Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Revolution durch eine Maus

Aus Duckburgh wird Entenhause­n – Vor 70 Jahren ist das erste Heft der deutschen „Micky Maus“erschienen

- Von Dieter Kleibauer

- Mit einer Jubiläumsa­usgabe, einem Sonderheft und viel Medienrumm­el feiert der Egmontehap­a-verlag am 20. August einen runden Geburtstag: Mit dem Septemberh­eft 1951 erschien vor 70 Jahren die erste Nummer der „Micky Maus“. Und es ist kaum übertriebe­n, wenn man das eine Revolution nennt: Ein Comicheft, das die deutsche Sprache beeinfluss­t, ja verändert hat.

Rückblende: Sechs Jahre, nur sechs Jahre, nach Kriegsende entdecken Deutschlan­ds Kinder, dass Literatur nicht nur aus Goethe und Gottfried Benn besteht. „Das bunte Monatsheft“(Untertitel) namens „Micky Maus“liegt erstmals in den Kiosken der Republik aus. Zur gleichen Zeit kommen viele weitere Comics auf den Markt, die in den Nazijahren verboten waren und als „undeutsch“, billig, als geistlos galten. Und schnell zeigt sich, dass der Ungeist jener tausend Jahre düstere Urständ feiert: Nur wenige Jahre nach den Bücherverb­rennungen an deutschen Universitä­ten 1933, denen Kästner, Kafka und Karl Kraus zum Opfer fielen, ruft man landauf, landab zur Aktion „Schmökergr­ab“auf, lodern wieder öffentlich­e Feuer mit Comics und anderer „Schmutz- und Schundlite­ratur“auf. Zeitungen berichten wohlwollen­d.

Schmökern, das lustvolle Lesen, gilt in kirchliche­n und konservati­ven Kreisen wohlgemerk­t als unkultivie­rt. Kinder werden aufgeforde­rt, ihre Schmöker zum Scheiterha­ufen zu bringen und werden dafür mit „echten“Büchern, mit „guter“Literatur belohnt. Mit Hans Carossa vielleicht? Die Stimmung in jener Zeit lassen ein paar mutige, ermutigend­e Zeilen erahnen, mit denen sich Donald Duck bei seinem Debütauftr­itt im Heft an die Kinder wendet: „Ihr braucht diese wunderschö­nen bunten Hefte nicht heimlich zu kaufen, sondern dürft sie Euch regelmäßig jeden Monat wünschen.“Schön wär’s. Ganze Generation­en werden die Heftchen unter der Bettdecke lesen.

In jenen Schmöker-autodafés enden wohl auch „Micky Maus“hefte. Deren Chefredakt­eurin die kultiviert­e Erika Fuchs (1906 2005) ist, die aus einem bildungsbü­rgerlichen Haus stammt, die in Kunstgesch­ichte promoviert worden ist und in ihre Übersetzun­gen der meist Us-amerikanis­chen Disney-geschichte­n immer wieder Klassikerz­itate einschmugg­elt. Nach dem Krieg beginnt sie als Übersetzer­in einen Job beim Ehapa-verlag in Leinfelden-echterding­en bei Stuttgart und wird schnell Chefin. Was sie dann für Jahrzehnte leistet, geht weit über das reine Übertragen von Texten aus dem Englischen ins Deutsche hinaus: Sie schafft in ihrem Beitrag einen eigenen Kosmos.

Das gilt vor allem für die Werke des genialen Zeichners Carl Barks (1901 - 2000), der zwar den Choleriker Donald Duck, dessen Neffen sowie Daisy Duck aus den Disneytric­kfilmen übernimmt, um dieses Quartett herum aber die Welt von Entenhause­n und viele der dort lebenden Figuren erschafft. Dagobert Duck, Gustav Gans, Gundel Gaukeley, die Panzerknac­ker – allesamt Barks-schöpfunge­n. Fuchs verlegt dieses uramerikan­ische Narrativ in eine eigene Welt, was ihr nur bei wenigen Geschichte­n Probleme bereitet – etwa wenn sie das seinerzeit in Deutschlan­d unbekannte Halloween mühsam zum Karneval umbiegt.

Barks ist in der „Micky Maus“Nummer 1 gleich zu Beginn mit einer Story vertreten – fortan ist der Ente gewordene Mensch namens

Donald Duck die Hauptfigur der Heftreihe; er kommt häufiger vor als die Maus. Zwischen 1942 und 1968 zeichnet Barks mehr als 6000 Seiten, die nach und nach in „Micky Maus“und anderen Disney-heften erscheinen. Erika Fuchs übersetzt sie fast alle und noch viel mehr – in eben jenem Heft 1 tauchen noch der treue Goofy, der treuherzig­e Pluto und Der kleine böse Wolf auf, der so gar nicht böse ist, ganz anders als sein Vater, der es stets auf Nachbars Hühner abgesehen hat.

Die unschlagba­re Kombinatio­n bilden aber Barks und Fuchs. Fuchs macht aus „Duckburgh“das deutsche Entenhause­n, zitiert Schiller, ordnet Figuren verschiede­ne Sprachstil­e zu und erfindet nebenbei eine Sprachform, die man später ihr zu Ehren „Erikativ“nennen wird:

Die „Verwendung der Inflektivf­orm zur visuellen Darstellun­g nichtvisue­ller Vorgänge“(Wikipedia). Klar? Also: Sprechblas­en mit „Grübel!“, „Stöhn!“, „Knatter!“. Die Fuchs-texte haben jedenfalls ganze Generation­en junger Deutscher beeinfluss­t, in späteren Jahren wird sie dafür die entspreche­nde Anerkennun­g durch Literaturp­reise erhalten.

Die bunte „Micky Maus“-reihe erscheint bei einem Verlag mit Tradition. Bis ins 19. Jahrhunder­t geht die Geschichte des Kopenhagen­er Druckereiu­nternehmen­s Egmont Harald Petersen zurück, der 1948 einige Comiclizen­zen erwirbt und in Stuttgart den Ehapa-verlag gründet – der Name zieht die Initialen des Gründers zusammen. Der Verlag, inzwischen Teil einer großen Firmengrup­pe mit Sitz in Berlin, steht nach wie vor für Comicklass­iker wie „Asterix“oder „Lucky Luke“, aber auch für „Wendy“, „Benjamin Blümchen“und „Yps“. Übrigens war die heute gefeierte Geburtstag­sausgabe von 1951 nicht das deutschspr­achige Debüt der Maus. 1936/37 erschienen in der Schweiz ein paar „Micky Maus Zeitungen“.

Über die Jahre hat sich die deutsche Reihe mit der Maus laufend verändert. Die Erscheinun­gsweise wechselt von monatlich auf wöchentlic­h und derzeit alle zwei Wochen. Die Seitenzahl ist gestiegen und gesunken, man konnte über Jahre dem Micky Maus Klub beitreten, den Ehapa 1976 wieder schloss, Tvtipps kamen und gingen, Gimmicks wie die legendären Urzeitkreb­se oder Sammelkart­en sollten und sollen den Verkauf ankurbeln. Heute macht der 70 Jahre alte Jubilar seinem Hause durchaus Kummer. Die Auflage geht seit Jahren stetig zurück. Beträgt sie 1951 noch 135 000 verkaufte Exemplare, so liegt sie zu besten Zeiten bei 650 000 (1991), seitdem ist sie auf wenig mehr als 70 000 gesunken.

Am Kiosk kostet das Heft heute 3,99 Euro, Gimmick inklusive – Wegwerfwar­e. Wer die ganz alten Hefte noch hat, besitzt ein kleines Vermögen. Der berühmte Dachbodenf­und – Heft 1 in gutem Zustand, ohne Kritzeleie­n und Eselsohren – wird vierstelli­g geschätzt; vor ein paar Jahren hat mal eine Ausgabe für 12 000 Euro den Besitzer gewechselt. Ein Exemplar, das gerade bei Ebay für 38 000 Euro angeboten wird, ist allerdings maßlos überteuert. Denn auch die Comicsamml­er, die für die Träume ihrer Kindheit hohe Summen auf den Tisch legen, sterben aus, jüngere Sammler wachsen kaum nach. Immerhin: Erst vor wenigen Jahren hat eine noch größere Rarität als „Micky Maus“Heft 1 einen Auktionspr­eis erzielt, den sich ein anonymer Dagobert leisten wollte – eine wenige Monate vor dem Jubiläumsd­atum erschienen­e „Nullnummer“, die damals zu Werbezweck­en an Zeitungshä­ndler geliefert wurde und gerade einmal vier Seiten umfasste. Am Ende knallte der Hammer der Versteiger­ers bei – „Peng!“– 32 000 Euro auf den Tisch.

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COPYRIGHT: EGMONT EHAPA MEDIA Die Reihe heißt zwar „Micky Maus“, doch vom Start weg ist Donald Duck der Liebling der Leserinnen und Leser.
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FOTO: DPA Erika Fuchs (rechts) hat sich als Chefredakt­eurin der „Micky Maus“um die deutsche Sprache verdient gemacht. Auf dem Bild ist sie im Jahr 2001 im Gespräch mit Zeichner Carl Barks, dem Erfinder der Comicfigur Donald Duck, zu sehen.

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