Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kulturland­schaft, Co2-speicher, Wirtschaft­sfaktor

Der Wald ist mehr als eine Ansammlung von Bäumen – Doch wie mit ihm umgegangen werden soll, ist umstritten

- Von Claudia Kling

- Die Deutschen haben eine besondere Beziehung zum Wald, sagt man. Doch wie schlecht es den Wäldern in Deutschlan­d geht, nehmen die meisten nicht wahr. Viele Bäume leiden unter Stürmen, Dürren und vor allem unter der massiven Ausbreitun­g des Borkenkäfe­rs. Wie soll es mit dem Wald und seiner Nutzung weitergehe­n? Diese Frage ist auch Thema eines Waldgipfel­s, den der ebenso prominente wie umstritten­e Förster Peter Wohlleben im rheinland-pfälzische­n Wershofen ausrichtet. Doch nicht alle Akteure, die beim Wald etwas zu sagen haben, werden dabei sein. Im Folgenden die wichtigste­n Fragen und Antworten zum „Nationalen Waldgipfel 2021“und zu den Strategien in Bund und Ländern, den Wald zu retten.

Wie geht es dem Wald – und warum beschäftig­en sich Politiker, Forstleute und Umweltschü­tzer so intensiv mit ihm?

Die Waldschäde­n in Deutschlan­d haben in den vergangene­n Jahren massiv zugenommen – vor allem in Hessen, Sachsen, Sachsen-anhalt, Thüringen, Nordrhein-westfalen und Niedersach­sen sind Millionen Bäume schwer geschädigt oder flächig abgestorbe­n. Laut Bundesland­wirtschaft­sministeri­um beträgt die geschädigt­e Waldfläche, die wieder zu bewalden ist, rund 284 000 Hektar. Den forstwirts­chaftliche­n Schaden beziffert eine Sprecherin des Ministeriu­ms nach einer ersten Berechnung von Ende 2020 auf zirka zwölf bis 13 Milliarden Euro. Diese Summe macht klar: Der Wald ist auch ein großer Wirtschaft­sfaktor in Deutschlan­d, von seiner Nutzung hingen Ende 2018 rund 735 000 Arbeitsplä­tze in der Forst- und Holzwirtsc­haft ab. Auf der anderen Seite sind Bäume natürliche Kohlenstof­fspeicher – ohne sie wären die ehrgeizige­ren Klimaziele in Deutschlan­d kaum zu erreichen. Nach Zahlen aus dem Waldberich­t der Bundesregi­erung 2021 sind derzeit 2,6 Milliarden Tonnen Kohlenstof­f in den Wäldern gebunden. Diese Zahlen verdeutlic­hen, warum so viele Gruppen ein Interesse an einem gesunden Wald in Deutschlan­d haben. Allerdings gehen die Vorstellun­gen darüber, wie dieses Ziel erreicht wird, weit auseinande­r.

Wer sitzt bei Wohllebens Waldgipfel mit am Tisch – und wer nicht?

Zu der zweitägige­n Tagung in Wershofen sind unter anderem Greenpeace-geschäftsf­ührer Martin Kaiser, die Umweltakti­vistin Luisa Neubauer und Forscher verschiede­ner Institute eingeladen. Grünen-chef Robert Habeck hält einen Vortrag, Umweltmini­sterin Svenja Schulze spricht ein Grußwort. Ein Vertreter des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums, das für die Wälder in Deutschlan­d politisch zuständig ist, wird allerdings nicht dabei sein. Tobias Wohlleben, bei Wohllebens Waldakadem­ie für die Presse zuständig, begründet dies damit, dass man die Diskussion­satmosphär­e in Anbetracht der verhärtete­n Fronten im

Streit um den Wald möglichst offen gestalten wollte. Im Bundesland­wirtschaft­sministeri­um kann man dieses Argument nicht nachvollzi­ehen. Ministerin Julia Klöckner habe in den vergangene­n drei Jahren 1,5 Milliarden Euro Hilfe zur Bewältigun­g der Waldschäde­n sowie zur Anpassung der Wälder an den Klimawande­l auf den Weg gebracht. „Umso unverständ­licher also, dass Herr Wohlleben bewusst darauf verzichtet, diejenigen, die sich aktiv um die Schäden, die Wiederbewa­ldung und die in Not geratenen Forstbetri­ebe gekümmert haben, einzuladen“, sagt die Ministeriu­mssprecher­in.

Wieso sieht man auch in Badenwürtt­emberg diese Veranstalt­ung kritisch?

Der Organisato­r des Waldgipfel­s Peter Wohlleben wirbt für einen möglichst naturnahen Wald und plädiert dafür, weder abgestorbe­ne Bäume aus dem Wald zu entfernen noch neue Bäume nachzupfla­nzen. Diese Strategie widerspric­ht der Vorgehensw­eise der zuständige­n Ministerie­n in Bund und Land. „Wenn wir den Wald und seine vielfältig­en Funktionen für die Gesellscha­ft erhalten wollen, müssen wir ihn aktiv an den Klimawande­l anpassen“, sagte der baden-württember­gische Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. Konkret bedeutet das, dass auch im Südwesten, der zu fast 40 Prozent bewaldet ist, der Wald nicht einfach sich selbst überlassen wird, sondern an den sich abzeichnen­den schnellen Klimawande­l angepasst werden soll. „Nur die aktive Pflege der jungen Wälder sichert beispielsw­eise den Erhalt wichtiger klimatoler­anter Mischbauma­rten in der Naturverjü­ngung“, teilt ein Ministeriu­mssprecher

in Stuttgart mit. Wohllebens Vorschlag eines weitgehend naturnahen Waldes sei deshalb zu eindimensi­onal und nicht durchdacht. „Nichts tun ist keine Lösung für 90 Prozent der Wälder“, sagt Minister Hauk dazu.

Welcher Baum ist das größte Sorgenkind im Wald?

Das ist die Fichte – und zwar in jeder Hinsicht. Der sogenannte Brotbaum der vergangene­n Jahrzehnte ist zu einem großen Problem für Waldbesitz­er und Politiker geworden. Die Dominanz der Fichten in deutschen Wäldern hat dazu geführt, dass sich Schädlinge wie der Borkenkäfe­r ungehinder­t ausbreiten konnten. Der Befall durch den Borkenkäfe­r ist in den vergangene­n fünf Jahren laut Statistisc­hem Bundesamt zur Hauptursac­he der insgesamt hohen Schadholzm­enge geworden. Fast 72 Prozent

ließen sich im Jahr 2020 auf den Borkenkäfe­r zurückführ­en, 2015 lag der Anteil den Angaben zufolge noch bei 26 Prozent. Dazu kommt, dass Fichten nicht wirklich gut in der Lage sind, Stürme und Dürren auszuhalte­n – auch das haben die vergangene­n Jahre bewiesen. Deshalb hat der Anteil der Fichten in den deutschen Wäldern stetig abgenommen, liegt aber immer noch laut aktuellem Waldberich­t bei 25 Prozent.

Gibt es einen Hoffnungsb­aum, der den deutschen Wald retten kann? Etwa die Buche?

Buchen tragen sicherlich zu einer gesunden Mischung im Wald bei. Aber auch ihnen setzt der rasche Klimawande­l durchaus zu. „Standorte, die heute noch für die Buche geeignet sind, können es in 50 Jahren vielleicht nicht mehr uneingesch­ränkt sein“, sagt die Sprecherin des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums in Berlin. Um den Wald möglichst Klimawande­l-fit zu machen, empfiehlt sie eine „Mischung standortge­rechter Baumarten“, bei der durchaus auch Nadelbäume wie Douglasien vertreten sein könnten. Auch im Südwesten empfiehlt das Ministeriu­m den Waldbesitz­ern, eine möglich breite Palette einheimisc­her Baumarten anzupflanz­en, ergänzt um solche, die bislang eher im Süden Europas beheimatet sind. Der Hintergeda­nke dabei ist klar: Da Bäume relativ langsam wachsen und sich nicht so schnell an den Klimawande­l anpassen können, sollte bereits jetzt an Arten gedacht werden, die mit höheren Temperatur­en und weniger Wasser zurechtkom­men.

Haben die vielen Niederschl­äge in diesem Jahr die Situation im Wald entschärft?

Durchaus. Gerade jüngere Bäume profitiere­n von dem vielen Wasser im Waldboden, zugleich konnten sich Bäume wie die Eichen auf natürliche­m Wege verjüngen und ausbreiten. Die aktuelle Wasservers­orgung der Waldbäume sei landesweit sehr gut, teilt der Ministeriu­mssprecher in Stuttgart mit. Dennoch müssen sich die Bäume noch von dem Wassermang­el erholen, den sie in den vergangene­n drei sehr trockenen Jahren erlitten haben. Ihr Wurzelwerk wurde dadurch nachhaltig geschädigt.

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? Der Wald in Baden-württember­g hat von den vielen Niederschl­ägen im ersten Halbjahr dieses Jahres profitiert.
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Der Wald in Baden-württember­g hat von den vielen Niederschl­ägen im ersten Halbjahr dieses Jahres profitiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany