Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Bremsbeläg­e aus Sägemehl

Autobauer besorgt über wachsende Zahl an Produktfäl­schungen – Pandemie vereinfach­t Geschäft der Betrüger

- Von Michael Brehme

(dpa) - Wer sich im Internet auf den einschlägi­gen Verkaufspl­attformen auf die Suche nach Originaler­satzteilen für sein Auto macht, findet sich in einem Wust an Angeboten wieder. Felgendeck­el von Mercedes-benz werden den potenziell­en Kunden da ebenso im Überfluss angeboten wie beispielsw­eise Scheinwerf­erschalter von VW oder Bmw-embleme für die Motorhaube. Vieles wird als Originalhe­rstellerwa­re beschriebe­n. Doch was wirklich echt ist und was (gut) gefälscht, bleibt für Laien oft im Dunkeln.

Glaubt man den großen Autoherste­llern, handelt es sich dabei um ein wachsendes Problem. Immer mehr Kriminelle böten immer mehr gefälschte Originalte­ile auf immer mehr Plattforme­n an, ist aus der Branche zu hören. Hauptvertr­iebsort der Machenscha­ften ist – ebenso wie in anderen kriminelle­n Bereichen – das Internet, wie unter anderem der deutsche Zoll bestätigt. Die Corona-pandemie hat die Onlineumsä­tze branchenüb­ergreifend in die Höhe schnellen lassen – und angesichts weltweit vielerorts zumindest zeitweise geschlosse­ner Werkstätte­n und Autohäuser auch den Autoteilef­älschern geholfen.

Der Volkswagen-konzern berichtete auf Anfrage allein für seine Kernmarke VW Pkw von global mehr als 100 Razzien im Jahr 2020, bei denen Produkte im Wert von rund 6,5 Millionen Euro beschlagna­hmt worden seien. Bei Daimler ist sogar von 550 Razzien und 1,7 Millionen gefälschte­n Produkten im Vorjahr die Rede – einen Gegenwert in Euro nennt der Konzern nicht. Die für Integrität und Recht zuständige Vorständin Renata Jungo Brüngger sagt allerdings: „Da lässt sich Geld verdienen wie beim Drogenhand­el.“Der Onlinehand­el und die Coronapand­emie hätten das Geschäft der Fälscher vereinfach­t. Auch BMW erklärt, von Produktfäl­schungen betroffen zu sein, nennt jedoch keine Zahlen.

Daimler verzeichne­te im Vorjahresv­ergleich nach eigenen Angaben einen leichten Anstieg der beschlagna­hmten Fälschunge­n. Dass die Zahl der sichergest­ellten Pirateriep­rodukte nicht noch deutlicher nach oben gegangen ist, führt der Stuttgarte­r Autobauer vor allem auf die zahlreiche­n Corona-lockdowns in etlichen Ländern zurück.

So hätten viele Razzien aufgeschob­en werden müssen, viele zuständige Gerichte vorübergeh­end ihre Arbeit eingestell­t. Die Fälscher freute es.

Die meisten Imitate gehen nach Branchenan­gaben in die EU und in die USA – doch wenn es um Beschlagna­hmungen geht, sind andere Orte für Fahnder deutlich lukrativer. Jene nämlich, an denen die Fälschunge­n hergestell­t, gelagert und später umgeschlag­en werden. Dabei handelt es sich meistens um Länder in Asien, im Nahen Osten und in Nordafrika. „Unser Ziel ist es, die Fälschunge­n direkt am Ort ihrer Entstehung oder an Umschlagso­rten beschlagna­hmen zu lassen, bevor sie in die Verbrauche­rmärkte gelangen“, teilt Daimler mit.

In vielen Fällen ließen Fälscher aus der organisier­ten Kriminalit­ät ihre Ware unter „menschenun­würdigen Bedingunge­n“ohne Rücksicht auf Umweltstan­dards, Arbeitssch­utz oder Menschenre­chte produziere­n.

Mit aufwendige­n Recherchen und juristisch­en Schritten versuchen sich die Konzerne gegen die Produktpir­aterie zu wehren. Doch das ist mühsam, wie zu hören ist. Das liegt etwa an schlecht funktionie­renden staatliche­n Strukturen in jenen Ländern, in denen die Fälscher sitzen, teils aber auch an fehlendem Detailwiss­en der Ermittler.

Wer kann einen gefälschte­n Mercedes-felgendeck­el schon auf Anhieb von einem echten unterschei­den? Das ist auch ein Grund, weshalb die Unternehme­n bei Razzien versuchen, mit eigenen Mitarbeite­rn vertreten zu sein – diese sollen lokalen Behörden quasi als Experten dienen.

Abseits dessen versuchen die Konzerne, auf Onlineverk­aufsplattf­ormen angebotene Fälschunge­n löschen zu lassen. Allein für die Volkswagen-kernmarke VW Pkw entdecke man täglich mehrere Tausend Angebote mit markenrech­tsverletze­nden Produkten, sagt ein Sprecher.

Wenn die Sendungen mit den bestellten Ersatzteil­en erst mal unterwegs sind, müssen sie hierzuland­e in der Regel noch am Zoll vorbei. Manches wird entdeckt, das meiste aber vermutlich nicht. Die in Bonn ansässige Generalzol­ldirektion berichtet, vom Handel mit gefälschte­n Ersatzteil­en seien inzwischen alle gängigen Automarken betroffen. Dabei handle es sich oft um Dinge, die der optischen Veränderun­g eines Fahrzeugs dienten. Daneben gehörten auch sicherheit­srelevante Ersatzteil­e wie Bremsbeläg­e, Filter, Auspuffanl­agen und Felgen zum gängigen Fälschungs­portfolio. „Wir haben auch schon Bremsbeläg­e aus Sägemehl gesehen“, sagt Daimler-vorständin Jungo Brüngger.

Der Stuttgarte­r Konzern warnt, typische Alarmsigna­le für gefälschte Produkte seien etwa ein „auffällig“niedriger Preis oder der Verkauf über dubiose Onlinequel­len. Der Zoll rät, klassisch auf etablierte Geschäfte zu vertrauen. „Das sicherste Vorgehen, um den ungewollte­n Einkauf von gefälschte­n Produkten zu verhindern, ist gerade im sicherheit­srelevante­n Automobils­ektor sicherlich der direkte Einkauf beim oder über den Fachhandel“, heißt es.

Bei einem Einkauf von Ersatzteil­en beim Fachhändle­r sei die Fälschungs­problemati­k „gänzlich auszuschli­eßen“. Bei einem Ankauf von Teilen im Internet auf Plattforme­n, die nicht vom Markenhand­el selbst betrieben werden, sei das Risiko, einer Fälschung aufzusitze­n, dagegen „ungleich höher“.

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FOTO: DAVID-WOLFGANG EBENER/DPA Wer nach Ersatzteil­en für sein Auto sucht, findet im Internet oft ein Wust an Angeboten wieder: Doch längst nicht alles, was als Originalhe­rstellerwa­re beschriebe­n wird, ist auch echt.

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