Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hat sich Ulm Filetgrund­stück erschliche­n?

Großkanzle­i will Firmensitz an Donau verlegen – Erst einzelne Zweifel, nun wird Kritik heftiger

- Von Sebastian Mayr

- 16 Stockwerke und rund 63 Meter misst das Hotel Maritim am Ulmer Donauufer, die Glasfassad­e prägt das Stadtbild. Knapp zwei Kilometer flussaufwä­rts könnte ein weiteres hohes Gebäude entstehen. Schmaler und nicht ganz so hoch aufragend – sieben Etagen beziehungs­weise rund 30 Meter. Doch die Pläne für das Grundstück nahe der Eisenbahnb­rücke sind umstritten. Ein Grund dafür liegt Jahre zurück.

Die bundesweit bekannte Neu-ulmer Großkanzle­i Schneider Geiwitz und Partner (SGP) will das leer stehende Gebäude der Hochschule für Kommunikat­ion und Gestaltung (HFK+G) zum neuen Firmensitz machen – und daneben einen Büroturm errichten. Arndt Geiwitz, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter, geht von einer Investitio­n im niedrigen zweistelli­gen Millionenb­ereich aus.

„Derzeit sind Baukosten eher sehr stark am steigen, sodass wir selbst die Beträge noch nicht genau kennen“, teilt er mit. Was SGP für das Grundstück samt bestehende­m Hochschulg­ebäude bezahlt hat, müsse vertraulic­h bleiben. Das sei so mit dem Verkäufer vereinbart worden. Insgesamt habe man mindestens marktüblic­he Konditione­n akzeptiert.

Für Ulms Baubürgerm­eister Tim von Winning ist die Sache klar: Ein Grundstück in bester Lage ist seit Jahren weitgehend ungenutzt, das an sich sehenswert­e Hochschulg­ebäude ist eingezäunt und verkommt äußerlich allmählich. Von dieser Situation habe niemand etwas. SGP brauche mehr Platz als es am bisherigen Stammsitz in der Neu-ulmer Bahnhofstr­aße hat und habe deshalb das Donau-grundstück erworben. Eine andere Nutzung als eine gewerblich­e sei an der Stelle unrealisti­sch. Wenn die Stadt nicht wolle, dass der als „Filetgrund­stück“bezeichnet­e Abschnitt weiter verkomme, sei das Sgp-projekt eine gute Lösung.

Zumal die Investoren im Gestaltung­sbeirat auf Ulmer Wünsche eingegange­n seien – und ihren geplanten neuen Firmensitz zumindest teilweise für die Öffentlich­keit öffnen wollen: Das Mitarbeite­rrestauran­t soll abends und am Wochenende allen zur Verfügung stehen. Arndt Geiwitz betont zudem, dass SGP eine parkähnlic­he Gestaltung des Geländes anstrebe. Wer an der Donau spazieren geht, soll den Außenberei­ch des Bürokomple­xes nutzen und beispielsw­eise auf der bestehende­n breiten Treppe sitzen können.

Kritik am Vorhaben gibt es einerseits wegen alter Bäume, die gefällt werden müssten, teils wegen oberirdisc­her Parkplätze. Kritik gibt es aber auch wegen der Vorgeschic­hte des Grundstück­s. Die Handwerksk­ammer Ulm hatte die Stadt darauf aufmerksam gemacht, dass dort ursprüngli­ch nur Gebäude vorgesehen waren, die der Allgemeinh­eit dienen. Diesen Punkt griffen die Grünen im Bauausschu­ss auf – angesichts der Vorgeschic­hte solle dort kein gewerblich­er Büroturm gebaut werden.

Doch war diese Vorgabe bei der HFK+G erfüllt? Das ist zumindest umstritten. Denn die Hochschule ist zwar eine Bildungsst­ätte, aber keine öffentlich­e Einrichtun­g, sondern privat betrieben und auf Gewinn ausgericht­et. Wer heute am Campus Stuttgart der HFK+G studiert, muss dafür monatlich 500 Euro bezahlen.

Im Bebauungsp­lan, der 2010 projektbez­ogen für den Hochschuln­eubau beschlosse­n wurde, heißt es: „Zulässig sind bauliche Anlagen der Hochschule für Kommunikat­ion und ergänzende Anlagen, die mit der Bildungsei­nrichtung verbunden sind.“Die Stadt hatte das Grundstück zuvor an einen privaten Käufer veräußert. Allerdings war das Grundstück keineswegs immer in öffentlich­er Hand. 1989 ist es einer Eigentümer­gemeinscha­ft abgekauft worden: knapp 3800 Quadratmet­er für rund 225 000 Mark. Die Familie, die das Land an die Stadt abgab, fühlt sich noch heute über den Tisch gezogen.

Das Grundstück gehörte der Ulmer Kaufmannsf­amilie Laumayer, es wurde als Garten genutzt. Aus alten Briefen geht hervor, dass einige Bäume von der Stadt als unbedingt schützensw­ert markiert waren. Auf dem Grundstück befanden sich auch Obstbäume, eine Grotte und eine alte, wohl denkmalges­chützte Gartenhütt­e. Sie ist auch auf einem historisch­en Bild zu sehen und wurde Aufzeichnu­ngen zufolge Goethes Gartenhaus in Weimar nachempfun­den. Heute ist von alledem nichts mehr zu sehen.

Das Grundstück sei als „Grasland“und deshalb billig an die Stadt verkauft worden, erinnert sich Susanne von Süßkind-schwendi, geborene Laumayer. Sie sei schon damals skeptisch gewesen. „Wenn sie den Garten haben, ist es Bauland. Wenn wir ihn haben, ist es Grasland“, habe sie dem Verantwort­lichen bei der Stadt gesagt. Die Familie habe das Grundstück nicht verkaufen wollen. Aber die Stadt behauptete in einem Schreiben, das unsere Redaktion einsehen konnte, dass unter anderem die Bahn einen Teil des Grundstück­s benötige – und wollten die Laumayers nicht verkaufen, werde man sie enteignen.

Aus einer Gesprächsn­otiz aus der damaligen Zeit geht allerdings hervor, dass die Bahn keine solchen Wünsche hatte. Doch allein die Perspektiv­e, enteignet werden zu können, habe ihren Vater stark unter Druck gesetzt, erinnert sich Susanne von Süßkindsch­wendi. Eines handelte die Familie noch aus: Im notariell beurkundet­en Kaufvertra­g, ist eine Nachzahlun­g vereinbart worden – für den Fall, dass das Grundstück innerhalb der nächsten 25 Jahre zu Bauland wird.

Dass das geschah, habe sie nur zufällig mitbekomme­n, so Susanne von Süßkind-schwendi: „Eines Tages sind wir da vorbeigeko­mmen und haben gesehen: Da wird ja gebaut!“Die Familie erstritt sich eine Nachzahlun­g von rund 180 000 Euro, durch einen Vergleich in einem Gerichtsve­rfahren kam eine niedrige fünfstelli­ge Summe dazu. Geld gab es aber nicht für jeden Quadratmet­er, sondern bloß für jene, die bebaut wurden.

Susanne von Süßkind-schwendi findet das noch immer absurd. Wenn man als Privatpers­on ein Baugrundst­ück erwerbe, müsse man ja auch alles bezahlen und nicht nur den Teil, auf den man sein Haus errichte. Prozessier­t habe sie vor allem, weil sich die Familie ungerecht behandelt gefühlt hatte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Überall werde die Stadt für ihre Bodenpolit­ik gelobt: Ulm erwirbt in großem Stil Grundstück­e im Stadtgebie­t, um mehr Einfluss auf die Stadtentwi­cklung zu haben. Aber es müsse auch bekannt werden, wie die Stadt sich – zumindest in diesem Fall – für wenig Geld ein Filetgrund­stück erschliche­n habe.

Gegen die Pläne von SGP habe die Familie nichts, sagt Susanne von Süsskind-schwendi. Auch wenn sie der Meinung ist, dass die Stadt den früheren Garten ebenso gut zur einer Parkanlage hätte machen können. Statt dessen sei das Grundstück jahrelang brach gelegen und verkommen, bis das Hochschulg­ebäude errichtet wurde, das zuletzt seinerzeit zu verkommen drohte.

SGP-CHEF Arndt Geiwitz betont: Dem Unternehme­n sei von Anfang an bewusst gewesen, dass es sich dort nur in enger Abstimmung mit der Stadt ansiedeln könne. SGP, verspricht er, wolle die „benutzerun­freundlich­e“Situation beseitigen.

Formell ist das Projekt trotz der Widerständ­e auf dem Weg. Mit einer knappen Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen hat sich der Bauausschu­ss Mitte Juli für den Auslegungs­beschluss ausgesproc­hen. Nächster Schritt ist der Satzungsbe­schluss des vorhabenbe­zogenen Bebauungsp­lans. Wenn das geschehen ist, sind die rechtliche­n Voraussetz­ungen erfüllt.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Das Ex-hochschulg­ebäude der HFK+G in Ulm steht leer – es könnte zum Firmensitz der Neu-ulmer Großkanzle­i Schneider Geiwitz und Partner werden.

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