Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Firmen müssen in Flutgebieten keine Insolvenz beantragen
(dpa) - Die Bundesregierung will nach der Hochwasserkatastrophe vor allem im Westen Deutschlands eine Pleitewelle von Unternehmen verhindern. Eigentlich gesunde Firmen, die unverschuldet in finanzielle Not geraten sind, sollen vorübergehend keinen Antrag auf Insolvenz stellen müssen. Das Kabinett brachte am Mittwoch ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Der Bundestag muss noch zustimmen.
Unternehmen seien von einem Moment auf den anderen in eine große wirtschaftliche Not geraten, sagte Spd-bundesjustizministerin Christine Lambrecht in Berlin. Daran, das Geschäft oder den Betrieb weiterführen zu können, sei vielerorts überhaupt nicht zu denken, weil der Wiederaufbau Kraft und auch viel Geld koste.
Zwar seien bereits umfangreiche finanzielle Hilfen auf den Weg gebracht worden, so Lambrecht. „Wir müssen aber verhindern, dass Unternehmen nur deshalb zum Insolvenzgericht gehen müssen, weil Unterstützungsleistungen wie die von uns beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen.“Deswegen soll die Insolvenzantragspflicht für betroffene Unternehmen rückwirkend vom 10. Juli bis Ende Oktober ausgesetzt werden. Voraussetzung für eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung von Unternehmen auf den Auswirkungen der Starkregenfälle und der Hochwasser im Juli 2021 beruht.
LAUPHEIM - Aufgewachsen zwischen Augsburg und Fürstenfeldbruck hatte Jens Rottmair die Alpen immer im Blick. Im Alter von vier Jahren stand der Kässbohrer-chef das erste Mal auf Ski. Als Verantwortlicher für das Unternehmen, das den Pisten-bully erfunden hat, schaut er auch in diesen Tagen von Laupheim aus ab und an auf die Berge – und zwar oft mit bangem Herzen. Denn das Wohl und Wehe des oberschwäbischen Fahrzeugherstellers hängt von dem Erfolg seiner vor mehr als 50 Jahren erfundenen Schneeraupe ab, und davon, wie die kommende Wintersaison in Zeiten von Corona-pandemie und Delta-variante läuft.
„Wir ernähren uns vom Pistenbully“, sagt Rottmair im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Und das oberschwäbische Unternehmen verkauft seine speziellen Fahrzeuge zum Präparieren von Skipisten und dem Spuren von Langlaufloipen nur, wenn es die Menschen in die Berge und in den Schnee zieht – und die Wintersportorte zugänglich und offen sind. „Die Buchungszahlen für diesen Winter sind sehr gut, der Wunsch und die Nachfrage, Berge und Schnee zu erleben, ist da.“Rottmair macht eine Pause und füllt die Pause dann mit einem Aber. „Aber wir wissen nicht, wie sich Corona entwickelt, ob wieder alles geschlossen wird.“Und: Ob ausreichend Schnee kommt. Der vergangene Winter, der wegen der Pandemie für den Tourismus fast komplett verloren war, wäre für Wintersportler ideal gewesen.
Und keine Skifahrer und keine Langläufer bedeuten Umsatzverluste in Laupheim. „Wenn die Pisten-bullys im Winter nicht fahren oder zu wenig Betriebsstunden haben, dann überlegen sich unsere Kunden, ob sie das Fahrzeug nicht noch ein Jahr länger fahren, bevor sie es ersetzen“, erläutert Rottmair. In normalen Jahren verkauft Kässbohrer zwischen 600 und 650 Pistenraupen, für den Corona-winter 2021/22 waren es 40 Prozent weniger. Die Folge: Seit Dezember sind die 420 Mitarbeiter am Stammsitz in Laupheim – weltweit beschäftigt das Unternehmen 650 Mitarbeiter – in Kurzarbeit. Mit Blick auf die Wintersaison plant Rottmair von Oktober an zu den normalen Arbeitszeiten zurückzukehren. Auch deshalb hofft der Kässbohrer-chef auf eine gute Wintersaison – mit viel Schnee und vielen Wintersportlern.
Im Geschäftsjahr 2019/20 erwirtschaftete das Unternehmen einen
Umsatz zwischen 270 und 300 Millionen Euro. Das sei ein gutes Jahr gewesen. Genauer wird Jens Rottmair nicht. Wie sehr die Krise den Fahrzeughersteller erwischt hat, wird deutlich im Umsatzrückgang, den der Kässbohrer-chef für das im September zu Ende gehende Folgegeschäftsjahr nennt. Um 25 Prozent niedriger werden die Erlöse aller Voraussicht nach liegen. Beim Gewinn geht Rottmair davon aus, dass Kässbohrer das Jahr noch knapp schwarz abschließt, obwohl erstmals in der Unternehmensgeschichte Tochtergesellschaften Verluste schreiben werden. „Für das nächste Jahr sind wir nicht sicher, ob wir in die schwarzen Zahlen kommen“, sagt er. „Das hängt alles vom Öffnen der Skigebiete ab.“
Gerettet hat den Fahrzeughersteller vor allem der Markt in Nordamerika. „Das Geschäft in den USA und Kanada hat auch während der Pandemie gebrummt, die Skigebiete waren zum größten Teil offen, auch wenn nicht so viele Menschen auf den Pisten waren“, sagt Rottmair. Nordamerika ist der größte Einzelmarkt für Kässbohrer, ein Viertel der Neufahrzeuge setzt das Unternehmen in normalen Jahren dort ab, danach folgen Deutschland, Italien und Frankreich mit zusammen 15, Österreich mit zehn bis 15 und die Schweiz mit acht Prozent.
In Europa werden im kommenden Winter auch die Prototypen des Pisten-bullys unterwegs sein, die ein Elektromotor antreibt. Ihre Batterien halten für zwei bis drei Stunden, weshalb sie nur für kleine Skigebiete oder für Langlaufloipen infrage kommen, denn in großen Ressorts sind Pisten-bullys oft sechs bis acht Stunden vom Schließen der Lifte um 16 Uhr bis Mitternacht unterwegs. „Das Problem ist die Reichweite, der Hauptantrieb wird wohl erst einmal der Diesel bleiben“, sagt Rottmair. Neu ist auch das um die Lidar-technologie erweiterte Snowsat-system von Kässbohrer. Damit kann der Fahrer eines Pisten-bullys auf eine Fläche von rund 2500 Quadratmeter vor sich den Schnee checken und an jeder Stelle prüfen, wie hoch er liegt, wo noch Schnee hingeschoben werden muss oder von wo noch Schnee geholt werden kann.
Bei aller Hoffnung auf einen kommenden, weißen Winter ist Jens Rottmair eine Sache klar: Das aktuelle Kerngeschäft von Kässbohrer, der Verkauf von Pistenraupen, ist unter Druck und wird in absehbarer Zeit schrumpfen. Der Klimawandel verändert Landschaft und Jahreszeiten grundlegend – in eine Richtung, die den Berg- und Schneefan Rottmair schmerzt. „Wenn die Klimaerwärmung
sich so weiter entwickelt, werden die Skigebiete weniger werden“, sagt der Kässbohrer-chef. Da haben wir uns strategisch darauf eingestellt.“Sprich: Kässbohrer versucht, das Know-how, das sich das Unternehmen über Jahrzehnte seit der Erfindung des Pisten-bullys erarbeitet hat, in anderen Situation anzuwenden. Und Kässbohrer ist für Kettenfahrzeuge bekannt, die sich sicher in unwegsamen Gelände bewegen.
Mit der Übernahme des Us-amerikanischen Fahrzeugbauers Soft Track Supply hat Kässbohrer 2014 begonnen, unter dem Namen Powerbully Kettenfahrzeuge zu entwickeln, die jenseits von Schnee und Eis, aber immer in unwegsamen Gelände unterwegs sind. Sie tragen entweder Geräte wie Bagger, Bohrer oder Kräne oder übernehmen Transportarbeiten von schweren Gütern. „Für uns ist das ein interessanter Markt, weil Kettenfahrzeuge, das können wir“, sagt Rottmair. Interessant auch deshalb, weil von dieser Art Fahrzeuge weltweit jedes Jahr zwischen 1500 und 1600 Modelle verkauft werden, bei den Schneeraupen liegt die Zahl nur zwischen 800 und 1000.
Der Markt ist interessant – und umkämpft. Bei den Pistenraupen ist Kässbohrer weltweit Marktführer, bei den Power-bullys ein Anbieter von weltweit sechs bis acht – und dabei der kleinste, unbekannteste. „Wir sind da noch ein Nobody, ganz klar“, sagt Rottmair. Im Moment hat ein Kässbohrer einen Power-bully auf dem Markt, das Unternehmen baut das Grundfahrzeug, das dann mit verschiedenen Aufbauten versehen werden kann.
Unter anderem hat Kässbohrer gemeinsam mit dem Ulmer Traditionsunternehmen Magirus einen Lösch-bully entwickelt, der 9000 Liter Wasser und zusätzlich 1000 Liter Schaum aufnehmen kann. Bei zwei weiteren Modellen ist die Entwicklung fast abgeschlossen: Die Kettenfahrzeuge sind als Transportbullys konzipiert. Zudem laufen seit zwei Jahren mit einem russischen Konzern Verhandlungen über die Lieferung von Power-bullys, die zu Instandhaltungszwecken eingesetzt werden sollen.
Die Power-bullys sollen und müssen das zweite wichtige Standbein von Kässbohrer werden, doch der Weg ist weit. Noch machen die klassischen Pisten-bullys 90 Prozent des Umsatzes aus. „Wir müssen sehen, dass wir von den 90 Prozent Schritt für Schritt runterkommen“, sagt Jens Rottmair. Den Eigentümer seines Unternehmens, das seit 2015 zu 100 Prozent zur Unternehmensgruppe Merckle gehört, weiß der Kässbohrer-chef dabei an seiner Seite. „Wir können uns glücklich schätzen, dass die Merckles unsere Eigentümer sind“, sagt Rottmair. „Ludwig Merckle versteht, was gerade passiert. Er ist ein leidenschaftlicher Skifahrer.“Wie Jens Rottmair.