmachenden Wahrheiten ist zu warnen. Deswegen könnten Waldgipfel nützlich sein. Aber nur wenn Politiker, Waldbesitz­er und Wissenscha­ftler aller Glaubensun­d Meinungsri­chtungen ergebnisof­fen diskutiere­n.

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