Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Haushalte zahlen fast ein Fünftel mehr für Energie
(dpa) - Die Haushalte in Deutschland müssen für Energie deutlich mehr ausgeben als vor Jahresfrist. Die Kosten für Heizung, Strom und Sprit sind nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox in den vergangenen zwölf Monaten um 18 Prozent gestiegen. Bei einem Musterhaushalt mit einem Wärmebedarf von 20 000 Kilowattstunden, einem Stromverbrauch von 4000 Kilowattstunden und einer Fahrleistung von 13 300 Kilometern im Jahr mache das zusätzliche Kosten von 618 Euro aus. Im Juli 2020 habe diese Energiemenge 3422 Euro pro Jahr gekostet, in diesem Juli seien es 4040 Euro.
Das Heizen mit Öl verteuerte sich den Verivox-angaben zufolge auf Jahressicht um gut 56 Prozent. Gegenüber dem Tiefstand im September vergangenen Jahres wurde Heizöl nach Angaben des Vergleichsportals Check24 sogar um 81 Prozent teurer. Damals kosteten 2000 Liter durchschnittlich 770 Euro, im Juli waren es 1392 Euro. An der Zapfsäule mussten Autofahrerinnen und Autofahrer im Juli im mengengewichteten Durchschnitt 24,3 Prozent mehr fürs Tanken ausgeben. Auch im August ging der Preisanstieg nach Angaben des ADAC trotz gesunkener Rohölpreise bisher weiter. Vergleichsweise gering ist dagegen der Preisanstieg beim Strom. Hier ermittelte Verivox einen Aufschlag von 4,8 Prozent. Die steigenden Energiepreise sind der Haupttreiber der Inflationsrate, die in Deutschland im Juli mit 3,8 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren geklettert war. Für Haushaltsenergie und Kraftstoffe hatte das Statistische Bundesamt dabei einen Preisanstieg von 11,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat ermittelt.
- Der letzte Flug von Tibor Quaas ging nach Buenos Aires und zurück. Danach war Schluss. Die Corona-pandemie ließ den Flugverkehr im Frühjahr 2020 auf der ganzen Welt einbrechen. Quaas, 26 Jahre alt und Flugbegleiter, hatte von einem auf den anderen Tag kaum noch Arbeit. „Ich bin maximal nur noch einmal im Monat geflogen“, erzählt er rückblickend.
Zuvor war der junge Mann, der in Frankfurt in der Nähe des Flughafens wohnte, fünf Jahre lang als Steward in der ersten Klasse um die ganze Welt gejettet. „Nach Asien, Nordamerika, Afrika, Indien“, erzählt er, „es war sehr aufregend, so viele Kulturen kennenzulernen.“Einen geregelten Arbeitstag, den klassischen Nine-to-five-job, kannte er nicht. Mal war er zwei Tage am Stück unterwegs, mal fünf Tage. An Bord stand er jederzeit für die Gäste parat, um ihnen den Flug so angenehm wie möglich zu machen. Quaas ist – das merkt man sofort – der Flugbegleiter in Perfektion: gut gekleidet, höflich, immer freundlich und gleichzeitig sehr diskret.
Selbst die schwierige Zeit, die für ihn mit Beginn der Pandemie folgte, beschreibt er mit sorgfältig gewählten Worten. „Es war eine sehr unzufriedenstellende Situation in Kurzarbeit zu Hause zu sitzen und überhaupt nichts tun zu können“, sagt Quaas. Das Kurzarbeitergeld habe seinen Verdienstausfall zwar fast vollständig ausgeglichen, eine wirkliche Perspektive habe er aber nicht gehabt. Es war nicht absehbar, wann und wie sich der Flugverkehr wieder erholen würde. „In der Luftfahrtbranche wurden auf der ganzen Welt etliche Leute in den unbezahlten Urlaub geschickt. Ich habe tausend Entlassungen um mich herum erlebt. Das fing an beim Flughafen selbst, ging bis zu den Catering-unternehmen und den Airlines selbst.“
Deutschlands größte Fluggesellschaft Lufthansa allein bekam im vergangenen Jahr ein Neun-milliarden-euro-hilfspaket von der Bundesregierung zugesprochen, um überleben zu können. Bis heute kämpft die Airline mit den Auswirkungen der Krise. Lag der Umsatz vor der Pandemie bei zehn Milliarden Euro, sind es jetzt noch 3,2 Milliarden Euro. Im zweiten Quartal 2021 machte die Lufthansa 952 Millionen Euro Verlust. Fast 30 000 Stellen hat die Lufthansa in der Krise abgebaut.
Seinen Job verlor Quaas zwar nicht – als Kabinenpersonal genoss er Kündigungsschutz –, aber etwas zu tun gab es für den sonst voll beanspruchten Flugbegleiter eben nicht. „Ich habe mich dann von Ehrenamt zu Ehrenamt, von Testcenter zu Testcenter gehangelt, aber das hat nie die berufliche Auslastung gebracht, die ich mir zurückgewünscht habe“, sagt Quaas. Im Herbst vergangenen Jahres – während der zweiten Corona-welle – habe für ihn festgestanden, dass er nicht mehr in der Flugbranche bleiben will und kann.
„Dann habe ich die Flucht nach vorne ergriffen“, sagt der 26-Jährige.
Quaas schaute sich nach dualen Studienplätzen um und wurde in seiner Heimatstadt Mannheim fündig – bei einer Behörde, die alle, die ihren Job wechseln, kennen: bei der Bundesagentur für Arbeit. Nur wollte Quaas sich hier nicht arbeitssuchend melden oder Arbeitslosengeld beantragen, sondern studieren, um später selbst als Berater dort zu arbeiten. Er habe sich zwar auch für andere Studiengänge beworben, sagt Quaas, aber „bei der Agentur für Arbeit hat alles für mich gepasst“.
Die Behörde betreibt zwei eigene Hochschulen – eine in Schwerin, eine in Mannheim. Ab kommenden Herbst studiert Quaas, der vor seiner Tätigkeit als Flugbegleiter eine Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen hatte, Arbeitsmarktmanagement. Bis es so weit ist, überbrückt er die Zeit und arbeitet bereits im Eingangsbereich der Agentur. Wer sich in Mannheim arbeitslos melden will, kommt jetzt bei ihm und seinen Kollegen raus. Statt um die Welt zu fliegen, mal hier mal dort zu sein, hat Quaas nun geregelte Arbeitszeiten und einen fest zugeteilten Platz im Büro.
Dass Corona Berufsbiografien und Karrierepläne durchkreuzt, weiß
Doris Deichselberger nur zu gut. Die Karriereberaterin aus Stuttgart habe viele Kunden, die wegen der Krise in ihren bisherigen Branchen nicht mehr tätig sein können, erzählt sie. „Man denke nur an die besonders getroffene Eventbranche, die Gastronomie oder den Einzelhandel.“Viele Menschen kämen traurig, „ja geradezu erschüttert“zu ihr, weil ihnen ihre bisherige Branche sehr am Herzen lag und sie jetzt gezwungenermaßen umsatteln müssen.
Die Reaktionen der Menschen seien ganz unterschiedlich. Die einen seien geschockt und erstarrt und wüssten überhaupt nicht, wie es weitergehen soll. Andere würden auch Chancen in dem erzwungenen Berufswechsel sehen und positiv an die Herausforderung rangehen. „Für manche kann das sogar ein Tritt in den Allerwertesten sein, weil sie schon lange unglücklich in ihrem Job waren und nur aus Bequemlichkeit nicht gewechselt haben“, sagt sie. Wiederum andere hätten jetzt endlich Zeit gehabt, sich mit ihrem lang gehegten Wunsch der Selbstständigkeit zu beschäftigen.
Dass Gegebenheiten wie der technologische Fortschritt oder nun auch die Pandemie Karrierebrüche mit sich bringen, sei kein neues Phänomen, sagt Deichselberger, die seit 20 Jahren beratend tätig ist. „Es gab schon immer Branchen, deren Mitarbeiter sich im Lauf der Zeit umorientieren mussten, beispielsweise die Druckbranche“, sagt Deichselberger. „Auch die Corona-krise wird die Arbeitswelt nachhaltig verändern.“
Gemeinsam mit ihren Kunden schaue sie sich intensiv an, was ihnen Spaß macht, welche Eigenschaften und Qualifikationen sie mitbringen. Anhand dessen überlegen sie dann zusammen, in welche neue Branche diese Dinge übertragen werden können. „Manche brauchen dafür Beratung, andere schaffen das ohne“, sagt Deichselberger.
Tibor Quaas hat es ohne Beratung geschafft. „Die Flugbegleitung war ein ganz toller Job. Und ohne Corona hätte ich ihn behalten“, sagt Quaas. Und natürlich sei auch der Neustart bei der Agentur für Arbeit nicht einfach gewesen. „Wenn man sich alles neu erarbeiten muss, ist das nie leicht“, sagt Quaas. Verbittert sei er deswegen aber lange nicht, und auch an seiner Entscheidung habe das nichts geändert.
Denn Quaas ist einer derjenigen, der die Chancen in der Krise sieht. „Ich habe mich gründlich mit dem Arbeitgeberwechsel beschäftigt“, sagt er. Gleichzeitig kennt er seine Qualifikationen genau. „Ich mag den direkten Kontakt zu den Menschen“, sagt er. Als Flugbegleiter und auch als Berater bei der Arbeitsagentur müsse man in aller erster Linie empathisch sein, sich in andere hineinversetzen können. Das bringe er mit. Auch könne er gut von seinen interkulturellen Erfahrungen schöpfen und davon, dass er weiß, wie man etwas verständlich erklärt. Beides sei sowohl über den Wolken gefragt als auch als Berater am Boden.
Natürlich, Fluggäste begleite man nur für eine kurze Zeit, und die meisten sind glücklich, weil sie in den Urlaub fliegen, bei den Kunden der Arbeitsagentur ist in der Regel das Gegenteil der Fall. „Ja, ich muss den Menschen an einer schwierigen Stelle des Lebens Halt und Orientierung geben“, sagt Quaas, „aber nur weil eine Aufgabe schwer ist, macht es das nicht zu einer schlechten Aufgabe.“
Quaas – positiv wie er ist – sagt, dass er sich auf seine Zukunft freut, ohne etwas zu bereuen. Ob er noch ans Fliegen denkt – jetzt wo es für die Flugbranche ganz langsam wieder bergauf geht? „Damit habe ich mich nicht mehr groß befasst“, sagt Quaas. Trotz erzwungenem Neustart in der Corona-krise scheint Quaas angekommen in seinem jetzigen Beruf.
Und wenn ihn später mal jemand in der Beratung fragt, wie es denn so ist, den Job wechseln zu müssen, muss sich Tibor Quaas keiner Floskeln bedienen. Bei ihm gibt es die Informationen aus erster Hand.