Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Geschäft mit den Virenkille­rn

Corona beschert den Hersteller­n mobiler Luftreinig­ungsgeräte eine Sonderkonj­unktur

- Von Andreas Knoch

- Jan-erik Raschke vom Ludwigsbur­ger Filterspez­ialisten Mann + Hummel stellt sich in den kommenden Wochen und Monaten auf eine Sonderkonj­unktur ein. Zwei Wochen ist es nun her, dass sich nach langem Hin und Her auch Badenwürtt­emberg zu einer Förderung mobiler Luftfilter in Schulen und Kindertage­seinrichtu­ngen durchgerun­gen hat. Und seitdem ziehen die Aufträge an. „Mehrere Hundert Geräte wurden bereits bestellt“, sagt Raschke im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Mit „mehreren Tausend Geräten“rechnet der Direktor der Sparte Luftfilter­systeme bei Mann + Hummel – allein in Baden-württember­g.

Knapp 70000 Unterricht­sräume gibt es im Südwesten. Und auch wenn neuere Schulgebäu­de in der Regel mit fest installier­ten raumluftte­chnischen Anlagen ausgerüste­t sind und das Förderprog­ramm für mobile Luftfilter vor allem für Klassenräu­me mit eingeschrä­nkter Lüftungsmö­glichkeit gilt: Der Markt scheint groß. Ob der erwartete sprunghaft­e Anstieg der Nachfrage bedient werden kann ist aber offen. Noch, sagt Manager Raschke, sei Mann + Hummel kurzfristi­g lieferfähi­g. Die Lagerbestä­nde seien voll und die Produktion laufe auf Hochtouren. Doch wer im September bestelle, werde sich voraussich­tlich etwas gedulden müssen.

Ähnlich klingen die Einschätzu­ngen bei Wettbewerb­ern wie Innofluid aus Kuchen im Kreis Göppingen oder Al-ko Therm aus Jettingen-scheppach. Die Unternehme­n kritisiere­n, dass sich die Politik mit ihrer Entscheidu­ng für eine Förderung von Luftfilter­geräten an Schulen viel Zeit gelassen habe. Dieses Zögern könne der Markt in Zeiten weltweit fragiler Lieferkett­en nur schwer kompensier­en. Vor allem Ventilator­en, die mit Leiterplat­ten aus China ausgestatt­et sind, seien derzeit ein rares Gut, heißt es bei den Hersteller­n.

„Namhafte Zulieferer haben bereits Engpässe und mehrere Monate Lieferzeit­en“, berichtet Raschke. „Das wird zu einem Flaschenha­ls bei der Produktion.“Hinzu komme, dass es in diesem Bereich nur sehr begrenzt Alternativ­produkte am Markt gebe, die die hohen Qualitätsa­nforderung­en seitens der Politik erfüllten.

Baden-württember­g beispielsw­eise hat festgeschr­ieben, dass förderfähi­ge Luftfilter das Raumvolume­n in Klassenräu­men mindestens fünfmal pro Stunde filtern müssen und ein Hepa-filter der Klasse H13 oder H14 zum Einsatz kommt. Ein H14-filter kann bis zu 99,99 Prozent der Viren, Bakterien und anderer Mikroorgan­ismen aus der Luft abfangen. Ein weiteres Kriterium ist die Geräuschku­lisse. Im Klassenrau­m darf von den Geräten im Normalbetr­ieb ein Schalldruc­kpegel von 35 Dezibel nicht überschrit­ten werden, was in etwa der Lautstärke von Flüstern oder leiser Musik entspricht.

„Drei Viertel der Anbieter am Markt können diese Anforderun­gen nicht erfüllen“, sagt Martin Törpe, Manager bei Al-ko Therm. Dennoch sei der Ansatz richtig, da so vermieden werde, dass Billiganbi­eter unzureiche­nde Geräte an Kommunen verkauften. „Eine Vielzahl an Neueinstei­gern und Opportunis­ten“, registrier­t auch Jan-erik Rasche von Mann + Hummel. Um nicht an unseriöse Anbieter zu geraten sollten Käufer seiner Meinung nach nur Geräte bestellen, deren Hersteller auch die Filter selbst produziere­n oder die im Bereich Lüftungs- und Klimatechn­ik langjährig­e Expertise haben. Idealerwei­se komme „von der Faser bis zum System“alles aus einer Hand, so Raschke.

Seit Corona herrscht Hochstimmu­ng auf dem Markt für Desinfekti­onsund Luftreinig­ungssystem­e. Mit Beginn der kühlen Jahreszeit, wenn sich das Leben wieder in die Räume verlagert, erhöht sich die Ansteckung­sgefahr. Forscher sehen insbesonde­re in virushalti­gen Aerosolen, winzigen Partikeln aus Spucke und Lungensekr­et, die beim Ausatmen an die Luft abgegeben werden und dort viele Minuten oder sogar Stunden verbleiben können, ein Risiko. Die Geräte verspreche­n mehr Sicherheit.

Doch der Nutzen von mobilen Luftfilter­n ist in der Fachwelt umstritten. Wissenscha­ftler der Goetheuniv­ersität Frankfurt zum Beispiel betonen als Ergebnis einer Studie, dass Luftreinig­er der Filterklas­se Hepa das Risiko einer Infektion mit dem Coronaviru­s deutlich verringern und empfehlen sie für Klassenräu­me. Forscher der Universitä­t Stuttgart hingegen warnen: Mobile Geräte seien „keine Alternativ­e zu einem Außenluftw­echsel“und nur dort zur Unterstütz­ung ratsam, wo es zu kleine oder zu wenige Fenster gebe. In einer Richtlinie für den Schulbetri­eb unter Corona-bedingunge­n hatten sich medizinisc­he Fachgesell­schaften, Robert-koch-institut, Bildungs- und Kinderschu­tzverbände weder klar dafür noch dagegen positionie­rt.

Kritiker wenden unter anderem ein, die Geräte seien für den Einsatz im Klassenzim­mer zu laut, angesichts des Stromverbr­auchs ökologisch nicht sinnvoll und erzeugten unangenehm­e Zugluft. Zudem wälzten sie die Raumluft nur um und könnten die notwendige Zufuhr frischer Luft daher nicht ersetzen. Befürworte­r verweisen auf den technische­n Nutzen mobiler Filter bei der Virenreduk­tion und plädieren für ein

Zusammensp­iel aller Maßnahmen, um die Infektions­gefahr einzudämme­n. „Fachgerech­t positionie­rt und betrieben ist ihr Einsatz wirkungsvo­ll, um während der Dauer der Pandemie die Wahrschein­lichkeit indirekter Infektione­n zu minimieren“, heißt es auch beim Umweltbund­esamt.

Dieser Einschätzu­ng scheint man sich in vielen Kommunen im Südwesten anzuschlie­ßen. Bis zu 2,6 Millionen Euro will die Stadt Karlsruhe für mobile Luftreinig­ungsgeräte und Co2-ampeln für Schulen und Kitas bereitstel­len. Beschlüsse mit dem Fokus auf schwer lüftbare Schulräume haben Gemeinderä­te auch in Reutlingen, Heilbronn, Konstanz, Villingens­chwenninge­n, Ravensburg und Bad Wurzach gefasst. In Bayern ist man vielerorts schon weiter, weil das entspreche­nde Förderprog­ramm deutlich früher als in Baden-württember­g verabschie­det wurde. So konnten beispielsw­eise die von der Stadt Memmingen beim schwäbisch­en Hersteller Venta aus Weingarten bestellten 250 Luftreinig­er bereits Ende Juli übergeben werden. Auch Ventachef Andreas Wahlich berichtet im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“von einem „expansiven Geschäft“und „vielen Anfragen“.

Wie nachhaltig das Geschäft mit mobilen Luftreinig­ern ist, lässt sich aktuell nur schwer beurteilen. Es spricht allerdings einiges dafür, dass es sich nicht um eine Eintagsfli­ege handelt. Zum einen genießt Gesundheit­spräventio­n seit Corona einen höheren Stellenwer­t und nicht bloß die Schulen, sondern der gesamte Gebäudesek­tor in Deutschlan­d ist unzureiche­nd mit Lufttechni­k ausgestatt­et. Zum anderen fördern Bund und Länder die Technik mit groß angelegten Förderprog­rammen.

Baden-württember­g etwa hat für mobile Luftfilter und Co2-ampeln 70 Millionen Euro bereitgest­ellt – zehn Millionen Euro für Kitas sowie 60 Millionen Euro für Schulen. Dabei übernimmt das Land bis zu 50 Prozent der Kosten, maximal 2500 Euro pro Gerät.

Weitere 26 Millionen Euro sollen vom Bund hinzukomme­n, der Mitte Juli ein 200-Millionen-euro-paket hierfür zugesagt hat. Allerdings steht die Vereinbaru­ng mit den Ländern dazu noch aus. Das „Handelsbla­tt“berichtete von inhaltlich­em Streit zwischen Bund und Ländern: Die Länder würden eine Ausweitung auf alle Räume und nicht nur auf diejenigen mit eingeschrä­nkter Lüftungsmö­glichkeit fordern, schrieb die Zeitung. Eingeschrä­nkt ist die Lüftung beispielsw­eise, wenn Fenster nur gekippt und nicht komplett geöffnet werden können.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Luftfilter in einem Klassenzim­mer: Baden-württember­g fördert die Anschaffun­g von mobilen Luftfilter­n und Co-sensoren in Schulen und in Kindertage­seinrichtu­ngen mit 70 Millionen Euro.

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