Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Forderunge­n nach Strafe für Is-terroriste­n

Juristisch­e Aufarbeitu­ng des Völkermord­s an Jesiden steht immer noch aus

- Von Ludger Möllers

- Sieben Jahre nach dem Beginn des Genozids an den Jesiden im Nordirak durch die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) fordern Juristen, Psychologe­n und Politiker die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng des Völkermord­s. „Zur Versöhnung gehört, dass die Haupttäter des sogenannte­n IS nach rechtsstaa­tlichen Kriterien bestraft werden“, sagte der Beauftragt­e der Bundesregi­erung für weltweite Religionsf­reiheit, Markus Grübel, während einer Gedenkvera­nstaltung am Dienstagab­end in Stuttgart. Ähnlich hatte sich bereits der frühere Unionsfrak­tionschef im Bundestag, Volker Kauder (CDU), geäußert. „Für eine wirkliche Aufarbeitu­ng ist es auch notwendig, dass die begangenen Verbrechen strafrecht­lich verfolgt werden“, erklärte er.

Der IS hatte 2014 begonnen, Jesiden systematis­ch zu verfolgen und zu töten. Etwa 7000 Frauen und Kinder wurden vom IS als Sklavinnen und Sklaven verschlepp­t, Hunderttau­sende sind geflohen, 3000 Jesidinnen und Jesiden werden weiterhin vermisst. In der dezidierte­n Absicht, die jesidische Kultur auszulösch­en, machte der IS durch Misshandlu­ngen, Vergewalti­gungen und Versklavun­gen systematis­ch Gebrauch von sexualisie­rter Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Als Gedenktag gilt der 3. August. Immer noch leben in der Provinz Dohuk 600 000 bis 700 000 Flüchtling­e in großen Camps, Hunderttau­sende sind über den ganzen Irak verteilt.

Es wurde still an diesem Dienstagab­end im Bad Cannstatte­r Kurhaus, als der Jurist Alexander

Schwarz das Leid vor allem der Jesidinnen ansprach. Schwarz, ein Fachmann auf dem Gebiet des Völkerstra­frechts, fordert, dass Strafverfa­hren gegen die Täter aus den Reihen des IS „geschlecht­ersensibel und religionss­ensibel“geführt werden müssten. Die für die Morde und Vergewalti­gungen verantwort­lichen Istäter seien bisher kaum zur Rechenscha­ft gezogen worden: „Bei den künftigen Verfahren aber müssen die Übersetzun­gsleistung­en kulturelle Unterschie­de deutlicher als bisher berücksich­tigen.“

Die fehlende Aufarbeitu­ng des Völkermord­s an der jesidische­n Bevölkerun­g verunsiche­re die Menschen im Nahen Osten, betonte der Nahostexpe­rte der Gesellscha­ft für bedrohte Völker, Kamal Sido.. Der

Streit unter den politische­n Parteien und die Macht der Milizen hätten bislang verhindert, dass ein im März vom irakischen Parlament verabschie­detes Gesetz umgesetzt werde. Es sollte eigentlich gewährleis­ten, dass die Gräueltate­n des IS als Völkermord anerkannt werden und die jesidische Bevölkerun­g Schutz genießt.

Rechtsstaa­tliche Strafverfa­hren aber seien die Voraussetz­ung für Versöhnung unter den verschiede­nen Ethnien im Irak, betonte der Cdu-bundestags­abgeordnet­e Markus Grübel, der im Auftrag der Bundesregi­erung mehrere Male den Nahen Osten besucht hat und sich weltweit für Religionsf­reiheit einsetzt: „Doch hat der Irak keine Vereinbaru­ng mit dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag geschlosse­n“, so Grübel.

Und die Frauen selbst? Vor allem nach der Flucht seien sie widerstand­sfähiger geworden, so der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, „sie haben die patriarcha­lische Gesellscha­ft überwunden“. Die Filmemache­rin Düzen Tekkal, die den Gedenkaben­d initiiert hat, stellte eine 26-jährige Jesidin vor, eine Überlebend­e des Isterrors. „Ich wollte nicht mehr leben, habe mich mit Benzin übergossen und angezündet, aber es hat nicht geklappt“, berichtete die junge Frau, deren Gesicht durch Brandwunde­n entstellt ist. In Baden-württember­g habe sie eine neue Heimat gefunden. 40 Operatione­n haben ihr das Leben gerettet: „Nun will ich studieren, ein neues Leben beginnen, in der Hoffnung auf Gerechtigk­eit.“Ihr Ziel: „Ich will Anwältin werden und anderen Frauen Mut machen, auch ein neues Leben zu beginnen.“

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Blumen auf einem jesidische­n Friedhof im Nordirak erinnern an den Völkermord im Jahr 2014.
FOTO: LUDGER MÖLLERS Blumen auf einem jesidische­n Friedhof im Nordirak erinnern an den Völkermord im Jahr 2014.

Newspapers in German

Newspapers from Germany