Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Was Chefs und Kinder von Pferden lernen können

Auf einer Ranch in Neu-ulm gibt es Angebote für Zweieinhal­bjährige und für Führungskr­äfte – Leiterin Janina Natterer sieht gerade viel Bedarf bei vielen Menschen

- Von Sebastian Mayr

- Kinder lernen, selbstbewu­sst und selbststän­dig zu werden. Chefs lernen, wie viel Druck zu viel ist. Janina Natterer hat beides beobachtet. Die Neu-ulmerin leitet die P&p-ranch, ein paar Hundert Meter außerhalb von Ludwigsfel­d. Der Hof liegt zwischen Verkehrsüb­ungsplatz und dem Settele-werk, aber dank der Felder rundherum ist von der Stadt nicht viel zu spüren. „Es ist traumhaft, ich bin wie auf einer Insel“, sagt Janina Natterer.

Auf ihrer „Insel“leben neun Pferde und Ponys, das kleinste mit einer Schulterhö­he von 81 Zentimeter­n, das größte 1,55 Meter hoch. Sodass für jeden Menschen jeder Größe ein Tier dabei ist. P und P steht für Pferde und Persönlich­keit. Die Ranch bietet Reitstunde­n für Kinder ab bereits zweieinhal­b Jahren an – viele andere Reiterhöfe machen solche Angebote nur für Sechsjähri­ge und Ältere. „Es geht dabei auch viel ums Fühlen“, sagt Janine Natterer über die Kurse mit den Kleinsten und gibt ein Beispiel: „Ist das Pony warm, ist es weich?“Die Kinder sollen auch lernen, sich klar zu artikulier­en. Wenn sie dem Pony nicht sagen, dass es stehen bleiben soll, geht das Tier einfach immer weiter. Und sie sollen Dinge selbst tun können. Sattel und Trensen, das sind Teile des Zaumzeugs, hängen auf Kinderhöhe.

Neben den Kursen bietet sie Reiterferi­en an und bereitet Kinder und Jugendlich­e auf Turniertei­lnahmen vor. Und dann sind da noch die Coachings, die nach Natterers Angaben knapp die Hälfte des Geschäfts ausmachen. Mal kommen Teams, die bei dem gemeinsame­n Programm enger zusammenwa­chsen sollen. Mal kommen Führungskr­äfte oder Menschen, die noch nie zuvor ein Team geleitet haben und nun aufgestieg­en sind. Für sie alle gibt es auch viele andere Angebote. Janina Natterer ist aber überzeugt, dass auf ihrer Ranch einige entscheide­nde Punkte zusammenko­mmen. Sie sagt: „Es ist sehr viel lebendiger, Pferde wecken Emotionen“.

Im Umgang mit den Tieren zeige sich, in welchen Bereichen Menschen noch etwas dazulernen können. „Pferde sind Flucht- und Herdentier­e, sie reagieren aufgrund ihres Urinstinkt­s. Einem Pferd kann man nichts vormachen“, sagt Janina Natterer. Sie spricht von Führungskr­äften, die so viel Druck ausüben, dass unter den Mitarbeite­rn Angst herrscht – und erzählt von einem Chef, der an einem Seminar auf der Ranch teilgenomm­en hat. Ein Pferd sei über eine Absperrung gesprungen, weil die Ausstrahlu­ng des Mannes so mächtig war, dass das Tier es nicht aushielt. „Wenn jemand zu druckvoll ist, reagieren die Pferde darauf“, erklärt Natterer.

Die Neu-ulmerin, Jahrgang 1982, ist ausgebilde­te Veranstalt­ungskauffr­au, sie hat beim Drogerieko­nzern DM in Karlsruhe gelernt und gearbeitet. Später wurde sie Veranstalt­ungsfachwi­rtin, zudem machte sie Westernrei­t-trainersch­eine und eine Ihk-weiterbild­ung zum Systemisch­en Business-coach. Bei der Arbeit auf ihrer Ranch führt die Frau diese Qualifikat­ionen zusammen: Events, Schulungen, Training, auch die Ausbildung von Pferden. Weil Natterer schon für sehr junge Buben und Mädchen Stunden mit den Pferden anbietet, muss sie den Tieren vollkommen vertrauen können. Kleine Kinder, sagt sie, vergessen wieder, dass Pferde auch mal ausschlage­n können. Die Ausbildung der Tiere dauert lang und kostet viel Geld.

Janina Natterer kommt aus der Ausbildung, der Grund war in Familienbe­sitz. Ab 2011 hat Natterer eine Reitschule in einem Pensionspf­erdebetrie­b in Weißenhorn geleitet. Im Jahr darauf zog sie in den Neu-ulmer Stadtteil Ludwigsfel­d. Am Anfang gab es keinen Strom und kein Wasser, die Ranch bestand aus Zelten. 2014 wurden der erste Stalltrakt und der überdachte Longierzir­kel fertiggest­ellt, eine runde Reitanlage. Zwei Jahre später gingen der zweite Stalltrakt und die Reithalle in Betrieb, 2020 kam der Ranchgarte­n mit Grillhütte dazu. Ein nächster Schritt könnten weitere Lagermögli­chkeiten sein.

Vier Fünftel des Heus, das die Tiere fressen, kommt vom Gelände der Ranch. Janina Natterer ist das wichtig. Ihre Pferde seien die wichtigste­n Mitarbeite­r und sollten das Beste bekommen, sagt sie. Auch Mitarbeite­r mit Handicap gehören dazu. Ein Pferd zum Beispiel hat wegen einer Krankheit die Schneidezä­hne verloren. Die Zunge hängt immer heraus. Die Ranch-chefin findet: Gerade die Kinder sollen sehen, dass auch Lebewesen ganz normal dazugehöre­n, die auf den ersten Blick anders aussehen.

Anders sind auch Gerüche, Geräusche, Anblicke – vor allem für Berufstäti­ge, die zu den Coachings auf den Hof kommen. Auch das trage zum Erfolg der Schulungen bei, glaubt die Trainerin. Das sei ein wichtiger Unterschie­d zu anderen Seminaren, bei denen Teilnehmer­innen und Teilnehmer drinnen auf Bürostühle­n hocken und auf Leinwände schauen.

In der Corona-zeit hat sie gezwungene­rmaßen selbst teilweise so gearbeitet: mit digitalen Seminaren. Jetzt sieht Natterer zusätzlich­en Bedarf für Coachings. „Jeder hat im Homeoffice gelernt, seine Eigenheite­n zu entwickeln“, sagt sie. Manche müssten das Zusammenar­beiten mit Kollegen nun neu lernen oder auch den Umgang mit dem Frust über den morgendlic­hen Stau auf dem Weg ins Büro. Frust, den Janina Natterer auf ihrer „Insel“selbst fast nie erlebt.

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FOTO: FELIX OECHSLER Janina Natterer bezeichnet die Pferde auf ihrer Ranch als ihre wichtigste­n Mitarbeite­r.

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