Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Was Chefs und Kinder von Pferden lernen können
Auf einer Ranch in Neu-ulm gibt es Angebote für Zweieinhalbjährige und für Führungskräfte – Leiterin Janina Natterer sieht gerade viel Bedarf bei vielen Menschen
- Kinder lernen, selbstbewusst und selbstständig zu werden. Chefs lernen, wie viel Druck zu viel ist. Janina Natterer hat beides beobachtet. Die Neu-ulmerin leitet die P&p-ranch, ein paar Hundert Meter außerhalb von Ludwigsfeld. Der Hof liegt zwischen Verkehrsübungsplatz und dem Settele-werk, aber dank der Felder rundherum ist von der Stadt nicht viel zu spüren. „Es ist traumhaft, ich bin wie auf einer Insel“, sagt Janina Natterer.
Auf ihrer „Insel“leben neun Pferde und Ponys, das kleinste mit einer Schulterhöhe von 81 Zentimetern, das größte 1,55 Meter hoch. Sodass für jeden Menschen jeder Größe ein Tier dabei ist. P und P steht für Pferde und Persönlichkeit. Die Ranch bietet Reitstunden für Kinder ab bereits zweieinhalb Jahren an – viele andere Reiterhöfe machen solche Angebote nur für Sechsjährige und Ältere. „Es geht dabei auch viel ums Fühlen“, sagt Janine Natterer über die Kurse mit den Kleinsten und gibt ein Beispiel: „Ist das Pony warm, ist es weich?“Die Kinder sollen auch lernen, sich klar zu artikulieren. Wenn sie dem Pony nicht sagen, dass es stehen bleiben soll, geht das Tier einfach immer weiter. Und sie sollen Dinge selbst tun können. Sattel und Trensen, das sind Teile des Zaumzeugs, hängen auf Kinderhöhe.
Neben den Kursen bietet sie Reiterferien an und bereitet Kinder und Jugendliche auf Turnierteilnahmen vor. Und dann sind da noch die Coachings, die nach Natterers Angaben knapp die Hälfte des Geschäfts ausmachen. Mal kommen Teams, die bei dem gemeinsamen Programm enger zusammenwachsen sollen. Mal kommen Führungskräfte oder Menschen, die noch nie zuvor ein Team geleitet haben und nun aufgestiegen sind. Für sie alle gibt es auch viele andere Angebote. Janina Natterer ist aber überzeugt, dass auf ihrer Ranch einige entscheidende Punkte zusammenkommen. Sie sagt: „Es ist sehr viel lebendiger, Pferde wecken Emotionen“.
Im Umgang mit den Tieren zeige sich, in welchen Bereichen Menschen noch etwas dazulernen können. „Pferde sind Flucht- und Herdentiere, sie reagieren aufgrund ihres Urinstinkts. Einem Pferd kann man nichts vormachen“, sagt Janina Natterer. Sie spricht von Führungskräften, die so viel Druck ausüben, dass unter den Mitarbeitern Angst herrscht – und erzählt von einem Chef, der an einem Seminar auf der Ranch teilgenommen hat. Ein Pferd sei über eine Absperrung gesprungen, weil die Ausstrahlung des Mannes so mächtig war, dass das Tier es nicht aushielt. „Wenn jemand zu druckvoll ist, reagieren die Pferde darauf“, erklärt Natterer.
Die Neu-ulmerin, Jahrgang 1982, ist ausgebildete Veranstaltungskauffrau, sie hat beim Drogeriekonzern DM in Karlsruhe gelernt und gearbeitet. Später wurde sie Veranstaltungsfachwirtin, zudem machte sie Westernreit-trainerscheine und eine Ihk-weiterbildung zum Systemischen Business-coach. Bei der Arbeit auf ihrer Ranch führt die Frau diese Qualifikationen zusammen: Events, Schulungen, Training, auch die Ausbildung von Pferden. Weil Natterer schon für sehr junge Buben und Mädchen Stunden mit den Pferden anbietet, muss sie den Tieren vollkommen vertrauen können. Kleine Kinder, sagt sie, vergessen wieder, dass Pferde auch mal ausschlagen können. Die Ausbildung der Tiere dauert lang und kostet viel Geld.
Janina Natterer kommt aus der Ausbildung, der Grund war in Familienbesitz. Ab 2011 hat Natterer eine Reitschule in einem Pensionspferdebetrieb in Weißenhorn geleitet. Im Jahr darauf zog sie in den Neu-ulmer Stadtteil Ludwigsfeld. Am Anfang gab es keinen Strom und kein Wasser, die Ranch bestand aus Zelten. 2014 wurden der erste Stalltrakt und der überdachte Longierzirkel fertiggestellt, eine runde Reitanlage. Zwei Jahre später gingen der zweite Stalltrakt und die Reithalle in Betrieb, 2020 kam der Ranchgarten mit Grillhütte dazu. Ein nächster Schritt könnten weitere Lagermöglichkeiten sein.
Vier Fünftel des Heus, das die Tiere fressen, kommt vom Gelände der Ranch. Janina Natterer ist das wichtig. Ihre Pferde seien die wichtigsten Mitarbeiter und sollten das Beste bekommen, sagt sie. Auch Mitarbeiter mit Handicap gehören dazu. Ein Pferd zum Beispiel hat wegen einer Krankheit die Schneidezähne verloren. Die Zunge hängt immer heraus. Die Ranch-chefin findet: Gerade die Kinder sollen sehen, dass auch Lebewesen ganz normal dazugehören, die auf den ersten Blick anders aussehen.
Anders sind auch Gerüche, Geräusche, Anblicke – vor allem für Berufstätige, die zu den Coachings auf den Hof kommen. Auch das trage zum Erfolg der Schulungen bei, glaubt die Trainerin. Das sei ein wichtiger Unterschied zu anderen Seminaren, bei denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer drinnen auf Bürostühlen hocken und auf Leinwände schauen.
In der Corona-zeit hat sie gezwungenermaßen selbst teilweise so gearbeitet: mit digitalen Seminaren. Jetzt sieht Natterer zusätzlichen Bedarf für Coachings. „Jeder hat im Homeoffice gelernt, seine Eigenheiten zu entwickeln“, sagt sie. Manche müssten das Zusammenarbeiten mit Kollegen nun neu lernen oder auch den Umgang mit dem Frust über den morgendlichen Stau auf dem Weg ins Büro. Frust, den Janina Natterer auf ihrer „Insel“selbst fast nie erlebt.