Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Zum Lebensretter in nur zehn Minuten
Quote der Ersthelfer gering – Ratiopharm und Johanniter wollen das von Ulm aus ändern
- Es rattert und klappert, die Ubahn ist unterwegs. Da dreht sich der Fahrer um und schaut zu den Passagieren: Jemand liegt reglos auf dem Boden. „Du“, sagt der Fahrer und zeigt mit der Hand nach hinten. Dann gibt er genaue Anweisungen, wie sein Fahrgast helfen muss: Ansprechen, Atmung prüfen, den Reißverschluss der Jacke aufzippen, die Hände auf die Brust, Herzdruckmassage. So lange, bis die Sirenen des Rettungsdienstes zu hören sind. Diese Szene kann jeder und jede erleben. Im Alltag, aber auch im Erste-hilfetrainingstruck, der seit Freitag durch Deutschland tourt. Start war auf dem Ulmer Münsterplatz. Ratiopharm und die Johanniter wollen den Menschen die Scheu vor dem Helfen nehmen. Und sie wollen 10 000 Leben retten.
50 000 Menschen erleiden nach Angaben der Johanniter Unfall-hilfe in Deutschland jährlich einen Herzkreislauf-stillstand, nur etwa zehn Prozent überleben. Ralf Sick, Geschäftsbereichsleiter Bildung und Erziehung bei den Johannitern, sagt: „Nicht, weil sie keine Chance hätten. Sondern weil etwas anderes auf der Strecke bleibt: die Erste Hilfe.“
Die nämlich werde nur in 40 Prozent der Fälle geleistet, in Norwegen seien es dagegen 70 Prozent. Sick geht davon aus, dass die Menschen Angst haben, etwas falsch zu machen. Schließlich hätten die meisten nur einmal in ihrem Leben etwas mit dem Thema Erste Hilfe zu tun, beim Führerschein. „Es ist kinderleicht, man muss es nur wollen“, sagt Sick. Seine Organisation und die Arzneimittelmarke Ratiopharm wollen etwas gegen die Scheu tun.
Am Donnerstag konnten Tevabeschäftigte den Erste-hilfe-trainingstruck ausprobieren, am Freitag startete die öffentliche Deutschlandtour. Erste Station war der Münsterplatz, wo Passantinnen und Passanten den Truck zwischen 17 und 20 Uhr kennenlernen konnten. Am Samstag steht das Fahrzeug zwischen 15.30 und 21.30 Uhr am Donaustadion, wo der SSV Ulm 1846 im Dfb-pokal gegen den 1. FC Nürnberg spielt. Am Sonntag macht der Truck noch einmal am Münsterplatz Halt, zwischen 10 und 18 Uhr. Bundesweit stehen bereits 160 Stationen fest, weitere sind laut Ratiopharm-marketingleiterin Christine Kreutzer möglich. Sie spricht von einem „Herzensprojekt“für das Unternehmen.
„10 000 Leben retten“heißt die
Kampagne der Johanniter und der bekanntesten deutschen Arzneimittelmarke Ratiopharm, die zum Pharma-konzern Teva gehört. Der Name steht für das Ziel dahinter. Wer sich nur noch in Grundzügen an seinen Erste-hilfe-kurs erinnert, kann im Trainingstruck zumindest zwei Dinge lernen: Wie eine Herzdruckmassage funktioniert und dass man dabei gar nicht so viel falsch machen kann.
Der Trainingstruck ist aufgebaut wie ein Escape-room: Wer ihn betritt, muss eine Aufgabe lösen. Das Innere ist einem U-bahn-waggon nachempfunden: Hinter Fenstern scheinen die Tunnelwände vorbeizurattern, drinnen gibt es Sitze, Haltegriffe, ein paar Schmierereien an der Wand. Der U-bahn-fahrer ist eine Comic-figur, er gibt den Besucherinnen und Besuchern klare Anweisungen.
Die Jacke auf, den Kopf nach hinten, mit beiden Händen auf den Brustkorb drücken. Im Hintergrund läuft ein Lied. Wer im Takt bleibt, macht alles richtig. Wer zu schnell oder zu langsam ist, wird vom Avatar gewarnt. Der Comic-fahrer sagt auch an, wann jemand anders drücken soll und wann es Zeit für den Defibrillator ist.
Rund sieben Minuten lang müssen Helfer und Helferinnen im Truck drücken, auch das soll das Angebot möglichst realistisch machen. Durchschnittlich acht Minuten dauert es, bis der Rettungsdienst am Einsatzort ist. Auf dem Land auch mal länger. Und nach zehn Minuten, sagt Ralf Sick, seien die Folgen des Herzkreislauf-stillstands nicht mehr umkehrbar. Wer also drückt, kann Leben retten. „Ich habe festgestellt, es ist gar nicht so schwer“, sagt Andreas Burkhardt, übergangsweise neuer Deutschlandchef von Teva. Er hat das Angebot im Trainingstruck ausprobiert ebenso wie viele andere Beschäftigte des Unternehmens.
Burkhardt sieht eine enorme Bedeutung; ein Leben retten zu können, sei doch etwas Großartiges. Der Geschäftsführer erinnert an den Herzstillstand des dänischen Fußballspielers Christian Eriksen, der im Em-spiel gegen Finnland auf dem Platz zusammengebrochen war. „Nicht jeder hat so eine medizinische Abteilung um sich herum wie Christian Eriksen bei diesem Fußballspiel“, mahnt Burkhardt. Zudem verbringe man die meiste Zeit mit der Familie, mit Freunden und Kollegen. Wenn man helfen könne, dann oft Menschen, die einem wichtig seien. Noch ein weiterer Antrieb also.
Allmendingen 3, Ehingen (Donau) 5, Erbach 1, Griesingen 1, Obermarchtal 4, Rottenacker 1.