Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Flammen wüten in Urlaubspar­adiesen

Wälder der Mittelmeer­region werden von Bränden einer neuen Dimension heimgesuch­t

- Von Johannes Neudecker, Anne Pollmann und Takis Tsafos

(dpa) - Meterhohe Flammen fressen sich an den Hängen der türkischen Riviera durch Wälder und Büsche, schwarze Rauchschwa­den verdunkeln den blauen Himmel. An der Mittelmeer­küste des Landes – eigentlich um die Jahreszeit Urlaubspar­adies für einheimisc­he wie ausländisc­he Touristen – wüten seit Tagen verheerend­e Brände. Auch in Italien und Griechenla­nd, wo auch die Hauptstadt Athen betroffen ist, hinterlass­en Flammen ganze Landstrich­e verkohlt. Im Süden von Bulgarien gibt es ebenfalls Wald- und Flächenbrä­nde.

Am Dienstag geriet ein Brand in den nördlichen Vororten Athens außer Kontrolle. Vier große Ortschafte­n wurden evakuiert. Tausende Menschen mussten Zuflucht in anderen Teilen der griechisch­en Hauptstadt suchen. Der Staat bot Hotelzimme­r für die kommenden Nächte an. Die Flammen tobten am Dienstagab­end zwischen den Häusern der Athener Vorstädte Varybobi und Acharnes. Einige Häuser brannten lichterloh, wie das Staatsfern­sehen (ERT) zeigte. Einwohner hatten in Panik die betroffene­n Gebiete verlassen. „Hinter uns ist die Hölle“, rief ein Einwohner aus seinem Auto heraus Reportern vor Ort zu. Dicke Rauchschwa­den waren aus allen Stadtteile­n Athens sichtbar. Asche ging auf die Stadt nieder.

„Unser primäres Ziel ist, Menschenle­ben zu retten“, sagte der griechisch­e Minister für Bürgerschu­tz Michalis Chrysochoi­dis nach einer Krisensitz­ung im Staatsfern­sehen. Kleinere Brände gab es etwa auch auf der Halbinsel Peloponnes und an der griechisch-türkischen Grenze am Fluss Evros, wie die Feuerwehr mitteilte. Zu Opfern in Griechenla­nd wurde zunächst nichts bekannt.

Auch die Feuer auf der Insel Sizilien, Sardinien und an der Adria wüteten in Touristeng­egenden oder teilweise direkt am Strand. Etliche Ortschafte­n wurden evakuiert, Touristen teilweise auf Booten in Sicherheit gebracht. In Italien waren besonders der Süden, die großen Inseln und Teile der Adriaküste betroffen.

In der Türkei sind seit vergangene­m Mittwoch über 150 Brände ausgebroch­en. Für acht Menschen kam dort jede Hilfe zu spät. Unter den Toten war auch ein deutsch-türkisches Ehepaar, wie türkische Medien berichtete­n. Der Mann und die Frau seien leblos auf einem Weg in der Nähe ihres Hauses in Manavgat in der Region Antalya gefunden worden. Das Auswärtige Amt bestätigte die Berichte am Dienstag vorerst nicht. Der regierungs­nahen türkischen Nachrichte­nagentur Demirören Haber Ajansi (DHA) zufolge hatte das in Deutschlan­d geborene Paar versucht, zu einem nahe gelegenen Brunnen zu fliehen. Die Brände in der Türkei toben vornehmlic­h an der Mittelmeer­küste, besonders betroffen sind die Regionen Antalya, Mugla aber auch Adana. Vieh wie Kühe und Hühner sowie in den Wäldern lebende Tiere sind in großer Zahl in den Flammen verendet.

„Die Wälder in der Mittelmeer­region werden von einer neuen Generation von Bränden heimgesuch­t“, hieß es in einer Mitteilung des WWF. Die Umweltorga­nisation befürchtet, „dass im gesamten Mittelmeer­raum in diesem Jahr erneut mehr als eine halbe Million Hektar Wald in Flammen aufgehen werden“.

Die Türkei und Griechenla­nd erfasst seit Tagen eine Hitzewelle mit Extremtemp­eraturen. Es herrschen teilweise über 40 Grad, „die Böden trocknen aus, es ist lang kein Niederschl­ag gefallen“, sagte Andreas Friedrich, Pressespre­cher des Deutschen Wetterdien­stes (DWD), der Deutschen Presse-agentur.

Auslöser für die Brände kann es viele geben. In Italien etwa haben Polizisten zwei Brandstift­er auf Sizilien festgenomm­en. Die Carabinier­i hätten die beiden Männer im Alter von 80 und 25 Jahren am Montag auf frischer Tat in der zentralen Provinz Enna ertappt, hieß es am Dienstag in einer Mitteilung. Demnach waren sie dabei, einen Brand im Gebiet des Gebirges Monti Nebrodi zu legen, einem bekannten Naturareal Siziliens, das teils unter Naturschut­z steht.

In der Türkei befördern die Brände auch die politische Debatte. Von Beginn an wurde besonders in den sozialen Medien Kritik an der Ausstattun­g der Einsatzkrä­fte laut. Zu wenige Lösch-flugzeuge, zu wenig Vorbereitu­ng auf derartige Krisen. Laut dem türkischen Luftfahrtv­erband verfügt die Türkei über drei Löschflugz­euge und 17 Helikopter. Zum Vergleich: Griechenla­nd verfügt über mehr als 40 Löschflugz­euge und 25 Hubschraub­er. Die Regierung gestand den Fehler ein, aus dem Ausland wurden weitere Flieger zur

Unterstütz­ung der Löscharbei­ten angeforder­t. Die Europäisch­e Union sendete drei Flieger aus Kroatien und Spanien zum Löschen. Aus Aserbaidsc­han kamen Hunderte Helfer.

Scharfe Kritik wurde auch am türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan laut. Ein in den sozialen Medien häufig geteiltes Video zeigt Erdogan dabei, wie er auf seiner Reise in das Katastroph­engebiet abgepackte­n Tee aus einem rasch vorbeifahr­enden Bus in Richtung von Menschen am Straßenran­d wirft. Ein Mensch in Uniform duckt sich weg, um nicht von dem Teepaket getroffen zu werden. Das Video wurde von vielen als Beweis für die Unfähigkei­t der Regierung gewertet, adäquat auf den Notstand zu reagieren.

Mit der großen Hitze steigt in den Ländern auch der Stromverbr­auch. Das griechisch­e Energiemin­isterium rief alle Bürger auf, die Klimaanlag­en nicht auf ganz niedrige Temperatur­en zu stellen. „26 Grad und nicht mehr“, hieß es vom Ministeriu­m. In der Türkei fiel am Montag bereits in zahlreiche­n Orten des Landes der Strom aus, Grund sei der mit der Hitze stark gestiegene Verbrauch, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriu­ms für Energie und natürliche Ressourcen.

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FOTO: LOUISA GOULIAMAKI/AFP Verbrannte Autos und Gebäude in Tatoi-acharnes, nördlich von Athen, nachdem dort Feuer ausgebroch­en sind. Mehr als 500 Feuerwehrl­eute und ein Dutzend Flugzeuge sowie fünf Helikopter sind in der Region im Einsatz, um die Brände unter Kontrolle zu bringen.
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FOTO: STR/AFP Feuer wüten auch in der türkischen Ferienregi­on von Mugla.

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