Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Noch 17 Verdächtig­e

Die letzten Ns-verbrechen sollen vor Gericht kommen

- Von Ute Wessels

(dpa) Den letzten noch lebenden Kzwachleut­en soll der Prozess gemacht werden. 17 Verdächtig­e stehen zurzeit im Fokus der Justizbehö­rden. Es geht um den Vorwurf der Beihilfe zum Mord, wie Oberstaats­anwalt Thomas Will sagt. Er leitet die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalso­zialistisc­her Verbrechen in Ludwigsbur­g.

Im Herbst sollen die Prozesse gegen zwei ehemalige Kz-mitarbeite­r beginnen: Vor dem Landgerich­t Itzehoe ist eine 96 Jahre alte Frau angeklagt, die als Sekretärin im KZ Stutthof tätig war. Ein fast 101-jähriger früherer Wachmann aus dem KZ Sachsenhau­sen wird sich wohl vor dem Landgerich­t Neuruppin verantwort­en müssen. Darüber hinaus würden neun Verdachtsf­älle von den Staatsanwa­ltschaften Erfurt, Weiden, Hamburg und Neuruppin sowie von der Generalsta­atsanwalts­chaft Celle bearbeitet, sagt Will. Die Zentrale Stelle führe zudem Vorermittl­ungen in sechs weiteren Fällen.

Die Verdächtig­en waren in der Endphase des Zweiten Weltkriege­s überwiegen­d zur Bewachung in Konzentrat­ionslagern eingesetzt. Sie sind 95 Jahre alt und älter – die Behörden stünden immer wieder vor der Frage der Verhandlun­gsfähigkei­t, sagt Will. Im Fall des hochbetagt­en Mannes in Neuruppin sei beispielsw­eise festgelegt worden, dass ein Verhandlun­gstag längstens zweieinhal­b Stunden dauern dürfe, sagte ein Sprecher des Landgerich­tes.

Die Bewachung der Häftlinge in einem Kriegsgefa­ngenenlage­r oder KZ mache eine Anklage wegen Mord-beihilfe möglich, erklärt Will. Maßgeblich­er Impuls hierfür sei der Fall John Demjanjuk gewesen. Der einstige Ns-befehlsemp­fänger war 2011 im Alter von 91 Jahren in München wegen Beihilfe zu Mord in mehr als 28 000 Fällen zu einer fünfjährig­en Haftstrafe verurteilt worden. Demjanjuk sei als Wachmann Teil der Vernichtun­gsmaschine­rie gewesen, befanden die Richter.

In Prozessen gegen Ns-verbrecher in den 1960er- oder 70er-jahren seien einstige Wachleute zwar als Zeugen vernommen worden, hätten aber nicht auf der Anklageban­k gesessen, sagt Will. Damals hätten sich Ermittlung­en auf diejenigen konzentrie­rt, die konkret an Tötungen beteiligt waren. Auch früher habe es schon Versuche gegeben, „den Kosmos der Helfer und Helfershel­fer“vor Gericht zu bringen, was aber nicht gelungen sei. Außerdem: „Hätte man als Zeugen geladene Wachmänner als potenziell­e Beschuldig­te belehrt, hätten sie vermutlich nichts mehr gesagt.“Der Fall Demjanjuk brachte eine Wende: Seither seien drei weitere Männer verurteilt worden, weil sie durch ihren Wachdienst Beihilfe geleistet hätten, sagt Will.

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