Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Man kann sich nur noch schämen
Zur Übernahme Afghanistans durch die Taliban:
Es brauchte keine besondere Intelligenz um vorauszusehen, dass jede Art militärischen Rückzugs die Taliban als bedingungsloses Geschenk zu nutzen gedenken. 20 Jahre mühevollen Aufbaus zugunsten von einem humanen Leben überhaupt, und insbesondere für Frauen und Mädchen, werden ohne jeden Skrupel kampflos aufgegeben. Noch viel schlimmer als dieser unermessliche Verlust ist aber nun das Schicksal aller Afghanen, die als „Ortskräfte“gedient haben. Schon vor Monaten war im Fernsehen bei Interviews dieser Menschen zu hören, dass sie Folter und brutale Tötung zu erwarten haben. Von 7000 Männern ist die Rede. Selbst wenn deren Frauen und Kinder – was noch nicht sicher ist – am Leben gelassen werden, dann wird diesen Familien der Ernährer genommen. Als Geächtete werden diese armen Menschen dann ein Leben in größtem Elend führen. Diese Leute, die im Gegensatz zu islamistischen Gefährdern für uns kein Schaden wären, hätten noch vor dem Abzug der Soldaten als Erste evakuiert werden müssen. Nun ist es für die meisten zu spät. Hochverrat der Naiven, begangen von Trumps USA bis zu den blinden Versagern der Politik in Afghanistan selbst, in Europa und nicht zuletzt in Deutschland. Man kann sich nur noch schämen.
Meckenbeuren
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Kabul ist gefallen – nach 20 Jahren Us-amerikanischer und europäischer Intervention. Sechs Wochen nach dem Abzug der deutschen Truppen ist mit der Hauptstadt Kabul nun praktisch ganz Afghanistan unter Kontrolle der islamistischen Taliban-kämpfer. 20 Jahre lang wurden in eine immerhin 300 bis 350 Tausend Mann starke afghanische Armee Milliarden von Dollar und Euro investiert. Modernste Waffensysteme, militärische Schulung und humanitäre Hilfen wurden in knapp sechs Wochen von hoch motivierten Taliban und deren Anhängern im
Vielvölkerstaat Afghanistan geradezu weggewischt. Die Fehleinschätzungen bezüglich der Geschwindigkeit der Machtübernahme seitens des deutschen Außenministers Heiko Maas zeigen uns ja deutlich, wie wenig selbst vermeintliche Experten über die wahren Verhältnisse in Ländern wie Afghanistan wissen. Insofern sollte Deutschland, ja – und auch die EU – ihr Verhalten bei internationalen Konflikten neu überdenken. Entweder verhalten wir uns bei der Beurteilung künftiger, internationaler Auseinandersetzungen in Drittländern deutlich diplomatischer oder wir übernehmen als EU die Rolle des „Weltpolizisten“von den USA. Dann aber bitte mit allen Konsequenzen. Ob sich dafür Mehrheiten finden, bezweifle ich allerdings stark. Wenn wir aber weder das eine, noch das andere wollen, werden wir uns durch ständiges „Anmahnen und Verurteilen“langsam aber sicher der Lächerlichkeit preisgeben.
Bad Waldsee
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Seit über 40 Jahren leben die Menschen in Afghanistan in Unruhe, Krieg und Unselbständigkeit. Das Volk wurde gedemütigt und von den Großmächten Sowjetunion und USA missbraucht. Ich war im Dezember 1978 im Iran unterwegs, was sich als sehr gefährlich herausstellte, denn die islamische Revolution kam in Gange. Ich schaffte es mit Nachtfahrten an die afghanische Grenze in Herat. Von Herat über Kandahar nach Kabul durfte ich ein armes aber stolzes und gastfreundliches Volk erleben. Zu dem Zeitpunkt war aber schon der sowjetische Einfluss zu spüren. Die Angst vor einem russischen Einmarsch war groß. Aus diesem Grund haben mir meine Gastgeber in Kabul dringend geraten, das Land zu verlassen. Dies habe ich dann auch in einer Nachtaktion getan und wurde mit Helfern über den Khyberpass zur Grenze nach Pakistan geleitet. Über diese Hilfe war und bin ich dankbar und seitdem habe ich das Geschehen in Afghanistan mit großem Interesse verfolgt. Im Jahr 1980 wurde unser erster Sohn geboren. Wenn ich mir vorstelle, wie er aufwachsen durfte und was die Kinder in seinem Alter in Afghanistan erdulden mussten, so schaudert es mich. Über vierzig Jahre Gewalt, Angst, Unsicherheit und Unselbständigkeit. Diese Menschen können nicht wissen, an was sie glauben sollen. Und was ist jetzt! Die selbsternannten Freunde und Beschützer hauen ab und überlassen die Menschen den islamradikalen „Befreiern“. Denen gilt es jetzt sich zu unterwerfen – zu sterben oder zu flüchten. Mehr Möglichkeiten haben sie nicht.
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Wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen reagierten Politik und Öffentlichkeit auf die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Jetzt werden Schuldige für das Desaster gesucht, obwohl fast alle politischen Akteure mit wohlwollender Begleitung der Medien Jahr für Jahr für eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes waren, damit sich auch in diesem Land westliche Werte durchsetzen.
Angefangen hat die unrealistische Mission mit dem grünen Außenminister Fischer, dem ein afghanischer Nationalstaat mit demokratischen Strukturen vorschwebte. Übertroffen wurde er aber jetzt vom Cduaußenpolitiker Röttgen. Er wollte die Taliban in letzter Sekunde mit einem erneuten Einsatz unter Beteiligung der Bundeswehr stoppen. Dass dieser irrsinnige Vorschlag von der Verteidigungsministerin Krampkarrenbauer abgelehnt wurde, lässt hoffen. Ihre Ankündigung, die Auslandseinsätze der Bundeswehr einer realistischen Überprüfung zu unterziehen, verdient Unterstützung. Dazu gehört aber auch eine Änderung des Marschbefehls für die kürzlich ausgelaufene Fregatte Bayern. Ist es im deutschen Interesse, wenn dieses Kriegsschiff im südchinesischen Meer Flagge zeigt?
Ravensburg
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