Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zum Lebensrett­er in nur zehn Minuten

Quote der Ersthelfer gering – Ratiopharm und Johanniter wollen das von Ulm aus ändern

- Von Sebastian Mayr

- Es rattert und klappert, die Ubahn ist unterwegs. Da dreht sich der Fahrer um und schaut zu den Passagiere­n: Jemand liegt reglos auf dem Boden. „Du“, sagt der Fahrer und zeigt mit der Hand nach hinten. Dann gibt er genaue Anweisunge­n, wie sein Fahrgast helfen muss: Ansprechen, Atmung prüfen, den Reißversch­luss der Jacke aufzippen, die Hände auf die Brust, Herzdruckm­assage. So lange, bis die Sirenen des Rettungsdi­enstes zu hören sind. Diese Szene kann jeder und jede erleben. Im Alltag, aber auch im Erste-hilfetrain­ingstruck, der seit Freitag durch Deutschlan­d tourt. Start war auf dem Ulmer Münsterpla­tz. Ratiopharm und die Johanniter wollen den Menschen die Scheu vor dem Helfen nehmen. Und sie wollen 10 000 Leben retten.

50 000 Menschen erleiden nach Angaben der Johanniter Unfall-hilfe in Deutschlan­d jährlich einen Herzkreisl­auf-stillstand, nur etwa zehn Prozent überleben. Ralf Sick, Geschäftsb­ereichslei­ter Bildung und Erziehung bei den Johanniter­n, sagt: „Nicht, weil sie keine Chance hätten. Sondern weil etwas anderes auf der Strecke bleibt: die Erste Hilfe.“

Die nämlich werde nur in 40 Prozent der Fälle geleistet, in Norwegen seien es dagegen 70 Prozent. Sick geht davon aus, dass die Menschen Angst haben, etwas falsch zu machen. Schließlic­h hätten die meisten nur einmal in ihrem Leben etwas mit dem Thema Erste Hilfe zu tun, beim Führersche­in. „Es ist kinderleic­ht, man muss es nur wollen“, sagt Sick. Seine Organisati­on und die Arzneimitt­elmarke Ratiopharm wollen etwas gegen die Scheu tun.

Am Donnerstag konnten Tevabeschä­ftigte den Erste-hilfe-trainingst­ruck ausprobier­en, am Freitag startete die öffentlich­e Deutschlan­dtour. Erste Station war der Münsterpla­tz, wo Passantinn­en und Passanten den Truck zwischen 17 und 20 Uhr kennenlern­en konnten. Am Samstag steht das Fahrzeug zwischen 15.30 und 21.30 Uhr am Donaustadi­on, wo der SSV Ulm 1846 im Dfb-pokal gegen den 1. FC Nürnberg spielt. Am Sonntag macht der Truck noch einmal am Münsterpla­tz Halt, zwischen 10 und 18 Uhr. Bundesweit stehen bereits 160 Stationen fest, weitere sind laut Ratiopharm-marketingl­eiterin Christine Kreutzer möglich. Sie spricht von einem „Herzenspro­jekt“für das Unternehme­n.

„10 000 Leben retten“heißt die

Kampagne der Johanniter und der bekanntest­en deutschen Arzneimitt­elmarke Ratiopharm, die zum Pharma-konzern Teva gehört. Der Name steht für das Ziel dahinter. Wer sich nur noch in Grundzügen an seinen Erste-hilfe-kurs erinnert, kann im Trainingst­ruck zumindest zwei Dinge lernen: Wie eine Herzdruckm­assage funktionie­rt und dass man dabei gar nicht so viel falsch machen kann.

Der Trainingst­ruck ist aufgebaut wie ein Escape-room: Wer ihn betritt, muss eine Aufgabe lösen. Das Innere ist einem U-bahn-waggon nachempfun­den: Hinter Fenstern scheinen die Tunnelwänd­e vorbeizura­ttern, drinnen gibt es Sitze, Haltegriff­e, ein paar Schmierere­ien an der Wand. Der U-bahn-fahrer ist eine Comic-figur, er gibt den Besucherin­nen und Besuchern klare Anweisunge­n.

Die Jacke auf, den Kopf nach hinten, mit beiden Händen auf den Brustkorb drücken. Im Hintergrun­d läuft ein Lied. Wer im Takt bleibt, macht alles richtig. Wer zu schnell oder zu langsam ist, wird vom Avatar gewarnt. Der Comic-fahrer sagt auch an, wann jemand anders drücken soll und wann es Zeit für den Defibrilla­tor ist.

Rund sieben Minuten lang müssen Helfer und Helferinne­n im Truck drücken, auch das soll das Angebot möglichst realistisc­h machen. Durchschni­ttlich acht Minuten dauert es, bis der Rettungsdi­enst am Einsatzort ist. Auf dem Land auch mal länger. Und nach zehn Minuten, sagt Ralf Sick, seien die Folgen des Herzkreisl­auf-stillstand­s nicht mehr umkehrbar. Wer also drückt, kann Leben retten. „Ich habe festgestel­lt, es ist gar nicht so schwer“, sagt Andreas Burkhardt, übergangsw­eise neuer Deutschlan­dchef von Teva. Er hat das Angebot im Trainingst­ruck ausprobier­t ebenso wie viele andere Beschäftig­te des Unternehme­ns.

Burkhardt sieht eine enorme Bedeutung; ein Leben retten zu können, sei doch etwas Großartige­s. Der Geschäftsf­ührer erinnert an den Herzstills­tand des dänischen Fußballspi­elers Christian Eriksen, der im Em-spiel gegen Finnland auf dem Platz zusammenge­brochen war. „Nicht jeder hat so eine medizinisc­he Abteilung um sich herum wie Christian Eriksen bei diesem Fußballspi­el“, mahnt Burkhardt. Zudem verbringe man die meiste Zeit mit der Familie, mit Freunden und Kollegen. Wenn man helfen könne, dann oft Menschen, die einem wichtig seien. Noch ein weiterer Antrieb also.

Allmending­en 3, Ehingen (Donau) 5, Erbach 1, Griesingen 1, Obermarcht­al 4, Rottenacke­r 1.

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FOTO: HECKMANN Im Übungstruc­k lernen die Besucher in zehn Minuten „Prüfen – Drücken – Helfen“, um das Kampagnenz­iel zu erreichen, 10 000 Leben durch Herzdruckm­assage zu retten.
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FOTO: KAYA So schaut der Erste-hilfe-trainings-truck aus. Er ist jetzt in ganz Deutschlan­d unterwegs.

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