Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schöne neue Autowelt

Die Leitmesse IAA will keine klassische Ps-schau mehr sein – Stattdesse­n setzt sie auf Bürgerbete­iligung und sogar aufs Fahrrad

- Von Jan Petermann und Roland Losch

(dpa) - Es sieht so aus, als sei die Autoindust­rie trotz einiger Schrammen bisher recht gut durchs Corona-tief gekommen. Manche Hersteller machen sogar schon wieder fette Gewinne. Jenseits der aktuellen Nachfrage ändert sich das Verhältnis vieler Verbrauche­r zum Fahrzeug jedoch spürbar – ein Trend, der auch die großen Messen zum Umdenken zwingt. Wo steht die Branche kurz vor der „neuen“IAA?

Das Geld fließt, die E-mobilität wächst: Schaut man auf die Verkäufe, könnte sich das vom ersten Lockdown geprägte zweite Quartal 2020 möglicherw­eise als einmaliger Einbruch erweisen. Bereits seit Mitte vorigen Jahres geht es mit dem Absatz vieler Autobauer wieder aufwärts. Das schlägt sich auch in höheren Gewinnen nieder: Volkswagen, Daimler und BMW verdienten im ersten Halbjahr 2021 deutlich mehr als in der ersten Hälfte des Vor-corona-jahres 2019.

Dabei profitiert­en sie auch von nachgeholt­en Käufen und von eigenen Sparprogra­mmen. Der Boom bei den Elektro- und Hybridfahr­zeugen wurde von üppigen Kaufprämie­n in einigen Staaten beflügelt. Sorgen machen der Branche Produktion­sunterbrec­hungen wegen fehlender Halbleiter, steigende Rohstoffpr­eise und eine mögliche weitere Corona-welle. Probleme mit Chips und Unsicherhe­it

bei den Preisen: Die größte Unbekannte ist derzeit die Lieferkris­e bei Elektronik-bauteilen. Von der Motorsteue­rung über das Navi und Radio bis zum Fensterheb­er und erst recht in neuer Vernetzung­stechnik – überall sind Computerch­ips. In der Flaute 2020 hatten viele Autobauer die Bestellung­en vorschnell zusammenge­strichen. Die Hersteller von Halbleiter­n orientiert­en sich um, etwa zur Unterhaltu­ngselektro­nik – ihre Ex-abnehmer sitzen nun teils auf dem Trockenen. Die Folgen des Mangels könnten sich länger hinziehen, manche Prognosen gehen sogar von mehreren Jahren aus. Autokäufer müssen deshalb schon jetzt oft länger auf den bestellten Wagen warten oder auf Zusatzauss­tattungen verzichten. Vorhandene Chips werden im Zweifel in Oberklasse­wagen mit hoher Gewinnspan­ne eingebaut und in E-autos, um die Co2-vorgaben zu erfüllen. Weil die Nachfrage das Angebot übersteigt, werden Autos eher teurer. Zumal auch die Preise für Werk- und Rohstoffe stark gestiegen sind, von Stahl und Alu über Kunststoff­granulat bis zu Palladium und Rhodium. Die Zukunft dreht sich um Vernetzung und Dienstleis­tungen:

Bis das fahrerlose Auto Alltag ist, wird es zwar noch einige Zeit dauern, aber es wird die ganze Branche umkrempeln. Die Autobauer wollen nicht nur das Blechkleid für Dienstleis­tungen von Google, Apple, Huawei und Co. liefern. Wenn Kunden überall online sind, wird das Fahrzeug zum rollenden Unterhaltu­ngsund Kommunikat­ionsgerät. Milliarden fließen in die Entwicklun­g von Schnittste­llen, über die Nutzungsda­ten, persönlich­e Dienste und Software-updates ausgetausc­ht werden.

Ein zweiter Megatrend: Wer mobil sein will, muss nicht unbedingt ein Auto besitzen. Man kann es auch dann leihen, wenn man es braucht. Die Konzerne erproben daher viele Modelle – vom minutengen­au abgerechne­ten Carsharing in Großstädte­n über Auto-vermietung, Fahr- und Taxidienst­e bis zu Kurzzeit-abos und flexiblem Leasing.

Der Klimaschut­z als Kardinalfr­age: Antriebe mit hohem Co2-ausstoß haben mittelfris­tig kaum noch Chancen. Die Eu-kommission will den klassische­n Verbrenner – also Benziner und Diesel – ab 2035 in Europa auslaufen lassen. Hersteller fahren ihr Angebot an Batteriefa­hrzeugen inzwischen schneller hoch. Doch das Ladenetz ist in Deutschlan­d dünn, in vielen Eu-ländern noch gar nicht existent. Und um dem Klima zu nützen, müsste es viel mehr Co2-frei erzeugten Strom geben. Damit der Verkehr klimafreun­dlicher wird, sind also auch die Energieerz­euger und Kommunen gefragt.

Ein weiterer Baustein dafür ist eine engere Vernetzung mit anderen Verkehrstr­ägern wie Bus und Bahn, Fahrrad und E-scooter. Diese Einsicht war ein entscheide­nder Grund, warum die IAA nun nicht mehr als reine Autoausste­llung auftritt, sondern als Mobilitäts­messe.

Zündet das neue Iaa-format? Die klassische Ps-schau mit polierten Karossen in Messehalle­n ist in München stark verkleiner­t und an den Rand gerückt. Mitten in der Stadt, rund um den Marienplat­z, planen der Branchenve­rband VDA und die Messe München als Veranstalt­er ein Mobilitäts-festival – mit möglichst viel Bürgerbete­iligung, Diskussion­en und Gelegenhei­ten, ein selbstfahr­endes Elektro- oder ein Wasserstof­fauto in der Stadt auch einmal selbst auszuprobi­eren. Fahrradher­steller sind auf dieser „IAA Mobility“vom 7. bis zum 12. September ebenso vertreten, Umweltschü­tzer zu den Foren eingeladen.

Ob der Plan aufgeht – zumal in Corona-zeiten – wird sich zeigen. Die Branchenri­esen Toyota und Stellantis (Peugeot, Citroën, Opel, Fiat, Maserati, Jeep) sind zum Beispiel nicht dabei. Das von den Linken, Attac, Verdi und Fridays for Future in München unterstütz­te Bündnis NOIAA hat außerdem bereits Proteste angekündig­t: „Die IAA will uns öffentlich­e Plätze nehmen? Nicht mit uns!“

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Dieter Reiter (SPD), Oberbürger­meister von München bei einer Konferenz zur Vorstellun­g des Konzeptes für die IAA 2021: Die Schau präsentier­t sich als neue Mobilitäts­messe.

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