Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„James Webb“soll tief ins Universum blicken

Im Herbst startet das Weltraumte­leskop ins All – Forscher erhoffen sich bahnbreche­nde neue Erkenntnis­se

- Von Oliver Pietschman­n

(dpa) - Wissenscha­ftler hoffen auf einen Blick zurück in die Frühzeit des Weltalls nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren. Auf Bilder von Sternen, die älter sind als unser Sonnensyst­em und vielleicht nicht mehr existieren. Möglicherw­eise gar Hinweise auf eine zweite Erde, einen blauen Planeten.

Forscher erwarten mit dem für Herbst geplanten Start des James Webb Space Telescope (JWST) völlig neue Erkenntnis­se. „Es wird einfach gigantisch­e neue Fenster eröffnen und neue Möglichkei­ten“, sagt der Direktor für Wissenscha­ft bei der europäisch­en Raumfahrtb­ehörde Esa, Günther Hasinger.

Der Start des rund zehn Milliarden Dollar teuren Projekts der amerikanis­chen und kanadische­n Weltraumag­enturen Nasa sowie der Esa war immer wieder verschoben worden. Nun soll das gigantisch­e Teleskop, quasi als Paket verpackt, im Herbst an Bord einer Ariane-trägerrake­te starten und mit seinen vier Infrarot-instrument­en weitaus tiefer ins All fliegen als sein Vorgänger, das seit mehr als 30 Jahren arbeitende Weltraumte­leskop Hubble.

Dies aber birgt ein Risiko: Während Hubble in 500 Kilometern Höhe mit Shuttle-flügen mehrfach repariert und gewartet wurde, geht das beim James Webb Space Telescope in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung nicht mehr. Das Teleskop mit seinem 6,5 Meter großen Spiegel und einem Tennisplat­z-großen Sonnenschu­tz braucht Hasinger zufolge mehr als 130 Einzelmech­anismen, um sich zu entfalten. „Es ist ein sehr, sehr komplizier­tes Spiel, was da ablaufen muss, bis alles entfaltet ist.“Er vergleicht das mit einem Schmetterl­ing: „Die Raupe verpuppt sich, und dann bricht die Puppe auf, und der Schmetterl­ing entfaltet sich.“

Dieser Prozess beginnt bereits auf dem Weg zum Ziel. „Es gibt im Sonnensyst­em fünf Punkte, an denen sich die Schwerkraf­t gegeneinan­der aufhebt“, sagt Hasinger. Der Zielort sei einer davon. Dort, mit Erde und Sonne im Rücken und mit dem Sonnensege­l geschützt vor Wärmeeinst­rahlung, könnten die Instrument­e mit ihren Messungen in unterschie­dlichen Infrarotwe­llen beginnen. Dafür werden sie teils runtergekü­hlt.

„Es wird das erste kalte Teleskop. Wenn man Infrarotst­rahlen messen will, das ist ja Wärmestrah­lung, dann muss das Teleskop selber sehr kalt sein“, sagt Hasinger.

Bis zu ersten Untersuchu­ngen werde es ungefähr sieben Monate dauern. Erste Bilder werde man voraussich­tlich im kommenden Juli sehen, glaubt Hasinger. Ein vom Maxplanck-institut für Astronomie in Heidelberg mitentwick­eltes Instrument, eine Kombinatio­n aus Kamera und Spektograf, ist nach Angaben des Instituts so empfindlic­h, dass es eine brennende Kerze auf einem Jupitermon­d nachweisen könnte.

„Dichte Molekülwol­ken mit viel Staub und Gas sind die Entstehung­sgebiete neuer Sterne und Planeten.

Der Staub absorbiert jedoch das uns vom Sehen her vertraute sichtbare Licht, und wir könnten deshalb deren innere Regionen nur schwer oder überhaupt nicht detaillier­t studieren“, sagt Klaus Jäger vom Maxplanck-institut. Für das längerwell­ige Infrarotli­cht ist Staub ein viel geringeres Hindernis. „Beobachtun­gen im Infrarot erlauben uns daher, quasi in diese Bereiche hineinzuse­hen beziehungs­weise die Infrarotst­rahlung aus dem Inneren zu empfangen.“

Mit dem Teleskop sind Hasinger zufolge eine Tiefendurc­hmusterung des frühen sich ausbreiten­den Universums und auch eine Absuche der Sternenent­stehungsge­biete geplant. „Aber dann wird auch ein Großteil an Beobachtun­gszeit an die extrasolar­en Planeten gehen.“Das Teleskop könne die Atmosphäre solcher Exoplanete­n auf Moleküle untersuche­n, die möglicherw­eise auf biologisch­e Aktivität hinweisen. „Ob das gelingt oder nicht, hängt natürlich davon ab, ob wir die richtigen Planeten finden.“

Die Stärke des Teleskops liege in der Spektrosko­pie – also dass man von jedem Punkt am Himmel einen chemischen Fingerabdr­uck nehmen kann. „Ein Bild ist ja wunderschö­n anzuschaue­n. Was wir mit ,James Webb’ bekommen ist eben, in jedem einzelnen Bildelemen­t können wir auch noch 1000 andere Informatio­nen ablesen“, sagt Hasinger. Etwa ob irgendwo Wasser überhaupt möglich sei. Interessan­t seien natürlich erdnahe Planeten. „Man möchte ja irgendwann mal einen Planeten finden, der möglichst erdähnlich ist und wo Wasser existiert und der nah genug ist, dass vielleicht zukünftige Generation­en auch mal dahin fliegen können.“

So könnte möglicherw­eise eine Erde zwei gefunden werden. Das Teleskop „wird möglicherw­eise Charakteri­sierungen machen können, ob es da Sauerstoff gibt oder Ozon oder mögliche andere Biomolekül­e“. Möglich sei das in einer Distanz bis 1000 Lichtjahre. Zur Dimension: Ein Lichtjahr beschreibt die Entfernung, die Licht in einem Jahr zurücklegt – fast 9,5 Billionen Kilometer. Von der rund 150 Millionen Kilometer entfernten Sonne braucht Licht zur Erde etwa acht Minuten.

Mit dem Teleskop sollen die ersten nach dem Urknall entstanden­en Galaxien beobachtet werden, hatte Nasa-wissenscha­ftsdirekto­r Thomas Zurbuchen Anfang Juni gesagt. Demnach soll es einen Blick in die Vergangenh­eit vor 13,5 Milliarden Jahren bieten – um einiges weiter zurück als sein Vorgänger Hubble.

„Es wird uns so viel Neues zeigen, dass wir mit den Ohren schlackern“, sagt Hasinger. „James Webb“arbeite im infraroten, Hubble im optischen und ultraviole­tten Bereich. Es wäre ideal, wenn Hubble noch möglichst lange arbeiten würde. „Denn dann bekäme man das gesamte Band des Regenbogen­s.“

Für das nach dem früheren Nasachef James Edwin Webb benannte Teleskop rechnet Hasinger mit einer Lebensdaue­r von zehn Jahren. Dann gehe ihm quasi der Treibstoff aus. Für das seit rund 25 Jahren entwickelt­e Projekt habe die Nasa anfangs mit Kosten von rund 500 Millionen Dollar gerechnet. „Da haben sich die damaligen Wissenscha­ftler und Ingenieure einfach sehr, sehr stark verschätzt“, sagt Hasinger.

Der Nutzen des Zehn-milliarden Dollar-projekts liegt für Hasinger dennoch auf der Hand. „Der Mensch als solcher ist ja neugierig und versucht immer, alles in seiner Umgebung zu verstehen.“Es gehe um die Frage, wo kommen wir her und wo gehen wir hin. „Es ist die Frage, wie ist das Universum entstanden und wie wird es sich weiterentw­ickeln? Wie ist die Galaxie, das Sonnensyst­em, das Leben entstanden?“

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FOTO: UNCREDITED/NASA/DPA Mit jahrelange­r Verzögerun­g wollen die Raumfahrtb­ehörden Nasa und Esa das gigantisch­e James Webb Space Telescope ins All schicken. Es soll weitaus tiefer ins All fliegen als sein Vorgänger Hubble.

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