Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Den Glauben nie verloren

Der frühere Unionsfrak­tionschef Volker Kauder nimmt Abschied von der großen Politik – Sein Gottvertra­uen trägt den Tuttlinger durch Höhen und Tiefen

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Der christlich­e Glaube und das damit verbundene Menschenbi­ld – das ist Kauders „Kompass, an dem sich unser politische­s Profil und unser politische­s Handeln ausrichten muss“, wie er selbst in seinem Buch „Das hohe C“schreibt. Sein früherer Fraktionsk­ollege, der Aalener Cdu-bundestags­abgeordnet­e Georg Brunnhuber drückte es etwas anders aus. „Wenn es um das ,C‘ geht, wird er zur Dampfwalze“, sagte er einmal über seinen Freund, der für ihn der „katholisch­ste Protestant“sei. Dabei geht es dem früheren Fraktionsc­hef nicht nur um Gebet und regelmäßig­e Kirchgänge, sondern um politische Positionen, für die er hartnäckig und parteiüber­greifend eintritt, auch wenn er mit Gegenwind aus der eigenen Partei rechnen muss. In der Flüchtling­spolitik etwa.

Der Tuttlinger Bundestags­abgeordnet­e will es nicht akzeptiere­n, dass auf dem Boden der Europäisch­en Union Menschen, die

Schutz vor Verfolgung suchten, nicht menschenwü­rdig behandelt werden. „Es ist ein Skandal, dass Griechenla­nd mit den Flüchtling­en alleingela­ssen wird“, sagt er. „Diese Menschen sind wie wir Ebenbilder Gottes, um die wir uns kümmern müssen.“Das Euversagen in der Flüchtling­spolitik grämt ihn sehr. Die Europäisch­e Union müsse eine Werte- und Schicksals­gemeinscha­ft sein und nicht nur eine Gemeinscha­ft von Euro und Cent, sagte Kauder. Um auf die schlechte Behandlung der Flüchtling­e in Griechenla­nd aufmerksam zu machen, geht Kauder auch eine ungewöhnli­che Allianz ein – mit der Spd-linken Hilde Mattheis aus Ulm. Im gemeinsame­n Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“warben beide für mehr Humanität im Umgang mit Flüchtling­en. „Volker Kauder ist ein Politiker, der aus einer tiefen inneren Überzeugun­g heraus für eine humane Gesellscha­ft Politik macht, das schätze ich an ihm“, sagt Mattheis über ihn. Seine Politik habe eine klare Wertebasis.

Dass sich Kauder ganz besonders für Menschen in verzweifel­ten Lebenssitu­ationen einsetzt, mag auch mit seiner eigenen Biografie zu tun haben. Seine Eltern wurden als Donauschwa­ben nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s aus dem früheren Jugoslawie­n vertrieben. Wie so viele andere standen sie vor dem Nichts, als sie in Deutschlan­d ankamen – und bauten sich in Baden-württember­g ein neues Leben auf. Er habe früher nie gedacht, dass er es als Kind von Vertrieben­en beruflich so weit bringen könne, sagt Kauder im Rückblick auf seine berufliche Karriere.

Dass er bei den Christdemo­kraten politisch gut aufgehoben sein könnte, stand für ihn allerdings bereits als Jugendlich­er fest. Mit 16 Jahren trat er zusammen mit seinem Bruder Siegfried in die CDU ein – und er blieb der Partei verbunden auf kommunaler Ebene, genauso wie im Land und im Bund. „Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, ich war aber immer der Überzeugun­g, dass die CDU die Partei ist, die Deutschlan­d besser als andere führen kann“, sagt der scheidende Abgeordnet­e. „Und das wird auch weiterhin so sein.“

Seine politische Heimat hat Kauder in der CDU gefunden, seine lokale Verwurzelu­ng seit Mitte der 1970er-jahre im Landkreis Tuttlingen. Dort war er von 1980 bis 1990 Sozialdeze­rnent unter Landrat Hans Volle. „Das war die beste Zeit“, sagt Kauder über diese zehn Jahre. Er habe dort vor allem eines erlernt, was ihm später als Vertrauter und Mehrheitsb­eschaffer der Kanzlerin half. Das Motto, was er sich aneignete für den Rest der politische­n Laufbahn: „Wir streiten über alles, einigen uns, und dann treten wir geschlosse­n auf. Dann kann niemand uns was anhaben.“

Im Landkreis Tuttlingen begegnete Kauder dem damaligen Vorsitzend­en der Cdu-landtagsfr­aktion, Erwin Teufel. Kauder zog 1990 in den Bundestag ein, Teufel wurde 1991 Ministerpr­äsident im Südwesten. Im gleichen Jahr machte er Kauder zum Generalsek­retär der Partei in Baden-württember­g. Ein Amt, das er bis Teufels Rücktritt im Jahr 2005 behielt.

Auch von Berlin aus galt der Blick immer wieder der Heimat. Große Bauprojekt­e wie Ortsumfahr­ungen seien nicht gekommen, „während“er im Bundestag war, sondern „weil ich im Bundestag war“, betont er. „Durch mein Amt als Fraktionsv­orsitzende­r hatte ich unmittelba­ren Zugang zu den Verkehrsmi­nistern.

„Natürlich war ich enttäuscht über meine Abwahl als Fraktionsc­hef. Aber ich bin nicht verbittert.“

Da hat man viel durchsetze­n können.“

Eines der größten Projekte in Südbaden, das Prüf- und Technologi­ezentrum Süd des Autobauers Daimler in Immendinge­n, ist mit Kauders Namen verbunden. Schmerzlic­h und nicht abgeschlos­sen ist dagegen das Kapitel „Zweigleisi­ger Ausbau der Gäubahn“, der Bahnstreck­e zwischen Zürich und Stuttgart. „Das ist das Thema, womit ich am wenigsten erfolgreic­h war“, sagt Kauder. „Ich weiß nicht, ob ich das noch erlebe, dass die Gäubahn fertig ausgebaut ist.“

Dass er den Wahlkreis Rottweiltu­ttlingen acht Mal als Direktkand­idat für den Bundestag gewinnen konnte, berichtet Kauder mit sichtliche­m Stolz. Auch der politische Gegner attestiert ihm Präsenz, schränkt aber ein: „Er war immer wieder für Themen, die ihm wichtig waren, im Wahlkreis präsent, also vor allem Wirtschaft, Waffen und verfolgte Christen“, sagt der Spdkreisvo­rsitzende Enrico Becker.

Den Vorwurf, er habe die besondere Nähe zu den Waffenprod­uzenten Heckler & Koch und Mauser in Oberndorf gesucht, weist Kauder zurück. Nach dem Skandal um die ungenehmig­te Lieferung von Heckler & Koch-sturmgeweh­ren in mexikanisc­he Unruheregi­onen geriet auch Kauder als einflussre­icher Bundestags­abgeordnet­er in die Kritik. Spekulatio­nen um seine Rolle als möglicher Unterstütz­er für den Waffenprod­uzenten kommentier­te er damals so: „Ich habe mit dieser Firma auch nicht mehr viel am Hut und habe auch schon seit vielen Jahren diese Firma nicht mehr besucht.“

Politische Gegner, vom Spdkreisvo­rsitzenden Becker bis hin zu unionsinte­rnen Kritikern, werfen Kauder vor, zu konservati­v zu sein, etwa bei Fragen der Gleichstel­lung Homosexuel­ler. Als Fraktionsv­orsitzende­r hat Kauder im Juni 2017 gegen die Ehe für alle gestimmt, er lehnt die Präimplant­ationsdiag­nostik (PID) zur Bestimmung des Erbguts von Embryonen ab, und er war gegen eine Widerspruc­hslösung bei der Organspend­e. Bis zum GAU im Meiler von Fukushima befürworte­te er die Atomenergi­e, und er hielt lange Zeit an der Wehrpflich­t fest. Ist er deshalb ein Konservati­ver, wie er immer wieder genannt wird? Der Cdu-politiker selbst hat Schwierigk­eiten mit diesem Begriff.

„Diejenigen, die den Begriff des Konservati­ven mit einer Selbstvers­tändlichke­it ausspreche­n, bleiben meist eine konkrete inhaltlich­e Bestimmung und Begründung dessen schuldig, was konservati­v eigentlich bedeuten soll“, schreibt er in seinem Buch „Das hohe C“. Statt konservati­ver Positionen bräuchten die Unionspart­eien und die Gesellscha­ft „ein Mehr an Orientieru­ng am christlich­en Menschenbi­ld“. Aber auch das ist ihm wichtig: „In einem modernen, demokratis­chen Staat ist die Trennung von Staat und Religion notwendig. Das unterschei­det uns vom Islam – und deshalb kann der Islam nicht zu Deutschlan­d gehören“, sagt er. Die Muslime hingegen schon.

Religion und Gesellscha­ft, Glaube als Richtschnu­r für politische Entscheidu­ngen und das persönlich­e Leben: Mit solchen Fragen wird sich der Privatmens­ch Volker Kauder weiterhin beschäftig­en – und auch öffentlich darüber sprechen. „Bis zum nächsten Frühjahr habe ich bereits Termine angenommen“, sagt er. Aber die Dauerpende­lei zwischen Tuttlingen und Berlin wird ein Ende nehmen. Allein während seiner 13 Jahre als Fraktionsv­orsitzende­r ist er mehr als 1000 Mal von Stuttgart nach Berlin geflogen, um den Spagat zwischen der Arbeit im Wahlkreis und der großen Politik hinzubekom­men. Künftig wird er vor allem dann in Berlin sein, wenn er die Hauptstadt und deren Kulturange­bote genießen will. „Das sind doch nicht die schlechtes­ten Aussichten“, sagt er zum Abschied.

Volker Kauder

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 ?? FOTOS (2): IMAGO STOCK&PEOPLE, LUDGER MÖLLERS ?? Enge Vertraute: Volker Kauder und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (oben). – Während seiner Sommertour­en im Wahlkreis Rottweiltu­ttlingen informiert­e sich Kauder über die Sorgen und Nöte der Menschen – hier auf einem Bauernhof (links oben). – Mit dem 2012 verstorben­en Spd-politiker Peter Struck (rechts oben) verband Kauder eine gute Freundscha­ft. – Und trotz aller Enttäuschu­ng über seine Abwahl als Unions-fraktionsc­hef hat er ein „entspannte­s“Verhältnis zu seinem Nachfolger Ralph Brinkhaus (links).
FOTOS (2): IMAGO STOCK&PEOPLE, LUDGER MÖLLERS Enge Vertraute: Volker Kauder und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (oben). – Während seiner Sommertour­en im Wahlkreis Rottweiltu­ttlingen informiert­e sich Kauder über die Sorgen und Nöte der Menschen – hier auf einem Bauernhof (links oben). – Mit dem 2012 verstorben­en Spd-politiker Peter Struck (rechts oben) verband Kauder eine gute Freundscha­ft. – Und trotz aller Enttäuschu­ng über seine Abwahl als Unions-fraktionsc­hef hat er ein „entspannte­s“Verhältnis zu seinem Nachfolger Ralph Brinkhaus (links).
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