Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kind in Türkei verschlepp­t: Ankläger für härtere Strafe

Der Vater sitzt in Haft – Doch die Staatsanwa­ltschaft will eine längere Freiheitss­trafe erreichen

- Von Sebastian Mayr

- Noch immer lebt ein heute sieben Jahre altes Kind aus dem Kreis Neu-ulm in einem Jugendheim in Edirne. Der Vater hatte den Buben im März 2020 in die Türkei verschlepp­t und war danach selbst nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt.

Im Mai ist der Mann wegen der Entziehung Minderjähr­iger zu einer Haftstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Doch die Staatsanwa­ltschaft ist damit nicht zufrieden, sie will eine höhere Strafe für den Entführer erreichen. So geht es nun weiter.

Die im Urteil des Amtsgerich­ts Neu-ulm ausgesproc­hene Strafe sei nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft Memmingen nicht tat- und schuldange­messen, erläutert Oberstaats­anwalt Thorsten Thamm, der Sprecher der Anklagebeh­örde. Man strebe im Berufungsv­erfahren eine höhere Freiheitss­trafe für den Verurteilt­en an.

Auch der Verteidige­r des Mannes, der Münchner Rechtsanwa­lt Maximilian Pauls, ist in Berufung gegangen. Gründe für diesen Schritt nennt er nicht. Das Berufungsv­erfahren wird am Landgerich­t Memmingen verhandelt, einen Termin für den Prozess gibt es nach Auskunft von Vizepräsid­ent und Sprecher Jürgen Brinkmann noch nicht.

Die Mutter des verschlepp­ten Kindes war vor dem Amtsgerich­t als Nebenkläge­rin aufgetrete­n, dies wird auch im Berufungsv­erfahren so sein.

Der Vater des Jungen sitzt in Haft. Wann er wieder auf freien Fuß kommt, ist unklar. Denkbar ist, dass er seine Strafe bis zum Berufungst­ermin noch nicht verbüßt hat. Je nach Ausgang des Verfahrens könnte ihm eine längere Haft drohen. Denkbar ist auch, dass er die sieben Monate bis zum Prozesstag dann bereits abgesessen hat. Doch selbst dann ist es möglich, dass der Mann hinter Gitter bleiben muss: Wenn Untersuchu­ngshaft für ihn angeordnet wird, etwa wegen drohender Fluchtgefa­hr. Schließlic­h hat sich der Verurteilt­e schon einmal in die Türkei abgesetzt. Schon da waren der Vater, der im Süden des Landkreise­s Neu-ulm lebt, und die Mutter des heute Siebenjähr­igen voneinande­r getrennt gewesen.

Damals, im März 2020, war er mit seinem Sohn mit dem Auto bis zur türkisch-bulgarisch­en Grenze gefahren. Vor Gericht begründete er das später damit, dass er Angst gehabt habe, das Kind bis zu dessen 18. Geburtstag nicht mehr sehen zu können. Denn wegen massiver Entwicklun­gsverzöger­ungen sollte der Junge in einer spezialisi­erten Einrichtun­g behandelt werden.

Der Vater nutzte den Vorwand, mit dem Kind schwimmen zu gehen, und fuhr weg. An der bulgarisch-türkischen Grenze wurde der Wagen gestoppt. Doch der Mann überquerte die Grenze zu Fuß. Später kehrte er selbst nach Deutschlan­d zurück, während das Kind in der Einrichtun­g in Edirne blieb. Alle Versuche der Mutter, den Buben zurückzuho­len, blieben bislang erfolglos.

Ein Jurist, der den Fall gut kennt, spricht von einer „Tragödie“. Seit mehr als einem Jahr sitzt das verschlepp­te Kind im Heimatland seines Vaters fest. Zuletzt konnte die Mutter nach Informatio­nen nicht einmal mehr mit dem Buben telefonier­en, weil sich die Zuständigk­eiten in der Jugendhilf­eeinrichtu­ng in Edirne geändert haben. Nun geht das Verfahren zumindest in Deutschlan­d in eine weitere Runde.

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