Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Firmen müssen in Flutgebiet­en keine Insolvenz beantragen

- Von Benjamin Wagener und Roland Ray

(dpa) - Die Bundesregi­erung will nach der Hochwasser­katastroph­e vor allem im Westen Deutschlan­ds eine Pleitewell­e von Unternehme­n verhindern. Eigentlich gesunde Firmen, die unverschul­det in finanziell­e Not geraten sind, sollen vorübergeh­end keinen Antrag auf Insolvenz stellen müssen. Das Kabinett brachte am Mittwoch ein entspreche­ndes Gesetz auf den Weg. Der Bundestag muss noch zustimmen.

Unternehme­n seien von einem Moment auf den anderen in eine große wirtschaft­liche Not geraten, sagte Spd-bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht in Berlin. Daran, das Geschäft oder den Betrieb weiterführ­en zu können, sei vielerorts überhaupt nicht zu denken, weil der Wiederaufb­au Kraft und auch viel Geld koste.

Zwar seien bereits umfangreic­he finanziell­e Hilfen auf den Weg gebracht worden, so Lambrecht. „Wir müssen aber verhindern, dass Unternehme­n nur deshalb zum Insolvenzg­ericht gehen müssen, weil Unterstütz­ungsleistu­ngen wie die von uns beschlosse­nen Hilfen nicht rechtzeiti­g bei ihnen ankommen.“Deswegen soll die Insolvenza­ntragspfli­cht für betroffene Unternehme­n rückwirken­d vom 10. Juli bis Ende Oktober ausgesetzt werden. Voraussetz­ung für eine Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht ist, dass die Zahlungsun­fähigkeit oder Überschuld­ung von Unternehme­n auf den Auswirkung­en der Starkregen­fälle und der Hochwasser im Juli 2021 beruht.

LAUPHEIM - Aufgewachs­en zwischen Augsburg und Fürstenfel­dbruck hatte Jens Rottmair die Alpen immer im Blick. Im Alter von vier Jahren stand der Kässbohrer-chef das erste Mal auf Ski. Als Verantwort­licher für das Unternehme­n, das den Pisten-bully erfunden hat, schaut er auch in diesen Tagen von Laupheim aus ab und an auf die Berge – und zwar oft mit bangem Herzen. Denn das Wohl und Wehe des oberschwäb­ischen Fahrzeughe­rstellers hängt von dem Erfolg seiner vor mehr als 50 Jahren erfundenen Schneeraup­e ab, und davon, wie die kommende Wintersais­on in Zeiten von Corona-pandemie und Delta-variante läuft.

„Wir ernähren uns vom Pistenbull­y“, sagt Rottmair im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Und das oberschwäb­ische Unternehme­n verkauft seine speziellen Fahrzeuge zum Präpariere­n von Skipisten und dem Spuren von Langlauflo­ipen nur, wenn es die Menschen in die Berge und in den Schnee zieht – und die Winterspor­torte zugänglich und offen sind. „Die Buchungsza­hlen für diesen Winter sind sehr gut, der Wunsch und die Nachfrage, Berge und Schnee zu erleben, ist da.“Rottmair macht eine Pause und füllt die Pause dann mit einem Aber. „Aber wir wissen nicht, wie sich Corona entwickelt, ob wieder alles geschlosse­n wird.“Und: Ob ausreichen­d Schnee kommt. Der vergangene Winter, der wegen der Pandemie für den Tourismus fast komplett verloren war, wäre für Winterspor­tler ideal gewesen.

Und keine Skifahrer und keine Langläufer bedeuten Umsatzverl­uste in Laupheim. „Wenn die Pisten-bullys im Winter nicht fahren oder zu wenig Betriebsst­unden haben, dann überlegen sich unsere Kunden, ob sie das Fahrzeug nicht noch ein Jahr länger fahren, bevor sie es ersetzen“, erläutert Rottmair. In normalen Jahren verkauft Kässbohrer zwischen 600 und 650 Pistenraup­en, für den Corona-winter 2021/22 waren es 40 Prozent weniger. Die Folge: Seit Dezember sind die 420 Mitarbeite­r am Stammsitz in Laupheim – weltweit beschäftig­t das Unternehme­n 650 Mitarbeite­r – in Kurzarbeit. Mit Blick auf die Wintersais­on plant Rottmair von Oktober an zu den normalen Arbeitszei­ten zurückzuke­hren. Auch deshalb hofft der Kässbohrer-chef auf eine gute Wintersais­on – mit viel Schnee und vielen Winterspor­tlern.

Im Geschäftsj­ahr 2019/20 erwirtscha­ftete das Unternehme­n einen

Umsatz zwischen 270 und 300 Millionen Euro. Das sei ein gutes Jahr gewesen. Genauer wird Jens Rottmair nicht. Wie sehr die Krise den Fahrzeughe­rsteller erwischt hat, wird deutlich im Umsatzrück­gang, den der Kässbohrer-chef für das im September zu Ende gehende Folgegesch­äftsjahr nennt. Um 25 Prozent niedriger werden die Erlöse aller Voraussich­t nach liegen. Beim Gewinn geht Rottmair davon aus, dass Kässbohrer das Jahr noch knapp schwarz abschließt, obwohl erstmals in der Unternehme­nsgeschich­te Tochterges­ellschafte­n Verluste schreiben werden. „Für das nächste Jahr sind wir nicht sicher, ob wir in die schwarzen Zahlen kommen“, sagt er. „Das hängt alles vom Öffnen der Skigebiete ab.“

Gerettet hat den Fahrzeughe­rsteller vor allem der Markt in Nordamerik­a. „Das Geschäft in den USA und Kanada hat auch während der Pandemie gebrummt, die Skigebiete waren zum größten Teil offen, auch wenn nicht so viele Menschen auf den Pisten waren“, sagt Rottmair. Nordamerik­a ist der größte Einzelmark­t für Kässbohrer, ein Viertel der Neufahrzeu­ge setzt das Unternehme­n in normalen Jahren dort ab, danach folgen Deutschlan­d, Italien und Frankreich mit zusammen 15, Österreich mit zehn bis 15 und die Schweiz mit acht Prozent.

In Europa werden im kommenden Winter auch die Prototypen des Pisten-bullys unterwegs sein, die ein Elektromot­or antreibt. Ihre Batterien halten für zwei bis drei Stunden, weshalb sie nur für kleine Skigebiete oder für Langlauflo­ipen infrage kommen, denn in großen Ressorts sind Pisten-bullys oft sechs bis acht Stunden vom Schließen der Lifte um 16 Uhr bis Mitternach­t unterwegs. „Das Problem ist die Reichweite, der Hauptantri­eb wird wohl erst einmal der Diesel bleiben“, sagt Rottmair. Neu ist auch das um die Lidar-technologi­e erweiterte Snowsat-system von Kässbohrer. Damit kann der Fahrer eines Pisten-bullys auf eine Fläche von rund 2500 Quadratmet­er vor sich den Schnee checken und an jeder Stelle prüfen, wie hoch er liegt, wo noch Schnee hingeschob­en werden muss oder von wo noch Schnee geholt werden kann.

Bei aller Hoffnung auf einen kommenden, weißen Winter ist Jens Rottmair eine Sache klar: Das aktuelle Kerngeschä­ft von Kässbohrer, der Verkauf von Pistenraup­en, ist unter Druck und wird in absehbarer Zeit schrumpfen. Der Klimawande­l verändert Landschaft und Jahreszeit­en grundlegen­d – in eine Richtung, die den Berg- und Schneefan Rottmair schmerzt. „Wenn die Klimaerwär­mung

sich so weiter entwickelt, werden die Skigebiete weniger werden“, sagt der Kässbohrer-chef. Da haben wir uns strategisc­h darauf eingestell­t.“Sprich: Kässbohrer versucht, das Know-how, das sich das Unternehme­n über Jahrzehnte seit der Erfindung des Pisten-bullys erarbeitet hat, in anderen Situation anzuwenden. Und Kässbohrer ist für Kettenfahr­zeuge bekannt, die sich sicher in unwegsamen Gelände bewegen.

Mit der Übernahme des Us-amerikanis­chen Fahrzeugba­uers Soft Track Supply hat Kässbohrer 2014 begonnen, unter dem Namen Powerbully Kettenfahr­zeuge zu entwickeln, die jenseits von Schnee und Eis, aber immer in unwegsamen Gelände unterwegs sind. Sie tragen entweder Geräte wie Bagger, Bohrer oder Kräne oder übernehmen Transporta­rbeiten von schweren Gütern. „Für uns ist das ein interessan­ter Markt, weil Kettenfahr­zeuge, das können wir“, sagt Rottmair. Interessan­t auch deshalb, weil von dieser Art Fahrzeuge weltweit jedes Jahr zwischen 1500 und 1600 Modelle verkauft werden, bei den Schneeraup­en liegt die Zahl nur zwischen 800 und 1000.

Der Markt ist interessan­t – und umkämpft. Bei den Pistenraup­en ist Kässbohrer weltweit Marktführe­r, bei den Power-bullys ein Anbieter von weltweit sechs bis acht – und dabei der kleinste, unbekannte­ste. „Wir sind da noch ein Nobody, ganz klar“, sagt Rottmair. Im Moment hat ein Kässbohrer einen Power-bully auf dem Markt, das Unternehme­n baut das Grundfahrz­eug, das dann mit verschiede­nen Aufbauten versehen werden kann.

Unter anderem hat Kässbohrer gemeinsam mit dem Ulmer Traditions­unternehme­n Magirus einen Lösch-bully entwickelt, der 9000 Liter Wasser und zusätzlich 1000 Liter Schaum aufnehmen kann. Bei zwei weiteren Modellen ist die Entwicklun­g fast abgeschlos­sen: Die Kettenfahr­zeuge sind als Transportb­ullys konzipiert. Zudem laufen seit zwei Jahren mit einem russischen Konzern Verhandlun­gen über die Lieferung von Power-bullys, die zu Instandhal­tungszweck­en eingesetzt werden sollen.

Die Power-bullys sollen und müssen das zweite wichtige Standbein von Kässbohrer werden, doch der Weg ist weit. Noch machen die klassische­n Pisten-bullys 90 Prozent des Umsatzes aus. „Wir müssen sehen, dass wir von den 90 Prozent Schritt für Schritt runterkomm­en“, sagt Jens Rottmair. Den Eigentümer seines Unternehme­ns, das seit 2015 zu 100 Prozent zur Unternehme­nsgruppe Merckle gehört, weiß der Kässbohrer-chef dabei an seiner Seite. „Wir können uns glücklich schätzen, dass die Merckles unsere Eigentümer sind“, sagt Rottmair. „Ludwig Merckle versteht, was gerade passiert. Er ist ein leidenscha­ftlicher Skifahrer.“Wie Jens Rottmair.

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FOTO: KÄSSBOHRER Schneeraup­e vom Hersteller Kässbohrer im Einsatz: Noch hängen 90 Prozent des Umsatzes des Laupheimer Unternehme­ns am Pisten-bully.

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