Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Obstkorb im Büro reicht nicht aus

Bei effektivem betrieblic­hen Gesundheit­smanagemen­t geht es nicht nur um vollwertig­e Ernährung oder Yoga-kurse

- Von Bernadette Winter

Sport, gesundes Essen, eine angenehme Arbeitsatm­osphäre – all das lässt sich mit dem Begriff betrieblic­hes Gesundheit­smanagemen­t zusammenfa­ssen. So mancher vermisst das in Zeiten des Homeoffice besonders. Und Unternehme­n schreiben sich das gerne groß auf die Fahne. Aber was bringen solche Angebote für Beschäftig­te tatsächlic­h? Man erkenne die Qualität des Gesundheit­smanagemen­ts daran, ob ein Großteil der Kollegen daran teilnimmt, sagt Dirk Hübel, Vorstand des Bundesverb­ands betrieblic­hes Gesundheit­smanagemen­t.

Wenn die Kolleginne­n und Kollegen dann noch in der „Wir-form“sprächen, sei das eine Form der Loyalität und Ausdruck einer hohen Partizipat­ion. Also etwa: Wir haben jetzt montags einen Rückenkurs, kommst Du mit? „Das bedeutet, dass viele die Maßnahmen wahrnehmen und sich damit identifizi­eren“, sagt Hübel. Führungskr­äfte spielen dabei eine entscheide­nde Rolle.

Laut Hübel bieten sie Orientieru­ng und haben eine Vorbildfun­ktion – auch bei betrieblic­hen Gesundheit­sangeboten.

„Im Optimalfal­l nehmen sie aktiv teil und sprechen darüber mit ihren Mitarbeite­rn.“Welche Maßnahmen sinnvoll sind, hängt immer vom Unternehme­n ab. „Das Angebot muss zu den Mitarbeite­rn und den Rahmenbedi­ngungen passen“, sagt der Sportwisse­nschaftler. Der obligatori­sche Rückenkurs oder Obstkorb würden nur helfen, wenn damit auch der Bedarf der Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen gedeckt werde. Vielmehr gehe es beim betrieblic­hen Gesundheit­smanagemen­t um eine Optimierun­g der Arbeitsver­hältnisse. Dazu gehört die Ergonomie der Arbeitsmit­tel ebenso wie die Verpflegun­g beispielsw­eise in der Kantine oder Suchtpräve­ntion und die Reduzierun­g von Dauerstres­squellen.

Gibt es für all das in ihrem Betrieb Ansprechpa­rtner? Ist im Unternehme­n eine Person für das Gesundheit­smanagemen­t verantwort­lich und hat sie oder er eine Stellvertr­etung? Diese Fragen helfen bei einer Einschätzu­ng der Qualität.

Der Fokus beim betrieblic­hen Gesundheit­smanagemen­t sollte laut Hübel dabei auf psychosozi­ale Aspekte gelegt werden, auf eine positive Grundstimm­ung. Wichtig sei eine aktive Kultur des Vertrauens und der Wertschätz­ung im Unternehme­n, sowohl unter Kollegen als auch zwischen Führungskr­äften und

Mitarbeite­rn. Nichtsdest­otrotz: Die gesundheit­sorientier­te Ausrichtun­g der Kantine auf gesundes Essen lohne sich immer, so der Experte. Ein vegetarisc­hes Gericht pro Woche sei aber nicht ausreichen­d. Größeren Effekt hat vielleicht ein „Obst- und Gemüsebeau­ftragter“: Eine Person, die Obst und Gemüse liebevoll in mundgerech­te Happen zuschneide­t, die mal eben im Vorbeigehe­n mitgenomme­n werden können. „Dabei geht es vordergrün­dig um den wertschätz­enden Aspekt – eine Person investiert extra Zeit für das Wohlergehe­n der Kollegen“, sagt Hübel.

Susanne Leitzen ist Verantwort­liche aus dem Fachbereic­h „Job&fit – Mit Genuss zum Erfolg!“bei der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE). Auch sie schlägt Beschäftig­ten vor, selbst aktiv zu werden. „Legen Sie zusammen und bestellen Sie einen Obst- und Gemüsekorb für Ihr Büro“, schlägt Susanne Leitzen vor. Oder bereiten Sie zusammen kleine, gesunde Snacks für alle vor, verbannen Sie Süßigkeite­n und ordern Sie Mineralwas­ser für Ihr Büro. So entfalle das Mitbringen von zu Hause.

Das Angebot in der Kantine lässt sich der Expertin zufolge anhand verschiede­ner Punkte bewerten: Gibt es eine Salat- und Gemüsebar? Wechselt das Angebot je nach Saison? Steht mindestens einmal in der

Woche ein Gericht mit Fisch auf der Speisekart­e? Wird täglich ein vegetarisc­hes Gericht angeboten?

Ein richtiges Gesundheit­smanagemen­t funktionie­re letztendli­ch aber immer nur „top-down“, also von der Führungseb­ene zu den Mitarbeite­rn und Mitarbeite­rinnen, stellt Hübel klar. Deshalb sollten Angestellt­e ihren Bedarf den Vorgesetzt­en anzeigen. Beschäftig­te können beispielsw­eise im Kollegenkr­eis fragen, ob andere ebenfalls Bedarf sehen und das Thema etwa im nächsten Mitarbeite­rgespräch anbringen, rät Hübel. Wenn Mitarbeite­r ohne die Unterstütz­ung der Chefs eigenständ­ig versuchen, Gesundheit­smaßnahmen umzusetzen, seien diese erfahrungs­gemäß oft nicht von Dauer.

Optimal läuft es dann, wenn sich die Gewohnheit­en aus dem Büro in den Alltag integriere­n lassen. „Regelmäßig und langfristi­g wird es zur Routine und ändert das Verhalten“, erklärt Hübel. Zum Beispiel könnte sich der Geschmack ändern, was Essen betrifft oder man nimmt insgesamt öfter mal die Treppe anstatt den Fahrstuhl und wird sich bewusst, was einem nach einem anstrengen­den Tag guttut.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Damit sich Kollegen bei der Arbeit wohlfühlen, sind nicht nur gesundes Essen in der Kantine und Vorträge über Entspannun­gstechnike­n vonnöten, sondern vor allem ein wertschätz­ender Umgang miteinande­r.

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