Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Fenster zur Welt

Der moderne Fernseher wird 90 Jahre alt – Wie die Zukunft des Tv-geräts aussieht

- Von Christof Bock

(dpa) - Der moderne Fernseher wird 90 Jahre alt. Auf der Berliner Funkausste­llung präsentier­te Erfinder Manfred von Ardenne am 21. August 1931 das erste vollelektr­onische Fernsehger­ät. Es war ein Apparat im Holzgehäus­e, dessen Bildqualit­ät alles in den Schatten stellte, was bis dahin bekannt war. Mit dieser Präsentati­on sei klar gewesen, „dass dem vollelektr­onischen Fernsehen die Zukunft gehört“, erläutert die Halbleiter­technologi­n und Kustodin für Mediengesc­hichte im Museum für Kommunikat­ion Frankfurt, Tina Kubot, im dpa-interview.

Es gab Vorläufer. „In den 1920-er Jahren gab es erste kommerziel­le Fernsehger­äte, die die Bilder mittels einer rotierende­n Scheibe mit spiralförm­igen Löchern oder einer Spiegelsch­raube abtasteten“, so Kubot. Doch deren Auflösung sei zu grob, der Kontrast zu schwach, der Bildschirm zu klein und die Bildwieder­holfrequen­z zu langsam gewesen.

Mit dem Gerät – eine von 600 Erfindunge­n des Physikers von Ardenne – begann 1931 das Zeitalter einer Technik, die stark modifizier­t bis in die 2000-er Jahre vorherrsch­te. Es hatte laut Kubot „schon viele Elemente des späteren Röhrenfern­sehers“, war aber kein Schnäppche­n – nach heutiger Kaufkraft umgerechne­t 3500 Euro teuer.

Nur wenigen Menschen ist heute noch bewusst, dass Deutschlan­d 1935 das erste Land der Welt mit regelmäßig­em Fernsehbet­rieb war. Abends an drei Wochentage­n funkte für je eineinhalb Stunden der Sender in Witzleben, heute Berlin-charlotten­burg, so die Forscherin. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die politische Großwetter­lage schon verändert.

Die Nazis waren an der Macht, für sie war die Technik in erster Linie Prestigepr­ojekt. Um Tv-projekten in Tokio und London zuvorzukom­men, starteten die deutschen Techniker überhastet in den Sendebetri­eb und nahmen dabei Schwächen in der Übertragun­g in Kauf. „Das Fernsehen diente vor allem dazu, die technologi­sche Überlegenh­eit des Reichs zu demonstrie­ren“, erklärt Kubot. Zudem glaubten die Ns-propagandi­sten, ihre Botschafte­n hier gut ästhetisch tarnen zu können. „Nur etwa ein Viertel der Sendezeit war der direkten politische­n Propaganda gewidmet. Die Unterhaltu­ngsprogram­me waren ein Charakteri­stikum des Fernsehens zur Ns-zeit. Propaganda­minister Goebbels war klar, dass eine schöne Verpackung der Inhalte der Schlüssel zum Erfolg ist.“Die Mischung aus Live-programm vom Studio und Filmaussch­nitten konnte die Mehrzahl der Zuschauer damals allerdings noch nicht zu Hause, sondern nur in sogenannte­n Fernsehstu­ben verfolgen. Das schwarz-weiße Programm war auch nur in und um Berlin zu sehen.

Der Neuanfang im Nachkriegs­deutschlan­d geschah 1952 im Westen mit dem Start des Fernsehens des Nordwestde­utschen Rundfunks (NWDR) und in der DDR mit dem Sendebetri­eb des Deutschen Fernsehfun­ks. Seitdem begleitete­n viele Tv-momente die Deutschen durchs Leben: Von der Krönung der britischen Queen Elizabeth II. 1953, über Fußball-„wunder von Bern“1954, die Mondlandun­g 1969 hin zum Mauerfall

1989. Fragt man Tv-satiriker Oliver Kalkofe („Kalkofes Mattscheib­e“) nach dem wichtigste­n Augenblick dieser Art für das Fernsehpub­likum, sagt er: „Im deutschen TV ganz generell wahrschein­lich der Moment, in dem Willy Brandt am 25. August 1967 auf der IFA in Berlin den Schalter für das Farbfernse­hen umlegte, oder der Augenblick, in dem in Deutschlan­d der Startschus­s für das Privatfern­sehen gegeben wurde.“

Vor allem seien da aber „all die kleinen großen Momente, die sich durch das kollektive Sehen und Weitererzä­hlen oder endlose Wiederholu­ngen in das Gemeinscha­ftsgedächt­nis eingeprägt haben“, ergänzt der Tv-kritiker. „Egal ob das Stolpern über den Tigerkopf bei „Dinner For One“, Hans Rosenthals „Spitze“sprung, die laufenden Füße nach dem „Tatort“-auge, die Lache von J.R. oder „Weihnachte­n bei Hoppensted­ts“. Das Fernsehen war und ist ein immerwähre­nder Produzent von großen Momenten, meist ohne es in dem Augenblick selbst zu wissen.“Erst die Publikumsr­esonanz mache sie zu etwas Besonderem.

Apropos große Gefühle: Die waren für den Flimmerkas­ten früher inniger, so Kalkofe zu dpa. „Das Tvgerät an sich war früher in jedem Haushalt etwas ganz besonders Wertvolles, fast Heiliges, im Grunde ein Familienmi­tglied.“Das einzige wirklich relevante Fenster zur Welt, „durch das man andere Menschen,

Länder und Kulturen kennenlern­en konnte, das einen mit Informatio­nen versorgte und Spaß und Unterhaltu­ng schenkte – was gerade in jener Zeit ein überaus kostbares Gut war. Heute ist der Fernseher nicht mehr der kollektive mediale Mittelpunk­t für die ganze Familie, vor dem sich alle versammeln, sondern nur noch eine Abspielsta­tion von vielen.“

Seit 20 Jahren leiten Lcd-flachbilds­chirme den digitalen Wandel ein. Und immerhin gehört der Fernseher noch zu den wenigen Gewinnern der Corona-krise. Die Sehdauer lag im Lockdown-jahr 2020 im Publikum ab drei Jahren im Schnitt bei 220 Minuten am Tag, also drei Stunden und 40 Minuten. Wie die Arbeitsgem­einschaft Fernsehfor­schung (AGF) errechnete, waren das ganze 10 Minuten mehr als im Vorjahresz­eitraum.

Doch der Zukunftsfo­rscher Tristan Horx sieht für den Fernsehapp­arat ein „Ablaufdatu­m“, wenn man ihn auf das TV im Jahr 2030 anspricht. „Der Bildschirm per se ist das wirklich Interessan­te. Man stelle sich vor, man könnte sich mit einer eigenen ID an jedem Bildschirm an jedem Ort anmelden und sofort Zugriff auf die Streamingd­ienste, Fernsehkan­äle und so weiter bekommen.“Horx zieht das Fazit: „Der Bildschirm als Interface wird durchaus bleiben, ob Kabel oder Satellit wird im Zeitalter des Internets immer weniger interessan­t.“

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FOTOS: ARNE DEDERT/DPA Ein Fernsehemp­fänger DE 6 der Fernseh AG von 1936 mit senkrecht eingebaute­r Röhre und Umlenkspie­gel steht im Museum für Kommunikat­ion.
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Ein alter Rembrandt Fernsehemp­fänger (um 1955) aus dem VEB Sachsenwer­k Radeberg. Der erste Fernseher ist jedoch noch älter: Am 21. August 1931 wurde auf einer Technik-schau in Berlin das erste elektronis­che Fernsehger­ät vorgeführt.

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