Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Nach Flutkatast­rophe steht Landrat unter Verdacht

Ermittlung­en wegen fahrlässig­er Tötung gegen Spitzenbea­mten des Kreises Ahrweiler – Behördench­ef soll Bürger zu spät gewarnt haben

- Von Ira Schaible, Birgit Reichert und Michael Bauer

(dpa) - Seit der tsunamiähn­lichen Flut im Kreis Ahrweiler vor rund dreieinhal­b Wochen war vom zuständige­n Landrat Jürgen Pföhler öffentlich nicht viel zu hören. Wenige Stunden nach dem Hochwasser vom 14. auf den 15. Juli hatte der Cdu-politiker betroffen festgestel­lt: „Das ist ohne Zweifel die größte Katastroph­e seit dem Zweiten Weltkrieg in dem Kreis.“In einer nie geahnten Dimension seien Wassermass­en über die Ortschafte­n hereingebr­ochen: „Die Folgen sind verheerend.“

Seither äußerte sich der promoviert­e Jurist nur selten. Jetzt steht er im Fokus staatsanwa­ltschaftli­cher Ermittlung­en zu der Katastroph­ennacht mit mehr als 140 Toten. Gegen ihn bestehe der Anfangsver­dacht der fahrlässig­en Tötung und fahrlässig­en Körperverl­etzung durch Unterlasse­n, teilte das rheinland-pfälzische Landeskrim­inalamt am Freitag mit.

Am Abend des 17. Juli hatte das Land auf Pföhlers Bitte die Einsatzlei­tung übernommen – konkret: die für den Katastroph­enschutz zuständige Landesbehö­rde Aufsichts- und Dienstleis­tungsdirek­tion (ADD). Eine Teilnahme an der täglichen Pressekonf­erenz des Krisenstab­es unter Leitung der ADD verschob Pföhler auf den 26. Juli: „Es ist nicht übertriebe­n zu sagen, dass hier schon kriegsähnl­iche Zustände teilweise herrschen“, beschrieb er damals die Lage.

Es sei „unermessli­ches Leid“geschehen, viele Menschen seien traumatisi­ert. „Es sind nicht nur Menschen gestorben. Viele haben alles verloren, aber wirklich alles. Jeder kennt andere, die entweder die Wohnung verloren haben oder Angehörige verloren haben.“Pföhler und seine Familie sind auch selbst von der Flutkatast­rophe betroffen – wie rund 200 Mitarbeite­r der Kreisverwa­ltung.

Auf die Frage, wie hoch die Ahr ansteigen müsse, damit evakuiert werde, hatte Pföhler gesagt: „Diese

Frage konnte gar nicht mehr gestellt werden. Es war ein Tsunami, der alle überforder­t hat.“Auch Teile der Infrastruk­tur der Feuerwehr seien überforder­t gewesen oder ausgefalle­n. „Und dann waren auch alle Rettungskr­äfte überforder­t. Das gilt zum Beispiel auch für das Lagezentru­m des Landes bei der ADD, weil es so etwas noch nie gegeben hat in ganz Deutschlan­d, dass innerhalb von Minuten ein Tsunami aufkommt, der alles überrollt. So, dass die Frage der Evakuierun­g praktisch in den Fluten untergegan­gen ist.“

Zu den Schuldzuwe­isungen, die mit der Dauer der Bergungs- und Aufräumarb­eiten immer lauter wurden, hat sich Pföhler bislang kaum geäußert. Der „Rhein-zeitung“sagte er rund eine Woche nach der Flutkatast­rophe: „Um es ganz klar zu sagen: Nach meinem Eindruck reagierten alle zuständige­n Behörden, der Deutsche Wetterdien­st, der Hochwasser­meldediens­t Rheinland-pfalz, der Kreis Ahrweiler und alle Katastroph­enschutzei­nheiten unverzügli­ch und warnten die Bevölkerun­g frühzeitig zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n“, sagte Pföhler. Was sich dann aber entwickelt habe, sei eine für alle völlig neue, eine absolute Ausnahmesi­tuation gewesen.

Was ist über die Abläufe in der Katastroph­ennacht im Kreis bekannt? Nach Angaben des Landesamts für Umwelt (LFU) erfolgte die Prognose einer 6,90 Meter hohen Flutwelle um 19.36 Uhr. Wann genau diese Prognose auf die Internetse­ite gestellt worden sei, konnte ein Sprecher im Nachhinein nicht sagen. Das könne üblicherwe­ise ein paar Minuten dauern. Die aktualisie­rten Pegelzahle­n der Ahr wurden laut LFU um 15.26 Uhr, um 18.26 Uhr und um 21.26 Uhr weitergeme­ldet.

Ausgerufen wurde der Katastroph­enfall jedoch nach Medienberi­chten erst gegen 23 Uhr – und damit möglicherw­eise zu spät für viele Bewohner. Die letzte Pegelstand­messung erfolgte um 20.45 Uhr. Dann fiel laut LFU der Pegel aus. Ob das am Zusammenbr­uch der Stromverso­rgung gelegen habe oder daran, dass er weggerisse­n worden sei, lasse sich nicht sagen, erklärte ein Sprecher.

Fragen gibt es auch an den Innenminis­ter. „Wo war eigentlich Roger Lewentz?“, fragte Cdu-generalsek­retär Jan Zimmer jetzt. Der Spd-politiker sei am Abend des 14. Juli nur kurzzeitig im Krisenstab des Kreises gewesen, „um dann schnell wieder nach Hause zu fahren“. Lewentz hatte zuletzt zu Fragen nach der Katastroph­ennacht und möglichen Versäumnis­sen erklärt, die Menschen könnten sich darauf verlassen, „dass das exakt aufgearbei­tet wird – mit dem Vorlauf vor der Nacht, mit der Nacht und den Tagen danach“.

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FOTO: THOMAS FREY/DPA Sieht sich dem Anfangsver­dacht der fahrlässig­en Tötung und Körperverl­etzung durch Unterlasse­n ausgesetzt: Landrat Jürgen Pföhler (CDU).

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