Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wie die Römer ihre Gegner mit Worten niederrang­en

Dennis Pausch dokumentie­rt in „Virtuose Niedertrac­ht“die Obszönität­en in der Antike

- Von Sebastian Fischer

Kaum eine Schmähung scheint zu abwegig auf der Suche nach der höchsten Abwertung. Dass sich einmal deutsche Politiker gegenseiti­g als „Wildsau“und „Gurkentrup­pe“verspottet­en, war vor zehn Jahren vielleicht noch einen Aufreger wert, heute lockt es zu kaum mehr als einem müden Lächeln. Der mittlerwei­le immer rauere Ton und häufig auch abschätzig­e Hass in sozialen Medien hat in den letzten Jahren offenbar ganze Arbeit der Abstumpfun­g geleistet.

Doch ist diese giftige Art des Unfriedens kein Sonderfall der Moderne oder eine den Internet-kommentars­palten vorbehalte­ne Verrohung. Schon die Streitkult­ur der noch heute idealisier­ten Antike hat ihre eigenen Blüten der Garstigkei­t gedeihen lassen. Der Dresdner Altphilolo­ge Dennis Pausch geht in seinem neuen Buch „Virtuose Niedertrac­ht“der Kunst der Beleidigun­g im Alten Rom auf den Grund und zeigt die deftigsten Szenen damaliger Geistesgrö­ßen.

Da ist etwa Cicero, rhetorisch­es Vorbild für Jahrhunder­te, den Autor Pausch für eines der „größten Talente auf dem Feld der kunstvolle­n Beleidigun­g“hält. Der Politiker und Schriftste­ller zähle die „ars invectiva“(„Kunst des Schmähens“) zum scharfen Besteck eines herausrage­nden Redners.

In einer höchst aggressive­n und verletzend­en Rede spricht Cicero einen politische­n Rivalen zum Beispiel mit „o tenebrae, o lutum, o sordes“an, also als „schwarzes Nichts, Stück Kot, Schandflec­k“. Der harte Schlagabta­usch der beiden im römischen

Senat erreicht mit der nachträgli­ch verschrift­lichten Rede seinen rhetorisch­en Höhepunkt.

Besonders beliebt ist bei den Römern die sexuelle Herabwürdi­gung. Ziel der Schmach sind vor allem Männer, denen unterstell­t wird, im Liebesakt mit einem anderen Mann als „cinaedus“die passive Rolle zu übernehmen. Dieser Vorwurf klebt selbst an Diktator Julius Caesar, den Dichter Catull in einem frivolen Vers mit einem Verweis auf den Gründer

Roms eindeutig zweideutig als „cinaede Romule“betitelt.

Catull ist bekannt für seine Vorliebe für Gossenvoka­bular: Das Werk eines mittlerwei­le vergessene­n Autoren ist für ihn etwa eine „cacata carta“(„vollgekack­tes Papier“). Zwei Dichterkol­legen droht er per Vers sogar an, sie zu schänden und oral zu penetriere­n: „pedicabo ego vos et irrumabo“. Doch sind die beiden keine Erzfeinde Catulls, sondern wohl seine Freunde, die, wie Pausch schreibt, die Provokatio­nen „nicht für bare Münze, sondern als Beweis ihres ebenso vertrauten wie vertrauens­vollen Umgangs“nehmen.

Die etwas gesitteter­e Form des Austeilens beherrscht hingegen Roms größter Dichter Vergil. In seinen „Eklogen“rasiert er die Werke zweier konkurrier­ender Poeten, indem er spottet: Wer deren Gedichte möge, „der soll auch Füchse vor seinen Wagen spannen und Böcke melken“(„atque idem iungat vulpes et mulgeat hircos“). Soll heißen: Ein paar Schrauben sind da schon locker.

In Rom gibt es viele Spielarten der Beleidigun­g, die wir noch heute kennen: In einer Art Fat Shaming schreibt Cato der Ältere über einen Ritter, er sei zu schwer, um ordentlich ein Pferd zu reiten. Horaz spottet unverhüllt über „olentem Mevium“, den „stinkenden Mevius“.

Auch wenn der derbe Hohn häufig ohne große Konsequenz­en bleibt, ist der Adressat der Schmähung doch nicht aus den Augen zu verlieren. Der Redner Asinius Pollio stellt etwa einmal mit Blick auf den künftigen Kaiser Augustus fest: „Es ist nämlich nicht einfach gegen den etwas zu schreiben, der Todesurtei­le verhängen kann.“(„Non est enim facile in eum scribere qui potest proscriber­e.“)

Cicero lebt nach eigener Aussage in einer Gesellscha­ft mit einer besonderen Vorliebe für Schmähunge­n („in tam maledica civitate“). In der Antike finden gelungene Formen der verbalen Provokatio­n nämlich durchaus ihre Bewunderer. Tabubrüche gelten nicht nur als negativ.

Die 2000 Jahre alte Häme steht aktuellen Verhöhnung­en in nichts nach. Altphilolo­ge Pausch liefert mit seiner Zusammenst­ellung auch neue Blickwinke­l auf Beleidigun­gen von heute. Zuweilen ist es bei der Lektüre erschrecke­nd, wie lange bestimmte Arten der Kränkung überdauern. Was einmal als Graffito an einer Wand in Pompeji stand, könnte genauso gut auch heute in sozialen Medien auftauchen.

Doch eins sollte man dabei nicht verwechsel­n: Verachtend­e „hate speech“ist alles andere als eine „ars invectiva“. (dpa)

Dennis Pausch: Virtuose Niedertrac­ht. Die Kunst der Beleidigun­g in der Antike, C.h.beck Verlag, 223 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: MICHAEL KNEFFEL/IMAGO IMAGES Statuen von römischen Rednern aus der Antike im Treppenhau­s des Brüsseler Justizpala­stes: Offensicht­lich nahmen sie bei ihren Vorträgen kein Blatt vor den Mund.
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