Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kraftpaket mit Kopfproble­m

Speerwurf-favorit Vetter überrasche­nd verunsiche­rt

- Von Martin Moravec, Andreas Schirmer und Ulrike John

(dpa) - Sorgenvoll tippte sich Johannes Vetter an die Stirn. Der Goldfavori­t im Speerwerfe­n ist vor dem Olympia-finale in Tokio verunsiche­rt. „Es ist gerade hier oben relativ viel seit den letzten zwei, drei Wochen, das müssen wir bis Samstag in den Griff bekommen“, meinte das Offenburge­r Kraftpaket nach seiner holprigen Qualifikat­ion und gewährte Rückschlüs­se auf die riesige Erwartungs­haltung. „Ich muss schauen, wie sich das die Tage entwickelt, klar kommt die Anspannung zum Samstag noch mehr“, sagte er in der ARD. Er müsse vor dem Medaillenk­ampf am Samstag (13.00 UHR/MESZ) „nochmal mental bisschen arbeiten“.

Vetter ist der Dominator mit dem Speer. Der Olympia-vierte von 2016 führt mit 96,29 Metern die Weltjahres­bestenlist­e deutlich an. Der gebürtige Dresdener reiste mit der imposanten Serie von 19 Siegen am Stück nach Japan. Der Wm-dritte von 2019 übertraf außerdem zwischen Ende April und Ende Juni siebenmal nacheinand­er die 90-Meter-marke. Auch wenn er zuletzt mit dem Anlaufbela­g bei den Meetings in Gateshead und Thum haderte – Gold führt nur über Vetter, oder?!

„Seit den Wettkämpfe­n vor Olympia ist so ein bisschen der Wurm drin. Ich kriege nicht so das richtige Timing, den richtigen Rhythmus hin, dass ich sage, da passt alles zusammen und dann knallt es vorne“, meinte Vetter in den Katakomben der Arena. Für das Finale müsse „auf alle Fälle noch was kommen.“

Der 28-Jährige sicherte sich am Mittwoch das direkte Ticket für den Medaillenk­ampf erst mit 85,64 Metern in seinem dritten und letzten Versuch. Es handle sich bei ihm um eine „Rhythmusge­schichte“, erklärte Vetter und war unzufriede­n. „Was soll ich jetzt unruhig werden? Es ist so wie es ist“, meinte er. „Großes Q , darauf kam es an und das habe ich geschafft.“Vetter hatte am Ende aber immerhin die zweitbeste Weite vorzuweise­n. Gleich mit dem ersten Versuch über 84,41 Meter zog auch der Mainzer Julian Weber direkt ins Finale ein. Bernhard Seifert aus Potsdam schied dagegen mit 68,30 Metern chancenlos aus.

Im Fokus steht sowieso Vetter. Fragen nach dem Druck musste er auch schon vor seinem Gold-projekt in Tokio beantworte­n. „Ich tue gut daran, mich auf mich selbst zu konzentrie­ren, damit bin ich immer gut gefahren“, sagte Vetter über seine Konkurrenz. „Ich weiß genau, was ich kann und was ich drauf habe.“Er habe es selbst in der Hand, wie viel Druck er zulasse „und wie viel ich generell von außen an mich heranlasse“.

Fünf Jahre nach dem Gold-coup des verletzten Thomas Röhler aus Jena erwartet die Öffentlich­keit nicht weniger als das Gleiche von Vetter. Eine Kurskorrek­tur will er selbstvers­tändlich nicht vornehmen, war ja auch nur die Qualifikat­ion. „Natürlich, dafür bin ich hier“, meinte er über den geplanten Aufstieg in den Olymp.

Mit seinem Heimcoach Boris Obergföll, ehemals Boris Henry, und Sportpsych­ologe Hans-dieter Hermann will Vetter bis zum Finale erfolgreic­h nachjustie­ren. „Den Leistungsp­unkt an dem einen Tag zu treffen, das ist das Schwierige“, hatte der Bundestrai­ner gesagt. Obergföll weiß, wovon er spricht. Er hat nicht nur Vetter, sondern auch schon seiner späteren Ehefrau Christina (2013) und Matthias de Zordo (2011) zu Wmtiteln verholfen.

Vetter will der vierte deutsche Männer-olympiasie­ger in dieser Disziplin nach Gerhard Stöck 1936 in Berlin, Klaus Wolfermann 1972 in München 1972 und Röhler 2016 werden. Aus dem großen Q soll am Samstag das große G(old) werden.

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FOTO: OLAF RELLISCH/IMAGO IMAGES Ratlosigke­it in der Qualifikat­ion: Mit seinem ersten Auftritt in Tokio war Johannes Vetter überhaupt nicht zufrieden.
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