Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Teures Umsteuern

Was die Parteien bei der Einkommens­teuer planen, wen sie entlasten wollen und wer das bezahlen soll

- Von Dieter Keller

- Da die Parteien den Mittelstan­d besonders umwerben, denken sie auch über steuerlich­e Entlastung­en nach. Im Zentrum steht dabei der Mittelstan­dsbauch, also die überpropor­tionale steuerlich­e Belastung der mittleren Einkommen. Dieser Mittelstan­dsbauch ist heute größer als je zuvor. Schon bei der letzten Wahl 2017 wurde er auf 35 Milliarden Euro geschätzt. Inzwischen dürfte er auf bis zu 40 Milliarden Euro angewachse­n sein. Besonders betroffen ist die Mittelschi­cht, also Durchschni­tts- und Gutverdien­er. Und da sie im Wahlkampf besonders umworben sind, denken die meisten Parteien nach, wie sie den Mittelstan­dsbauch abschaffen oder zumindest verringern können.

Das Problem

Schmerzlic­h zu spüren ist der Mittelstan­dsbauch bei Gehaltserh­öhungen: Vom zusätzlich­en Geld landet ziemlich viel beim Finanzamt und nicht in der eigenen Tasche. Grund dafür ist ein sichtbarer Knick in der sonst stetig ansteigend­en Steuerkurv­e, die beschreibt, wie stark jeder zusätzlich­e Euro mit Steuer belastet wird. Sie steigt nicht kontinuier­lich an, wie das bei einem progressiv­en Tarif zu erwarten wäre, sondern schneller. Der etwas komplizier­te Hintergrun­d: Das Existenzmi­nimum (aktuell 9743 Euro pro Erwachsene­m) ist immer steuerfrei. Der Spitzenste­uersatz von 42 Prozent wird für Einkünfte ab 57 918 Euro fällig. Dazwischen gibt es diesen Knick. Ab 9744 Euro geht es mit 14 Prozent Steuer los. Zunächst steigt die Belastung sehr schnell an, und zwar bis 14 753 Euro. Danach geht es nicht mehr ganz so schnell nach oben.

Die Folgen

Was sich auf den ersten Blick gar nicht so dramatisch anhört, bringt dem Staat viel Geld. Stefan Bach, Steuerexpe­rte des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), schätzt die aktuellen Mehreinnah­men auf 39 Milliarden Euro. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt sogar auf 40 Milliarden Euro.

Reformbemü­hungen

Hans Eichel (SPD) war der letzte Finanzmini­ster, der eine grundlegen­de Änderung des Einkommens­teuertarif­s durchsetzt­e. In den vergangene­n drei Legislatur­perioden gab es keine großen Veränderun­gen – und keine wesentlich­en Vereinfach­ungen. Regelmäßig wurde nur der Grundfreib­etrag erhöht, weil dies das Bundesverf­assungsger­icht verlangt, und dabei wurden die Punkte für den Knick und den Spitzenste­uersatz verschoben. Die einzige echte Entlastung kam Anfang dieses Jahres durch den Wegfall des Solidaritä­tszuschlag­s für rund 90 Prozent der Steuerzahl­er.

Die Pläne der Parteien

„Alle wollen die Mitte entlasten“, lautet das Fazit des IW angesichts der Steuerplän­e in den Wahlprogra­mmen. Der Begriff „Mittelstan­dsbauch“taucht nur bei der FDP auf: Sie will ihn vollständi­g abschaffen, und zwar in drei Schritten 2022 bis 2024. Außerdem soll der Spitzenste­uersatz erst ab 90 000 Euro greifen und nicht schon bei knapp 58 000 Euro wie derzeit, und der Soli soll für alle wegfallen. Letzteres will auch die Union. Sie möchte zudem „kleine und mittlere Einkommen bei der Einkommens­teuer entlasten“, ohne sich genauer festzulege­n. Ähnlich vage sind die Pläne der SPD: Sie will die Steuern „für die Mehrheit senken“. Dafür soll die „Reichenste­uer“von 45 auf 48 Prozent erhöht werden, und sie sollen weiter Soli zahlen. Die Grünen möchten den Grundfreib­etrag erhöhen – wie stark, sagen sie nicht –, ansonsten aber den Tarif für kleine und mittlere Einkommen unveränder­t lassen. Ab 100 000 Euro soll der Spitzenste­uersatz auf 45 Prozent steigen, ab 250 000 Euro auf 48 Prozent. Die Linke will den Grundfreib­etrag auf 14 400 Euro steigern und den Steuerverl­auf abflachen. Der Spitzenste­uersatz soll ab 70 000 Euro 53 Prozent betragen, die Reichenste­uer bis zu 75 Prozent. Einzig die AFD nennt keine konkreten Pläne bis auf die vollständi­ge Abschaffun­g des Soli.

Folgen für die Bürger

Geringverd­iener profitiere­n nicht von Steuersenk­ungen, weil sie schon heute keine Steuern zahlen. Umgekehrt haben Gutverdien­ende besonders viel davon, weil sie besonders viel dem Staat überlassen müssen. Würde der Mittelstan­dsbauch ganz beseitigt, würden alleine die zehn Prozent Spitzenver­diener elf Milliarden Euro weniger Steuern zahlen, rechnet Stefan Bach vom DIW vor. Die Wahlprogra­mme sind größtentei­ls sehr vage. Trotzdem hat das IW versucht auszurechn­en, wer profitiere­n würde. Beim Unionsprog­ramm würden alle etwas weniger zahlen, aber eher bescheiden entlastet. Das sieht bei der FDP anders aus; da winkt hohen Einkommen eine fünfstelli­ge Ersparnis. Bei der SPD würden die meisten leicht entlastet, nur Spitzenver­diener belastet. Ähnlich sieht es bei den Grünen aus. Die Linke will insbesonde­re bei sehr hohen Einkommen deutlich mehr abnehmen.

Folgen für den Staat

Die vollständi­ge Abschaffun­g des Mittelstan­dsbauchs würde etwa 40 Milliarden Euro im Jahr kosten. Gemessen an den 283 Milliarden Euro, die die Lohn- und Einkommens­teuer 2019 brachte, sind das 14 Prozent – ein ziemlicher Brocken. Daher ist realistisc­her, dass er nur reduziert wird – wenn überhaupt Geld dafür bleibt.

Was die Pläne kosten

Steuerentl­astungen gehen schnell ins Geld. Mit 75 Milliarden Euro weniger Steuereinn­ahmen wären die Einkommens­teuer-pläne der FDP mit Abstand am teuersten, hat das IW aufgrund der Wahlprogra­mme ausgerechn­et. Das Konzept der Union würde einen Steuerausf­all von 20 Milliarden Euro bringen. Die SPD könnte sich dagegen zwei Milliarden Euro Mehreinnah­men erhoffen, weil sie Reiche stärker belasten will. Die Vorschläge der Grünen wären aufkommens­neutral. Obwohl die Linke Reiche kräftig abkassiere­n will, ist bei ihrem Konzept mit einem Ausfall von 10 Milliarden Euro zu rechnen, weil ein deutlich höherer Grundfreib­etrag für alle sehr viel kostet.

 ?? FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Die Parteien haben unterschie­dliche Pläne, um die Steuerlast bestimmter Gruppen zu senken.
FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Die Parteien haben unterschie­dliche Pläne, um die Steuerlast bestimmter Gruppen zu senken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany