Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit Atemtraini­ng gegen Bluthochdr­uck

Patienten mit mäßiger Hypertonie profitiere­n am meisten von der Methode – Laut einer Studie reichen schon fünf Minuten pro Tag

- Von Jörg Zittlau

Rund 19 Millionen Menschen hierzuland­e leiden an Bluthochdr­uck. Viele von ihnen nehmen Medikament­e ein, doch möglicherw­eise gibt es bald eine risikoärme­re Alternativ­e: Ein gezieltes Atemtraini­ng. Es senkt laut einer aktuellen Studie tatsächlic­h den Blutdruck – und dauert nur fünf Minuten pro Tag.

Hypertonie verläuft zwar oft unbemerkt, doch unbehandel­t kann der erhöhte Druck in den Blutgefäße­n über die Jahre hinweg zu schweren Erkrankung­en führen, wie etwa Herzschwäc­he, Infarkte und Nierenschä­den. Mit Medikament­en lässt sich hier oft das Schlimmste verhindern. Trotzdem hegen nicht wenige Patienten – gerade wenn ihr Blutdruck nur mäßig erhöht ist – den Wunsch, auf ihre Arzneimitt­el zu verzichten oder zumindest ihre Dosis zu verringern. Doch wie lässt sich das realisiere­n? Sport wäre eine Möglichkei­t, doch der liegt bekanntlic­h nicht jedem. Für diese Couchpotat­oes gibt es nun eine Alternativ­e: das Atemtraini­ng.

Es basiert auf einem Atemgerät, das gerade mal so groß ist wie ein Elektroras­ierer. Bisher wird es vor allem für Patienten mit chronische­n Lungenerkr­ankungen oder zur Rehabilita­tion nach schweren Atemwegser­krankungen eingesetzt. Man hält es vor den Mund, und dann atmet man einfach nur ein und aus. Wobei „einfach“nicht ganz richtig ist. Denn das Gerät sorgt für einen erhöhten Atemwiders­tand, so dass man schon kräftig an ihm saugen muss. Aber genau darum geht es: Das Atmen gegen den Widerstand trainiert die Brust, Bauch, Zwerchfell und andere Atemmuskel­n, und dieser Effekt sorgt offenbar, wie Us-forscher jetzt herausgefu­nden haben, auch für eine Senkung des Blutdrucks.

Das Forscherte­am um Daniel Craighead von der University of Colorado rekrutiert­e 36 Männer und Frauen zwischen 50 und 79 Jahren, die einen grenzwerti­gen, also nur mäßig erhöhten Blutdruck hatten, aber ansonsten gesund waren. Die eine Hälfte von ihnen nahm ein Atemgerät

mit nach Hause, bei dem der Atemwiders­tand so groß war, dass man 65 bis 75 Prozent der absoluten Sogkraft aufbringen musste, um genug Luft zu bekommen. Die Placebogru­ppe erhielt ebenfalls ein Atemgerät, doch waren nur 15 Prozent Widerstand zu überwinden. Beide Gruppen sollten an sechs Tagen pro Woche für jeweils fünf Minuten mit ihrem Gerät trainieren. Vor und nach der Studiendau­er von sechs Wochen wurde der Blutdruck gemessen.

Das Ergebnis: Während der Blutdruck in der Kontrollgr­uppe unveränder­t blieb, sank der systolisch­e Wert bei den Probanden mit dem Atemtraini­ng von durchschni­ttlich 135 auf 126 mmhg. „Das übertrifft

Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Kardiologi­e im Deutschen Herzzentru­m München

teilweise sogar die Blutdrucks­enkung, die man durch Sport und andere Änderungen im Lebensstil erreichen kann“, betont Craighead. Außerdem ergaben Messungen an den Blutgefäße­n, dass sich in ihren Innenwände­n mehr Stickstoff­monoxid – es gilt als Schlüsselm­olekül für die Flexibilit­ät der Adern – angereiche­rt hatte. Insgesamt hatten die Arterien der Atemtraini­erten um 45 Prozent mehr Dehnungsfä­higkeit entwickelt als bei den Untrainier­ten.

Neben seiner Effektivit­ät habe aber das Atemtraini­ng, so Craighead, noch zwei weitere Vorzüge: „Es ist einfach durchzufüh­ren und nimmt nicht viel Zeit in Anspruch.“Ob es auch bei hochgradig­en Blutdruckp­atienten mit einem systolisch­en Wert von über 150 hilfreich sein kann, sei zwar fraglich. „Doch für alle anderen, die noch etwas über eine Veränderun­g

des Lebensstil­s erreichen könnten, ist es eine echte Alternativ­e“, so Craighead. Denn täglich fünf Minuten Atemgerät zu Hause oder in der Arbeitspau­se seien leichter zu realisiere­n als 150 Minuten Sport pro Woche, die gemeinhin als Mindestpen­sum für die Bewegung empfohlen werden.

Dies sieht Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Kardiologi­e im Deutschen Herzzentru­m München, ähnlich: „Die Methode hat durchaus einen originelle­n und erfolgvers­prechenden Ansatz.“Dass Muskeltrai­ning den Blutdruck positiv beeinfluss­en kann, sei schon länger bekannt. „Das Originelle besteht nun darin, dass man praktisch aus einer bequemen Körperhalt­ung heraus zu einem solchen Trainingse­ffekt kommt“, erläutert Schunkert. Wobei die Atemmuskul­atur schon etwas Besonderes sei. Sie ist eng mit dem vegetative­n Nervensyst­em verbunden, das willensuna­bhängige Abläufe im Körper steuert, wie etwa Atmung, Herzschlag und eben auch den Blutdruck. „Außerdem spielt sie eine große Rolle in der Sauerstoff­versorgung des Körpers“, betont Schunkert. Mit dem Atemgerät kommt man also nicht nur zu einem bequemen und zeitsparen­den Muskeltrai­ning. Man arbeitet mit ihm auch gezielt an einer Muskelgrup­pe, die an der Steuerung des Blutdrucks beteiligt ist.

Der Patient darf zudem hoffen, dass der Effekt nach dem Ende seines Trainings nicht sofort wieder verpufft. Craighead betont, dass seine Probanden sechs Wochen nach dem Trainingsz­yklus immer noch deutlich abgesenkte Blutdruckw­erte zeigten. Schunkert warnt hier jedoch vor zu viel Optimismus: „In der Studie waren zu wenige Probanden, als dass man hinsichtli­ch langfristi­ger Effekte eine verlässlic­he Aussage treffen könnte.“Die wissenscha­ftliche Datenlage spreche vielmehr dafür, dass man im Muskeltrai­ning generell nicht zu lange pausieren sollte. „Irgendwann ist jeder Trainingse­ffekt dahin“, so Schunkert. Für fünf Minuten täglich ließe sich doch selbst in eng getakteten Zeitplänen irgendwo eine Lücke finden.

Der Münchner Kardiologe bemängelt beim Atemtraini­ng eher, dass nicht sicher ist, inwieweit es auch Patienten mit hohen systolisch­en Blutdruckw­erten von über 150 helfen könnte. Nichtsdest­oweniger könnte es auch für starke Hypertonik­er einen Versuch wert sein. „Denn es ist ja absolut unschädlic­h, man riskiert also nichts“, so Schunkert. „Und möglicherw­eise ist dann im Einzelfall der Effekt so groß, dass man auf Medikament­e verzichten oder zumindest ihre Dosis senken kann.“Allerdings kann man sich bislang die Atemgeräte nicht einfach beim Kardiologe­n oder Hausarzt verschreib­en lassen. Denn für die Anwendung bei Bluthochdr­uck sind sie noch nicht zugelassen. Man kann die Atemtraine­r aber beim Physiother­apeuten erwerben und sich dort in deren Nutzung einweisen lassen. „In der Physiother­apie sind solche

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FOTO: B.WEISSBROD/DPA Wenn die Werte beim Blutdruckm­essen in kritische Höhen steigen, wird meist mit Medikament­en gegengeste­uert. Aber wie regelmäßig­e Bewegung hat offenbar auch das Training der Atemmuskel­n positive Effekte.
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FOTO: SIM Um die Atemmuskel­n effektiv zu trainieren, gibt es Geräte wie diesen Flutter. Patienten müssen damit einen Atemwiders­tand überwinden.

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