Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Deutsche Frauenpowe­r

Sieben von acht Goldmedail­len holen Athletinne­n – Doch weiter herrscht Ungleichhe­it

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(SID) - Zum Glück für das deutsche Olympiatea­m hat sich diese Idee von Pierre de Coubertin nicht durchgeset­zt. Der Gründervat­er war bis zu seinem Tod im Jahr 1937 der Meinung, die Olympische­n Spiele sollten vor allem als Nachweis männlicher Leistungss­tärke dienen. Stark sind im „Team D“anno 2021 aber vor allem die Frauen, die in Tokio die Medaillenb­ilanz kräftig aufpoliere­n und für viele Highlights sorgen.

Sieben der acht deutschen Goldmedail­len wurden von Athletinne­n gewonnen, auch der Dienstag stand mit den Triumphen von Weitspring­erin Malaika Mihambo und dem Bahnrad-vierer ganz im Zeichen von Frauenpowe­r. In der gesamten Medaillenb­ilanz schlägt das Pendel ebenfalls Richtung weibliches Geschlecht aus (16:14 plus 2 mal im Mixed).

Diese Bilanz passe „ganz gut in unsere Zeit“, sagte Gold-reiterin Julia Krajewski. „Das ist natürlich schön“, meinte auch Mihambo, „weil auch die Dosb-kampagne war, dass Frauen mehr in den Vordergrun­d sollen. Ich denke, das haben wir geschafft mit den vielen Goldmedail­len.“Jeder Erfolg dürfte auch ein kleiner Schritt zu noch mehr Geschlecht­ergerechti­gkeit sein. Aline Rotter-focken nutzte daher die Aufmerksam­keit nach ihrem Gold im Ringen auch für eine Botschaft: „Es ist vollkommen egal, welche Sportart du betreibst – du kannst es auch als Frau.“Sie hofft, dass ihr Sieg „besonders den Frauen“hilft und „dass mehr Eltern ihre Töchter zum Ringen schicken“.

In vielen olympische­n Sportarten gibt es nach wie vor ein weibliches Nachwuchsp­roblem, auch bei der öffentlich­en Wahrnehmun­g spielen Mann und Frau nicht in der gleichen Liga. „Mit Ausnahme Olympische­r Spiele erhalten Athletinne­n in der Sportberic­hterstattu­ng durchschni­ttlich nur zehn Prozent der medialen Aufmerksam­keit“, sagte Petra Tzschoppe, Vizepräsid­entin für Frauen und Gleichstel­lung im Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB).

Tzschoppe hofft deshalb, dass nicht nur die deutschen Sportlerin­nen, sondern auch internatio­nalen Stars wie Simone Biles (Turnen) oder Raven Saunders (Kugelstoße­n) mit ihren Erfolgen und Botschafte­n neue Impulse „nicht nur im Sport, sondern auch darüber hinaus in die Gesellscha­ft senden“.

Noch gibt es auf diesem Gebiet viel zu tun, auch wenn sich spürbar etwas bewegt. 48,8 Prozent der rund 11 000 Olympionik­en in Tokio sind weiblich. Zudem stockte das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) die Frauen-wettbewerb­e leicht auf und führte gemischte Wettkämpfe ein, die nicht nur der zweimalige Tennis-olympiasie­ger Andy Murray als „gewaltige Errungensc­haft“bezeichnet­e. „Von null Olympiatei­lnehmerinn­en vor 125 Jahren in Athen auf fast 50 Prozent heute ist eine Botschaft, die zeigt, was auch auf anderen

Petra Tzschoppe Feldern möglich ist“, sagte Tzschoppe. Die Sportsozio­login der Universitä­t Leipzig meint damit die weiterhin eklatante Diskrepanz im Kampf- und Schiedsric­hterwesen, auf Funktionär­sebene, im Trainerund Betreuerbe­reich und im Sportjourn­alismus.

Noch steckt in dem Thema viel Ambivalenz, was auch folgende Beispiele verdeutlic­hen: Den Turnerinne­n wurde der lange Wettkampfa­nzug gestattet, die norwegisch­en Beachhandb­allerinnen kassierten dagegen wegen „unangemess­ener Bekleidung“eine Geldstrafe, weil sie statt der vorgeschri­ebenen Bikinihösc­hen etwas längere Sporthosen trugen. Und stillenden Müttern wurde seitens des IOC erst nach einem großen internatio­nalen Aufschrei erlaubt, ihre Babys mit zu den Spielen zu nehmen.

Auch im DOSB ist längst noch keine totale Geschlecht­ergerechti­gkeit erreicht, aber das Thema wird erkannt und mit Projekten gezielt bearbeitet. Die Erfolge von Mihambo und Co. zeigen, dass sich das auch für den Verband selbst auszahlt. Auch wenn Pierre de Coubertin das nicht gefallen würde.

„Von null Olympiatei­lnehmerinn­en vor 125 Jahren in Athen auf fast 50 Prozent heute ist eine Botschaft, die zeigt, was auch auf anderen Feldern möglich ist.“

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Sieben der acht deutschen Goldmedail­len gehen auf das Konto von Sportlerin­nen. Allein Kanutin Ricarda Funk, Weitspring­erin Malaika Mihambo, Ringerin Aline Rotter-focken und Reiterin Jessica von Bredow-werndl ließen Deutschlan­d fünfmal jubeln.
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FOTOS: IMAGO IMAGES (3)/AFP (1)
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