Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Herz, Augen und Zollstock
Angebote bieten Betroffenen und Angehörigen Orientierung beim Thema Wohnen im Alter
- Plötzlich verschlechtert sich der Gesundheitszustand, die Beine machen nicht mehr mit und die Treppe vor dem Haus wird zur unüberwindbaren Barriere. Betroffene und Angehörige sind in solchen Situationen oft überfordert. Doch es gibt Unterstützung, beispielsweise von Pflegediensten oder der Wohnberatung der Caritas.
Margret Maas scannt die Umgebung bereits bei der Anfahrt. „100 oder mehr Meter vor dem Haus mache ich mir bereits ein Bild von der Wohnsituation“, beschreibt sie ihre Vorgehensweise. Im Jahr 2000 gehörte sie zu den ersten Ehrenamtlichen, die die Wohnberatung der Caritas mit Leben füllten. Das Motto lautete schon damals „Alt werden in den eigenen vier Wänden“. Derzeit stehen sieben Wohnberater, darunter zwei Architekten, sowie vier Technikbotschafter Betroffenen und Angehörigen unterstützend zur Seite. Verstärkung ist jederzeit willkommen. Das Beratungsangebot ist kostenlos und wird durch den Landkreis und Spenden finanziert, die ehrenamtlichen Berater erhalten ein Kilometergeld.
Daniela Wiedemann, Koordinatorin der Caritas-wohnberatung, sortiert die Anfragen nach Beratungsschwerpunkt. Stehen beispielsweise bauliche Vorhaben an, kommen die Architekten ins Spiel, bei technischen Fragen die Technikbotschafter. Zudem bilden sich die Wohnberater regelmäßig fort, zuletzt etwa unter dem Titel „Wohnberatung bei demenzieller Veränderung“.
Zuletzt stieg die Nachfrage deutlich, auch weil viele Menschen während der Pandemie Renovierungen in Angriff nahmen. Nach 40 Beratungen im Jahr 2019 und einem coronabedingten Rückgang im vergangenen Jahr auf 28 Beratungen verzeichnete Wiedemann in diesem Jahr bereits 31 Termine, die meisten davon online. „Die Pandemie hat gezeigt, dass wir digitaler werden müssen“, berichtet Wiedemann. Mittlerweile lässt sich die Wohnberatung etwa vorab Fotos von Treppe oder Badezimmer mailen und kann so auch oft ohne Beratungsbesuch weiterhelfen. Doch für die Präsentation oder das Ausprobieren von Hilfsmitteln und eine fundierte Gesamteinschätzung sind persönliche Termine naturgemäß besser geeignet.
Die Ausrüstung von Margret Maas besteht bei ihren ersten Beratungsgesprächen aus „Herz, Augen und Zollstock“. Sie versetzt sich gedanklich in die Situation eines Rollstuhl- oder Rollatorfahrers und sucht nach potenziellen Barrieren. Dabei versucht sie auch, vorausschauend vorzugehen und eine mögliche Veränderung des Krankheitsbilds zum Positiven wie zum Negativen zu berücksichtigen. Bei solchen Prognosen hilft Maas auch ihr beruflicher Hintergrund als gelernte Fachkraft für Geriatrie. Bei der Beurteilung der Wohnsituation müsse sie daher oft mehrgleisig fahren und dann entscheiden, ob sich dauerhafte Lösungen wie Umbauten lohnen oder vielleicht auch ein Hilfsmittel bereits ausreicht. Vielen Menschen falle es schwer, sich von Gewohntem zu trennen und sei es nur der geliebte Teppich, den Maas schnell als Stolperfalle identifiziert. Doch manchmal reicht auch Improvisation. Eine bessere Sitzhöhe könne man oft durch Blöcke unter den Möbeln
erreichen und so könne das alte Sofa doch bleiben.
Wohnberaterin Maas kommt oft noch ein zweites oder drittes Mal zu einem Beratungsbesuch, dann mit einigen passenden Hilfsmitteln oder Katalogen im Gepäck. Ihr Protokoll wertet dann Koordinatorin Wiedemann aus. Ein halbes Jahr nach der Beratung sucht Wiedemann wieder den Kontakt und erkundigt sich auf freiwilliger Basis, was von den Vorschlägen umgesetzt wurde.
Manchmal sind die Fälle auch etwas komplizierter. So bemühte sich jemand um einen Haltegriff fürs Bad, hatte aber keinen Pflegegrad. Die Wohnberatung dokumentierte den Fall und half.
„Am Ende gab es einen Haltegriff und einen Pflegegrad“, berichtet Wiedemann, die Betroffene ermutigt einen Widerspruch einzulegen, wenn ein Zuschussoder Förderantrag zunächst auf Ablehnung stößt.
Die Anfragen erreichen die Wohnberatung, die ihre Dienste überkonfessionell anbietet, nicht nur in akuten Fällen. „Auch 60- oder 65-Jährige, die sich fürs Alter rüsten möchten, wenden sich an uns“, berichtet Maas. Geht es nach Maas und Wiedemann können die Gedanken ans Wohnen im Alter gar nicht früh genug beginnen. Denn ein aufwendiger Umbau kostet nicht nur viel Geld, sondern nicht selten auch viel Zeit und viele Nerven. Die Beantragung von Zuschüssen der Pflegekasse oder einer Förderung der KFW, die Suche nach dem passenden Handwerker – auf Betroffene oder Angehörige
warten einige Hürden.
Kommt es zu einer Pflegesituation bieten auch Ambulante Pflegedienste ihre Hilfe an. „Vor der Aufnahme vereinbaren wir einen unverbindlichen und kostenlosen Termin“, berichtet Johannes Sippel, Inhaber des gleichnamigen Pflegedienstes in Schemmerhofen. Sippel informiert seine Gesprächspartner über die eigenen Dienstleistungen sowie weitere Angebote wie Tages- oder Kurzzeitpflege. Aber auch über Hilfsmittel wie den Hausnotruf, den beispielsweise DRK, ASB, Johanniter und Malteser anbieten, informiert er. Sippel erlebt seine Gesprächspartner in der rund einstündigen Erstberatung „hilflos“.
Und zuletzt habe der Beratungsbedarf zugenommen, berichtet der Pflegedienstinhaber. Eine Ursache sieht er in der „schlechter gewordenen Vorarbeit im Krankenhaus“. „Eine Mappe mit Ansprechpartnern ist zu wenig“, stellt Sippel fest. Darüber hätte er gerne beim runden Tisch Pflegeüberleitung des Sana-klinikums gesprochen. Der so wichtige Austausch mit dem Biberacher Sana-klinikum finde derzeit jedoch nicht statt, so Sippel weiter. Der im Oktober 2015 ins Leben gerufene runde Tisch, an dem verschiedene Akteure aus dem Bereich Pflege sowie Seniorenvertretungen eigentlich zweimal pro Jahr teilnehmen, habe sich letztmals im November 2019 getroffen, bedauert Sippel. Einen Online-termin habe Sana seither nicht angeboten. Die Kritik teilen auch andere Pflegedienste aus der Region, oft wie Sippel von den halbjährlichen Treffen mit seinen Kollegen weiß.
Die Schwachstellen der Häuser und Wohnungen ähneln sich oft. Vor allem bei den Türen stoßen Wohnberater und Pfleger oft auf Tücken. Die Türen sind oft nur 50 oder 60 Zentimeter breit. Rollstuhlfahrer benötigen jedoch mindestens 80 Zentimeter, Selbstfahrer sogar 90 Zentimeter. Dasselbe Problem tritt etwa bei Toilettenstühlen oder Rollatoren auf. Schwellen an Terrassenoder Zimmertüren entpuppen sich ebenfalls oft als Hindernisse. Auch Gästetoiletten, deren Türen sich nur nach Innen öffnen lassen, sind ein Problem. Zudem sei die Aufteilung oft ungünstig, befinden sich die Schlafzimmer oder das Hauptbad in den oberen Etagen. Und nicht zuletzt sind durch eine schlechte Beleuchtung Hindernisse oft erst zu spät zu erkennen.
Diese Schwachstellen finden Wohnberater oder Pflegedienste nicht nur in älteren Häusern vor. Wiedemann und Maas finden es daher wichtig, dass auch junge Bauherren an das Thema Barrierefreiheit denken. Wiedemann erarbeitet gerade ein Merkblatt zum Hausbau, das Gemeinden Bauherren als Denkanstoß zur Verfügung stellen. Unter anderem in Schemmerhofen soll es demnächst zum Einsatz kommen. Pflegedienstinhaber Sippel würde jedem Bauherren empfehlen, einen Bungalow zu bauen. Bei einem mehrgeschossigen Bau sollten sich zumindest Hauptbad, Küche und ein Raum, der als Schlafzimmer genutzt werden kann, auf der unteren Ebene befinden. Ein möglichst ebenerdiger Zugang zum Haus und breite, gerade Treppen, die die Montage eines Treppenlifters ermöglichen, seien weitere wichtige Bereiche beim Thema Barrierefreiheit, die Sippel schon beim Bau eines Hauses beachten würde. Für die Zukunft hofft er zudem, dass die Städte und Gemeinden immer mehr barrierefreie Quartiere entwickeln, in denen mehrere Generationen zusammenleben und die zudem Ärzte, Pflegedienste und Einkaufsmöglichkeiten beherbergen. Das sei in den Niederlanden und in Deutschland besonders in Niedersachsen bereits der Fall, so Sippel.
Doch bis dahin werden weiterhin viele Betroffene und Angehörige Angebote wie das der Wohnberatung noch gern in Anspruch nehmen.
Alles zum Thema Bauen, Mieten und Wohnen in der Region finden Sie unter www.schwaebische.de/ zuhause
Behördennummer 115, bundeseinheitliche Rufnummer, aus dem Festnetz zum Ortstarif, kostenlos bei Festnetzflatrate, Mobilfunktarife können abweichen
Kinder- und Jugendtelefon des Deutschen Kinderschutzbundes, gebührenfrei, Europanummer: 116111
Telefonseelsorge, gebührenfrei, 0800/ 1110111, 0800/ 1110222
Weißer Ring - Hilfe für Kriminalitätsopfer, kostenfreie, bundesweite Rufnummer, 116006
Biberach
Ambulante Hospizgruppe Biberach Lebensbegleitung bis zuletzt, www.ambulante-hospizgruppe-biberach.de, 0170/ 4889929
Krankenhaus Lotsen der Caritas, ehrenamtliche Hilfe rund um einen Krankenhausaufenthalt, wenn sich sonst niemand kümmern kann, 0157/ 81941989, jeden Mo-fr 8-19.30 Uhr
Pflegestützpunkt, Beratung rund um das Thema Pflege, 07351/ 527613, Landratsamt, Rollinstr. 18, jeden Mo-fr 8-12 Uhr außer Mi, jeden Mo-do auch 14-15.30 Uhr außer Mi, jeden Mi 8-17 Uhr