Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Nach Flutkatastrophe steht Landrat unter Verdacht
Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen Spitzenbeamten des Kreises Ahrweiler – Behördenchef soll Bürger zu spät gewarnt haben
(dpa) - Seit der tsunamiähnlichen Flut im Kreis Ahrweiler vor rund dreieinhalb Wochen war vom zuständigen Landrat Jürgen Pföhler öffentlich nicht viel zu hören. Wenige Stunden nach dem Hochwasser vom 14. auf den 15. Juli hatte der Cdu-politiker betroffen festgestellt: „Das ist ohne Zweifel die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg in dem Kreis.“In einer nie geahnten Dimension seien Wassermassen über die Ortschaften hereingebrochen: „Die Folgen sind verheerend.“
Seither äußerte sich der promovierte Jurist nur selten. Jetzt steht er im Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zu der Katastrophennacht mit mehr als 140 Toten. Gegen ihn bestehe der Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen, teilte das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt am Freitag mit.
Am Abend des 17. Juli hatte das Land auf Pföhlers Bitte die Einsatzleitung übernommen – konkret: die für den Katastrophenschutz zuständige Landesbehörde Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Eine Teilnahme an der täglichen Pressekonferenz des Krisenstabes unter Leitung der ADD verschob Pföhler auf den 26. Juli: „Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass hier schon kriegsähnliche Zustände teilweise herrschen“, beschrieb er damals die Lage.
Es sei „unermessliches Leid“geschehen, viele Menschen seien traumatisiert. „Es sind nicht nur Menschen gestorben. Viele haben alles verloren, aber wirklich alles. Jeder kennt andere, die entweder die Wohnung verloren haben oder Angehörige verloren haben.“Pföhler und seine Familie sind auch selbst von der Flutkatastrophe betroffen – wie rund 200 Mitarbeiter der Kreisverwaltung.
Auf die Frage, wie hoch die Ahr ansteigen müsse, damit evakuiert werde, hatte Pföhler gesagt: „Diese
Frage konnte gar nicht mehr gestellt werden. Es war ein Tsunami, der alle überfordert hat.“Auch Teile der Infrastruktur der Feuerwehr seien überfordert gewesen oder ausgefallen. „Und dann waren auch alle Rettungskräfte überfordert. Das gilt zum Beispiel auch für das Lagezentrum des Landes bei der ADD, weil es so etwas noch nie gegeben hat in ganz Deutschland, dass innerhalb von Minuten ein Tsunami aufkommt, der alles überrollt. So, dass die Frage der Evakuierung praktisch in den Fluten untergegangen ist.“
Zu den Schuldzuweisungen, die mit der Dauer der Bergungs- und Aufräumarbeiten immer lauter wurden, hat sich Pföhler bislang kaum geäußert. Der „Rhein-zeitung“sagte er rund eine Woche nach der Flutkatastrophe: „Um es ganz klar zu sagen: Nach meinem Eindruck reagierten alle zuständigen Behörden, der Deutsche Wetterdienst, der Hochwassermeldedienst Rheinland-pfalz, der Kreis Ahrweiler und alle Katastrophenschutzeinheiten unverzüglich und warnten die Bevölkerung frühzeitig zu unterschiedlichen Zeitpunkten“, sagte Pföhler. Was sich dann aber entwickelt habe, sei eine für alle völlig neue, eine absolute Ausnahmesituation gewesen.
Was ist über die Abläufe in der Katastrophennacht im Kreis bekannt? Nach Angaben des Landesamts für Umwelt (LFU) erfolgte die Prognose einer 6,90 Meter hohen Flutwelle um 19.36 Uhr. Wann genau diese Prognose auf die Internetseite gestellt worden sei, konnte ein Sprecher im Nachhinein nicht sagen. Das könne üblicherweise ein paar Minuten dauern. Die aktualisierten Pegelzahlen der Ahr wurden laut LFU um 15.26 Uhr, um 18.26 Uhr und um 21.26 Uhr weitergemeldet.
Ausgerufen wurde der Katastrophenfall jedoch nach Medienberichten erst gegen 23 Uhr – und damit möglicherweise zu spät für viele Bewohner. Die letzte Pegelstandmessung erfolgte um 20.45 Uhr. Dann fiel laut LFU der Pegel aus. Ob das am Zusammenbruch der Stromversorgung gelegen habe oder daran, dass er weggerissen worden sei, lasse sich nicht sagen, erklärte ein Sprecher.
Fragen gibt es auch an den Innenminister. „Wo war eigentlich Roger Lewentz?“, fragte Cdu-generalsekretär Jan Zimmer jetzt. Der Spd-politiker sei am Abend des 14. Juli nur kurzzeitig im Krisenstab des Kreises gewesen, „um dann schnell wieder nach Hause zu fahren“. Lewentz hatte zuletzt zu Fragen nach der Katastrophennacht und möglichen Versäumnissen erklärt, die Menschen könnten sich darauf verlassen, „dass das exakt aufgearbeitet wird – mit dem Vorlauf vor der Nacht, mit der Nacht und den Tagen danach“.