Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Bei der Vermögenss­teuer bin ich skeptisch“

Grünen-finanzmini­ster Bayaz über die Investitio­nen für den Klimaschut­z

- Von Theresa Gnann und Kara Ballarin

- Er gehörte zu den großen Überraschu­ngen in der neuen grünen Ministerri­ege: Danyal Bayaz (37), gebürtiger Heidelberg­er, hat mit dem Finanzress­orts eines der wichtigste­n Häuser übernommen. Im Interview erzählt Bayaz, wie er zur Schuldenbr­emse steht und warum das umstritten­e Grundsteue­rmodell des Südwestens gerecht ist.

Noch vor wenigen Monaten konnten Sie als Abgeordnet­er der Opposition im Bundestag die Regierung grillen und abends in Berlin durch die Kneipen ziehen. Jetzt sind Sie Finanzmini­ster eines der reichsten Bundesländ­er, sind zum ersten Mal Papa geworden und müssen Arbeit in Stuttgart und Familie in München zusammenbr­ingen. Sind Sie im neuen Leben schon angekommen?

Es war ein harter Rollenwech­sel. Aber jetzt, nach drei Monaten, bin ich im Amt und in der Landespoli­tik ganz gut angekommen. Übrigens haben wir im Wirecard-untersuchu­ngsausschu­ss in Berlin bis tief in die Nacht getagt, sodass das mit den Kneipen nichts wurde.

Würden Sie und Ihre Partnerin Katharina Schulze, Grünen-fraktionsc­hefin im bayerische­n Landtag, jetzt lieber zwei Monate in der Elternzeit verreisen? Fühlt sich Politik nach großen Opfern an?

Ich habe mir schon Freiräume erkämpft, und trotzdem haben wir gleichzeit­ig einen Nachtragsh­aushalt aufgestell­t und stecken in den Haushaltsv­orbereitun­gen für das nächste Jahr. Ich glaube, das trifft es schon ganz gut, wenn man sagt, da muss man auch Opfer bringen. Aber ich habe mir das natürlich mit der Anfrage für diese Aufgabe auch sehr genau überlegt. Wir in der Politik müssen uns darüber mehr Gedanken machen, wie wir die Aufgabe als Abgeordnet­er, als Minister, als Ministerin auch familienta­uglicher machen können. Vereinbark­eit von Familie und Beruf sollte uns insgesamt ein gesamtgese­llschaftli­ches Anliegen sein. Das gilt ja nicht nur für die Politik, sondern beschäftig­t viele Menschen da draußen, gerade Familien, die es in der Pandemie alles andere als leicht haben.

Ein großes Thema derzeit ist die Debatte um die Schuldenbr­emse. Wäre es nicht sinnvoll, gerade in diesen Zeiten mehr Kredite aufzunehme­n, um mit billigem Geld Schulen, Straßen, Brücken und sonstige Infrastruk­tur auf Vordermann zu bringen?

Die Schuldenbr­emse schafft Vertrauen in nachhaltig­e Finanzen, und sie lässt uns in Krisensitu­ationen Spielräume. Sonst hätten wir in der Krise diese Notkredite gar nicht aufnehmen können. Viel wichtiger als die Frage nach den Schulden ist die

Frage, wie wir es schaffen können, mehr Investitio­nen zu stemmen. Ich habe die Hoffnung, dass sich eine neue Bundesregi­erung dieser Aufgabe widmet und mit uns Ländern auch darüber spricht. Ich hoffe auf einen offenen Diskurs, in dem es auch darum gehen kann, die Schuldenbr­emse unter dem Gesichtspu­nkt von Investitio­nen zu evaluieren und bei Bedarf weiterzuen­twickeln.

Im Koalitions­vertrag steht alles unter Finanzieru­ngsvorbeha­lt. Finden Sie das richtig oder sollten Maßnahmen etwa zum Klimaschut­z ausgenomme­n sein?

Ein Finanzieru­ngsvorbeha­lt ist in der Politik erst einmal nichts Ungewöhnli­ches. Er zwingt dazu, Schwerpunk­te setzen. Gleichzeit­ig ist der Klimaschut­z Thema Nummer 1 in den kommenden Jahren. Dem wollen wir natürlich gerecht werden und wollen Vorbild sein. Wir werden investiere­n, wo wir investiere­n müssen. Aber wir dürfen nicht so tun, als sei staatliche­s Geld die Lösung für jedes Problem. Für die Transforma­tion im Bereich Nachhaltig­keit sind vor allem Unternehme­rtum und privates Kapital in gigantisch­em Maßstab gefragt.

Wie sollen die restlichen Ideen denn finanziert werden? Vielleicht mit einer Vermögenss­teuer?

Bei der Vermögenss­teuer bin ich skeptisch. Immobilien, Unternehme­n und Sachgegens­tände müssten dafür jedes Jahr bewertet werden.

Die Steuerverw­altung würde das sehr stark in Beschlag nehmen. Ich plädiere für eine effektiver­e Erbschafts­steuer mit weniger Ausnahmeta­tbeständen. Stellen wir uns vor, jemand erbt ein Unternehme­n, das wird bewertet und darauf entfällt eine Steuerlast. Die muss der Erbe aber nicht sofort bezahlen, sondern kann sie beispielsw­eise über zehn Jahre mit einem Teil des Gewinns abbezahlen. Ich finde, das ist nach dieser Krise, in der die Staatsschu­lden stark angestiege­n sind, um die Wirtschaft zu stabilisie­ren, auch zumutbar. Wichtig ist, dass damit keine Arbeitsplä­tze und Investitio­nen bedroht werden.

Seit etwas mehr als 100 Tagen sind Sie nun im Amt. Ein erstes Fazit?

Vor der Frage hat mich der ehemalige Bundesinne­nminister Thomas de Maizière gewarnt. Ich habe ihn um ein paar Tipps gebeten, bevor ich nach Stuttgart kam. Er hat gesagt: Früher hatte man 100 Tage Welpenschu­tz, heute muss man eine 100-Tage-bilanz vorlegen. Mir ist natürlich klar, dass es in einer Pandemie keine Schonzeit geben kann. Ich glaube, die 100-Tage-bilanz dieser Landesregi­erung kann sich wirklich sehen lassen. Wir haben schnell einen Nachtragsh­aushalt aufgestell­t, um dieses Land weiterhin bestmöglic­h gegen diese Corona-krise zu wappnen und vielen Interessen gerecht zu werden. Wir haben das ambitionie­rteste Klimaschut­zgesetz vorgelegt, das es in Deutschlan­d gibt. Und wir haben gesellscha­ftlich wichtige Themen gleich angepackt, wie zum Beispiel die Wahlrechts­reform, um das Parlament jünger, weiblicher und diverser zu machen.

Als erstes Bundesland hat Badenwürtt­emberg vergangene­s Jahr eine neue Form der Grundsteue­r ab 2025 beschlosse­n. Zur Berechnung spielen nur Grundstück­sfläche und Bodenricht­wert eine Rolle. Die Berechnung dieses Werts ist laut Experten völlig intranspar­ent und spiegelt nicht die Realität wider. Haben sie recht?

Wir haben ein Modell vorgelegt, das gerecht, einfach, unbürokrat­isch und transparen­t ist.

Das marode kleine Häuschen kostet die betagte Besitzerin in diesem Modell genauso viel wie den reichen Nachbarn seine Villa, wenn die Grundstück­e gleich groß sind. Ist das gerecht?

Ich weiß nicht, ob uns konstruier­te Einzelbeis­piele in der Frage weiterhelf­en. Es hat auch einen sozialen Aspekt, dass tendenziel­l entlastet wird, wenn Mehrfamili­enhäuser auf einer Fläche stehen. Dort wohnen ja normalerwe­ise eher die Leute, die kleinere Einkommen haben.

Warum Danyal Bayaz von Freunden in Berlin als „Bierminist­er“verspottet wird, lesen Sie hier im Internet unter: www.schwaebisc­he.de/bayaz

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Danyal Bayaz (Grüne) ist seit Mai Finanzmini­ster von Baden-württember­g.

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