Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kind in Türkei verschleppt: Ankläger für härtere Strafe
Der Vater sitzt in Haft – Doch die Staatsanwaltschaft will eine längere Freiheitsstrafe erreichen
- Noch immer lebt ein heute sieben Jahre altes Kind aus dem Kreis Neu-ulm in einem Jugendheim in Edirne. Der Vater hatte den Buben im März 2020 in die Türkei verschleppt und war danach selbst nach Deutschland zurückgekehrt.
Im Mai ist der Mann wegen der Entziehung Minderjähriger zu einer Haftstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Doch die Staatsanwaltschaft ist damit nicht zufrieden, sie will eine höhere Strafe für den Entführer erreichen. So geht es nun weiter.
Die im Urteil des Amtsgerichts Neu-ulm ausgesprochene Strafe sei nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Memmingen nicht tat- und schuldangemessen, erläutert Oberstaatsanwalt Thorsten Thamm, der Sprecher der Anklagebehörde. Man strebe im Berufungsverfahren eine höhere Freiheitsstrafe für den Verurteilten an.
Auch der Verteidiger des Mannes, der Münchner Rechtsanwalt Maximilian Pauls, ist in Berufung gegangen. Gründe für diesen Schritt nennt er nicht. Das Berufungsverfahren wird am Landgericht Memmingen verhandelt, einen Termin für den Prozess gibt es nach Auskunft von Vizepräsident und Sprecher Jürgen Brinkmann noch nicht.
Die Mutter des verschleppten Kindes war vor dem Amtsgericht als Nebenklägerin aufgetreten, dies wird auch im Berufungsverfahren so sein.
Der Vater des Jungen sitzt in Haft. Wann er wieder auf freien Fuß kommt, ist unklar. Denkbar ist, dass er seine Strafe bis zum Berufungstermin noch nicht verbüßt hat. Je nach Ausgang des Verfahrens könnte ihm eine längere Haft drohen. Denkbar ist auch, dass er die sieben Monate bis zum Prozesstag dann bereits abgesessen hat. Doch selbst dann ist es möglich, dass der Mann hinter Gitter bleiben muss: Wenn Untersuchungshaft für ihn angeordnet wird, etwa wegen drohender Fluchtgefahr. Schließlich hat sich der Verurteilte schon einmal in die Türkei abgesetzt. Schon da waren der Vater, der im Süden des Landkreises Neu-ulm lebt, und die Mutter des heute Siebenjährigen voneinander getrennt gewesen.
Damals, im März 2020, war er mit seinem Sohn mit dem Auto bis zur türkisch-bulgarischen Grenze gefahren. Vor Gericht begründete er das später damit, dass er Angst gehabt habe, das Kind bis zu dessen 18. Geburtstag nicht mehr sehen zu können. Denn wegen massiver Entwicklungsverzögerungen sollte der Junge in einer spezialisierten Einrichtung behandelt werden.
Der Vater nutzte den Vorwand, mit dem Kind schwimmen zu gehen, und fuhr weg. An der bulgarisch-türkischen Grenze wurde der Wagen gestoppt. Doch der Mann überquerte die Grenze zu Fuß. Später kehrte er selbst nach Deutschland zurück, während das Kind in der Einrichtung in Edirne blieb. Alle Versuche der Mutter, den Buben zurückzuholen, blieben bislang erfolglos.
Ein Jurist, der den Fall gut kennt, spricht von einer „Tragödie“. Seit mehr als einem Jahr sitzt das verschleppte Kind im Heimatland seines Vaters fest. Zuletzt konnte die Mutter nach Informationen nicht einmal mehr mit dem Buben telefonieren, weil sich die Zuständigkeiten in der Jugendhilfeeinrichtung in Edirne geändert haben. Nun geht das Verfahren zumindest in Deutschland in eine weitere Runde.