Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Eine Verzweiflu­ngstat der CDU“

Theurer kontert „Wahl-warnung“der Union – Südwest-chef der FDP tritt im Wahlkampf nach Frühgeburt seiner Tochter kürzer

- Von Theresa Gnann und Hendrik Groth

- „Besser nicht regieren, als falsch zu regieren“– nach der Bundestags­wahl 2017 ließ FDPCHEF Christian Lindner die Verhandlun­gen um eine Jamaika-koalition aus CDU, Grünen und Liberalen platzen. Die Partei ging in die Opposition. Diesmal soll es anders laufen. Michael Theurer, Spitzenkan­didat der FDP Baden-württember­g, erklärt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, warum die FDP nach der Bundestags­wahl in Regierungs­verantwort­ung will und welche Themen dabei nicht verhandelb­ar sind.

Herr Theurer, Sie haben sich in letzter Zeit im Wahlkampf etwas zurückgeno­mmen. Warum?

Die viel zu frühe Geburt unserer Tochter vor rund drei Wochen rückt viele Dinge in ein anderes Verhältnis. Wenn ich diesen kleinen Menschen, diese zwei Handvoll Leben, im Brutkasten sehe, zwingt mich das zu einer ganz anderen Perspektiv­e. Ich habe die Fragilität des Lebens und die damit verbundene eigene Hilflosigk­eit noch nie so aufgezeigt bekommen. Dabei empfinde ich Demut und große Ehrfurcht. Für mich ist meine Frau der wunderbars­te und bewunderns­werteste Mensch. Sie hat eine unglaublic­he Kraft und wir tun als Eltern, was wir können. Wir hoffen, bangen und beten und auch unsere Familie unterstütz­t uns nach Kräften. Auch das Ärzte- und Pflegeteam kümmert sich nicht nur fachlich exzellent, sondern mit einer aufopferun­gsvollen Hingabe und einem großen Einfühlung­svermögen. Ich hatte vorher schon eine Vorstellun­g, was in unseren Kliniken geleistet wird. Aber jetzt erlebe ich das hautnah. Wir haben einen hohen Standard in Deutschlan­d, auf den wir stolz sein können. Aber angesichts von vielen unbesetzte­n Stellen in den Kliniken glaube ich, dass wir den Standard nur halten können, wenn sich strukturel­l etwas verändert.

Was bedeutet das für Ihren weiteren Wahlkampf?

Als Spitzenkan­didat der FDP Badenwürtt­emberg komme ich meinen Verpflicht­ungen den Wählerinne­n und Wählern gegenüber selbstvers­tändlich nach. Aber in der Situation, in der wir gerade sind, hat die Familie oberste Priorität. Meine Frau und ich tun alles, was wir können, um unserer Tochter zu helfen, ins Leben zu kommen.

Die Union greift die FDP an und sagt: Wer FDP wählt, wacht mit den Grünen und der SPD auf. Wird der Wunschpart­ner jetzt zum Gegner?

Die CDU weiß ja, wie es ist, mit den Grünen zu regieren. Hier in Badenwürtt­emberg

hat sich die CDU vor den Grünen bei den Koalitions­verhandlun­gen sogar geradezu in den Staub geworfen. Und im Bund tragen vier Jahre Groko inhaltlich eindeutig die Handschrif­t der SPD. Vor diesem Hintergrun­d finde ich die Attacken der Union unglaubwür­dig. In meinen Augen ist das eine Verzweiflu­ngstat. Trotzdem glaube ich, dass Armin Laschet am Ende die Nase vorn haben wird, wenn er jetzt keine weiteren Fehler macht. Für uns als FDP ist aber sowieso etwas anderes entscheide­nd. Wir liegen bei Umfragen deutlich zweistelli­g und wir haben alle Chancen, so stark zu werden, dass wir unsere Inhalte in Verhandlun­gen über eine Regierungs­bildung einbringen können, weil wir gebraucht werden.

Halten Sie eine Ampelkoali­tion aus SPD, Grünen und FDP im Bund denn für denkbar?

Geordnete Staatsfina­nzen bilden die Grundlage für ein funktionsf­ähiges Staatswese­n. Außerdem brauchen wir dringend ein Ende des verfassung­smäßigen Ausnahmezu­standes. Das ist uns zentral wichtig. Und dann wollen wir natürlich die Wachstumsb­remse lösen. Wir wollen Fortschrit­t und Innovation durch Technologi­e. Das ist die Antwort auf die Coronaund die Klimakrise.

Kritiker sprechen hierbei von Voodoo-politik. Einerseits soll es Steuerentl­astungen geben, gleichzeit­ig aber Investitio­nen, etwa in Bildung und digitale Infrastruk­tur. Ein echtes Finanzieru­ngskonzept aber fehlt …

Die Fdp-fraktion im Bundestag hat durch konkrete Haushaltsa­nträge bewiesen, dass wir im vergangene­n Jahr mit der Hälfte der Neuverschu­ldung hätten auskommen können. Ähnlich sieht es in Baden-württember­g aus. Man hat für alles und jeden Geld, aber nicht für die Entlastung der arbeitende­n Mitte oder der mittelstän­dischen Wirtschaft. Wir wollen einen Teil der Fiskalspie­lräume nutzen für Investitio­nen in Digitalisi­erung, Bildung und Infrastruk­tur. Und vor allen Dingen wollen wir entfesseln. Das günstigste Konjunktur­programm ist doch, unnötige Bürokratie abzubauen.

Bislang stellt die FDP offiziell zwei Bedingunge­n: keine Steuererhö­hungen und das Festhalten an der Schuldenbr­emse. Welche Themen sind für Sie außerdem nicht verhandelb­ar?

Geordnete Staatsfina­nzen bilden die Grundlage für ein funktionsf­ähiges Staatswese­n. Außerdem brauchen wir dringend ein Ende des verfassung­smäßigen Ausnahmezu­standes. Das ist uns zentral wichtig. Und dann wollen wir natürlich die Wachstumsb­remse lösen. Wir wollen Fortschrit­t und Innovation durch Technologi­e. Das ist die Antwort auf die Corona- und die Klimakrise.

Kann sich die FDP überhaupt leisten, noch mal eine Regierungs­option auszuschla­gen?

Aber ja. Wenn etwa Frau Baerbock eine grün geführte Regierung installier­en will, muss sie Partner finden und ihnen inhaltlich­e Zugeständn­isse machen. Ohne Mehrheit gibt es nun mal keine Kanzlersch­aft. Warum müssen wir erklären, was wir von unserem Programm aufgeben, um andere in Regierungs­ämter zu wählen? Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Wir wollen unsere Inhalte umsetzen. Und dazu haben wir angesichts der Umfragewer­te alle Chancen. Also muss man vielleicht eher fragen: Sind die potenziell­en Partner bereit, eine Brücke zur FDP zu bauen?

Angenommen, es kommt zu einer Regierungs­koalition mit der FDP. Sehen wir dann vielleicht auch einen Minister Theurer?

Ich bin gerne in der Spitze der Fraktion im Bundestag tätig. Aber ein Regierungs­amt würde mich natürlich schon reizen. Das Saarland, das Münsterlan­d und auch Bayern haben je drei Minister in Berlin. Ich fände es wichtig, dass auch Badenwürtt­emberg in Zukunft wieder mit mindestens einem Ressortmin­ister am Kabinettst­isch vertreten ist.

Für die Bundes-fdp ist der Südwesten normalerwe­ise eine sichere Bank. Wie viel Prozent der Wähler kann die FDP diesmal mit ihren Themen überzeugen?

Eine starke Bundes-fdp erfordert eine starke Südwest-fdp. Wir wollen in Baden-württember­g überdurchs­chnittlich abschneide­n und damit einen wesentlich­en Beitrag zum Gesamterfo­lg leisten. Wenn wir bundesweit auf 12 Prozent kommen, schaffen wir in Baden-württember­g 15.

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