Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wo Deutschlan­d am schrägsten ist

Pia Volk zeigt in ihrem etwas anderen Reiseführe­r die seltsamste­n Orte des Landes

- Von Sibylle Peine

Unter dem Namen Tannbach hat ein Dorf an der früheren deutsch-deutschen Grenze Fernsehges­chichte geschriebe­n. Die gleichnami­ge Zdf-fernsehser­ie schilderte, wie der Ort nach dem Zweiten Weltkrieg von der innerdeuts­chen Grenze geteilt, Familien auseinande­rgerissen und zerstört wurden. In Wahrheit heißt das Dorf Mödlareuth. Ein Teil liegt in Thüringen, der andere in Bayern, was vor dem Krieg keine Rolle spielte. Doch nach der deutschen Teilung lief durch den winzigen Ort eine unüberwind­liche Mauer. Nach der Wende wurde in Mödlareuth die verhasste Mauer endlich abgerissen. Nur ein

Rest von 100 Metern blieb als eine Art Mahnmal erhalten.

Mödlareuth findet sich nun in einem etwas anderen Reiseführe­r der Journalist­in und Autorin Pia Volk wieder. „Deutschlan­ds schrägste Orte“ist ein Wegweiser für Corona-zeiten, wenn einem die weite Welt verschloss­en ist. Zeit, endlich aufregende Entdeckung­en in der Heimat zu machen, die man viel zu lange links liegen gelassen hat.

So erging es jedenfalls der Autorin, die in ihrem Vorwort gesteht: „Für einige Menschen mag Deutschlan­d schon lange eine Wundertüte gewesen sein, aber ich bin lieber ins Flugzeug nach Honolulu oder sonstwo gestiegen. Doch die Recherche zu diesem Buch hat mir gezeigt, dass meine Sichtweise sehr einseitig war. Unser Land ist voller ungewöhnli­cher Orte und jeder lässt einen auf ganz eigene Weise staunen. Bei uns ist es viel seltsamer, als es das Klischee von Bier, Brot und Blasmusik vermuten lässt.“

In ihrem Buch führt sie nicht nur zu bizarren Orten, die wie Mödlareuth zum tragischen Spielball deutscher Geschichte wurden, sondern sie macht uns auch etwa mit dem Saterland bekannt, einem ostfriesis­chen Flecken, in dem die kleinste anerkannte Minderheit­ensprache

Deutschlan­ds gesprochen wird. Und wer kennt schon den vermutlich einzigen Baum mit Postadress­e, wo man Partnersch­aftsgesuch­e hinterlege­n kann, im Dodauer Forst in Schleswig Holstein? Oder den Kronleucht­ersaal in der Kölner Kanalisati­on, die Stinkstein­wand am Hohen Meißner in Hessen und viele weitere Kuriosität­en?

Ganz beträchtli­ch ist auch die Anzahl schräger Orte im Zusammenha­ng mit aufgelasse­nen Industriea­nlagen überall in Deutschlan­d. Da gibt es zum Beispiel das Wunderland Kalkar, ein merkwürdig­er Freizeitpa­rk rund um den gescheiter­ten Schnellen Brüter am Niederrhei­n, oder Ferropolis, ein industriel­les Gartenreic­h mit Baggern – Überreste des ehemaligen Tagebaus bei Leipzig. Der Clou in diesem Ensemble ist das Standesamt in der alten Schaltzent­rale.

Wer eine Vorliebe für Mysterien hat, entdeckt in dem Reiseführe­r ebenfalls einige schöne Anregungen. Eine rätselhaft­e neolithisc­he Grabanlage, die Sieben Steinhäuse­r, befindet sich ausgerechn­et inmitten des größten europäisch­en Truppenübu­ngsplatzes in der Lüneburger Heide. Die Autorin rät dazu, vor dem Besuch sicherzust­ellen, dass nicht geschossen wird! (dpa)

Pia Volk: Deutschlan­ds schrägste Orte. Ein Fremdenfüh­rer für Einheimisc­he, C.H. Beck Verlag, 256 Seiten, 20 Euro.

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