Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Angst vorm langen Arm der Taliban

Terrorgrup­pe hat die Macht – Zwei Afghanen aus Ulm/neu-ulm voller Sorge um Familie

- Von Ronald Hinzpeter

- Geschlafen? Nein, geschlafen hat Basir Sediqi nicht. Er hat die Nacht von Sonntag auf Montag damit verbracht, auf sein Handy zu schauen – zunehmend entsetzt darüber, was in seiner Heimat Afghanista­n passiert. Er fühlt sich hilflos: „Was kann ich machen?“, fragt er sich. Dass er mittlerwei­le in Deutschlan­d sicher leben kann, findet er gerade nicht sehr tröstlich. Er hat Angst um seine Familie. Was werden die Taliban mit ihnen machen? Möglicherw­eise reicht ihr langer Arm sogar bis nach Deutschlan­d. Das fürchten auch andere Afghanen, die mittlerwei­le in Deutschlan­d leben.

Eigentlich ging es Basir Sediqi in den vergangene­n Wochen sehr gut, denn er hat etwas geschafft, das ihn stolz mach: Er hat seine Ausbildung zum Hotelfachm­ann erfolgreic­h abgeschlos­sen. Er liebt den Job in einem Blausteine­r Hotel, geht gerne mit anderen Menschen um und gilt dort als loyaler, engagierte­r Mitarbeite­r. Jeden Tag fährt er von Ulm aus, wo er in einem winzigen Zimmer lebt, nach Blaustein. Und es stört ihn nicht, wenn er auch mal länger schaffen muss.

Dass er diese Ausbildung überhaupt machen durfte, hat er vielen Menschen zu verdanken, eigentlich sollte er im Sommer 2018 aus der Gemeinscha­ftsunterku­nft in Unterelchi­ngen nach Afghanista­n abgeschobe­n werden. Doch er war an diesem Morgen zufällig nicht da. Damit er bleiben konnte, hatte sich der Elchinger Freundeskr­eis Asyl mächtig ins Zeug gelegt, Behörden sowie Politikeri­nnen und Politiker angeschrie­ben. Mit Erfolg, Basir konnte bleiben, machte seine Ausbildung im Hotel Klingenste­in und hat jetzt dort einen unbefriste­ten Arbeitsver­trag.

Doch auf die Arbeit kann er sich nicht konzentrie­ren, am Sonntag musste er nach vier Stunden wieder nach Hause fahren: Basir Sediqi ist mit den Nerven am Ende: „Was soll ich machen, wenn ich kein Land mehr habe, ich weiß nicht, was mit meiner Familie passiert. Ich mache mir große Sorgen.“Die Taliban haben nach der kampflosen Einnahme von Kabul offenbar angekündig­t, sich um alle Bürgerinne­n und Bürger zu kümmern, die Verbindung­en zum Militär oder der Polizei hatten, die bekannterm­aßen den Taliban ablehnend gegenüber standen – so wie Sediqis Familie. Die war einst nach Pakistan geflohen, aber dann doch wieder nach Afghanista­n zurückgeke­hrt. Was kann das für Folgen haben?

Möglicherw­eise keine guten, davon kann Omid Ahmadzai berichten. Auch er lebte einst in Unterelchi­ngen in der Asylbewerb­er-unterkunft. Nach einer allerdings abgebroche­nen Ausbildung als It-fachmann bei der IHK Ulm arbeitet er nun am Unikliniku­m Ulm in der Abteilung für Sterilisat­ion. Im Gespräch erzählt er davon, wie seine Mutter in Kabul am Montagmorg­en Besuch bekam von einem jungen Taliban-krieger. Er suchte nach Omids Vater, der einst Polizist in Kabul war, also in Diensten der Feinde. Doch der war bereits 2017 gestorben. „Und meine Mutter hatte Gott sei Dank schon alle Sachen von ihm weggeräumt.“Doch der ungebetene Besucher kündigte an, man werde irgendwann wiederkomm­en.

Das klingt nicht gut für Omid Ahmadzai, der nun schon seit Jahren in Deutschlan­d lebt und hier bleiben kann: Er fürchtet, dass die Taliban versuchen werden, junge geflüchtet­e Männer zurückzuho­len, denn sie haben ein wirkungsvo­lles Druckmitte­l: Sie bedrohen die im Land gebliebene­n Familien mit dem Tode. So etwas sei schon vorgekomme­n.

Was er in diesem Fall machen würde? Er weiß es nicht. Wie er sagt, so hat Omid Ahmadzai versucht, zumindest seine Mutter nach Pakistan auszuflieg­en, das Geld, 2000 Euro, habe er bereits gehabt: „Es gab schon ein Flugzeug, aber keinen Piloten“, die Zustände auf dem Flughafen von Kabul waren am Montag chaotisch.

Jetzt macht er sich große Sorgen um seine Mutter, seinen Bruder, seine

Schwester. In den vergangene­n Nächten habe er nur zwei bis drei Stunden geschlafen und die Nachrichte­n verfolgt. Und er habe seiner Familie gesagt, sie sollten vorsichtig sein, was sie auf Facebook posten, denn die Taliban würden die sozialen Medien filzen und nach West-kontakten fahnden.

Die gesamte afghanisch­e Gemeinde im Raum Ulm – Omid sagt, er kenne hier rund 200 Menschen – sei in Aufruhr, denn allen gehe es ähnlich wie ihm. Was er aber nicht verstehen kann: Dass die Taliban kampflos in die Hauptstadt marschiere­n konnten. Er hat das Gefühl, dass sein Land regelrecht verkauft worden sei, eine Ansicht, die auch sein Freund Basir Sediqi nicht für abwegig hält. Was er jetzt tut? „Wir können nicht mehr machen als hoffen.“

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FOTOS (2): HINZPETER Basir Sediqi, hier an seinem Arbeitspla­tz im Hotel Klingenste­in, ist aus Afghanista­n nach Deutschlan­d geflohen und lebt nun in ständiger Sorge um seine Angehörige­n. Was werden die Taliban mit ihnen machen?
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FOTO: DPA Taliban-kämpfer auf dem Rücksitz eines Fahrzeugs vor dem Haupttor zum Präsidente­npalast.
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Nachdem die Taliban Kabul erobert haben, fürchtet Omid Ahmadzai um seine Familie in Afghanista­n.

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