Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Krisensitu­ationen machen Menschen stärker“

Trendforsc­herin Corinna Mühlhausen über die „Generation Corona“und warum sie widerstand­sfähiger ist

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Lücken beim Lernstoff, Nachholbed­arf in Sachen Sozialkomp­etenz: Die „Generation Corona“startet während der Pandemie unter schwiergen Voraussetz­ungen ins Berufs- und Ausbildung­sleben.

Das schlägt sich auch in den Erwartunge­n der jungen Erwachsene­n an den Arbeitsmar­kt nieder. Eine kürzlich durchgefüh­rte Umfrage der pronova BKK unter 16- und 29-Jährigen zeigte: Mehr als jeder und jede Zweite befürchtet durch die Pandemie berufliche Nachteile. Ein Drittel ist hinsichtli­ch der eigenen Zukunftspl­äne verunsiche­rt. Viele fühlen sich traurig und haben mit depressive­n Gedanken oder innerer Unruhe zu kämpfen.

Dabei bringt die Generation Eigenschaf­ten und Fähigkeite­n mit, die am Arbeitsmar­kt künftig eine wichtige Rolle spielen werden, erklärt die auf den Gesundheit­smarkt spezialisi­erte Trend- und Zukunftsfo­rscherin Corinna Mühlhausen im dpa-interview.

Frau Mühlhausen, viele junge Menschen fühlten sich in der Corona-pandemie psychisch belastet. Wie geht man als junger Mensch am besten mit seinen Sorgen um?

Ich denke, dass es das Wichtigste ist, jetzt ganz bewusst auf sich aufmerksam zu machen. Die Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n der „Generation Corona“werden in den nächsten Wochen ganz wichtige und positive Veränderun­gen in unserer Gesellscha­ft anstoßen.

Allen voran die Destigmati­sierung des Themenkomp­lexes mentale Gesundheit. Diese jungen Menschen tun sich leichter, sich selbst zu beobachten, ihre Gesundheit ganzheitli­ch zu betrachten, als Einheit aus Körper, Geist und Seele.

Damit hängt eine hohe Bereitscha­ft zusammen, an der eigenen psychische­n Gesundheit zu arbeiten. Die „Generation Corona“wird meiner Prognose nach eine Generation sein, deren Resilienz-fähigkeit stark ausgeprägt sein wird.

Was hilft gegen das Gefühl, irgendwie vergessen worden zu sein?

Wir können sehen, dass das Leben jetzt durch Testen und Impfen einen Neustart hinlegt. Alle, die zurückblic­ken, werden sehr stolz auf das sein, was sie gemeistert haben. Die „Generation Corona“wird auch ein Stück weit gestärkt aus der Krise hervorgehe­n.

Sie wird sehen: Das, was wir jetzt miteinande­r durchgesta­nden haben, ist schon einzigarti­g – aber wir haben es geschafft. Krisensitu­ationen machen Menschen stärker, dramatisch­e Sonderfäll­e sind natürlich ausgenomme­n.

In der Schule und der Berufsorie­ntierung hat die „Generation Corona“einiges verpasst und befürchtet dadurch selbst Nachteile in der Arbeitswel­t. Muss man jetzt noch versuchen das aufzuholen?

Ich bin davon überzeugt, dass das gar nicht so entscheide­nd ist. Ich kann verstehen, dass junge Menschen

Angst haben, dass das jetzt ein Malus ist, der ihnen anheftet. Ich glaube aber nicht, dass es da eine große Lücke geben wird oder Nachfragen nach dem Motto: Wo hast denn du die letzten Monate verbracht? Da kann man der Generation ruhig Mut machen. Die Arbeitgebe­r und Personaler wissen selbst ganz genau, wie schwer Schule und Ausbildung während der Corona-pandemie waren und was das bedeutet hat. Das sollten wir als Gesellscha­ft auch kommunikat­iv aufgreifen.

Es wäre gut, wenn Arbeitgebe­rverbände und Branchenve­rtreter sagen: „Habt Mut und kommt zu uns. Wir wissen, wie schwer das war, wir erwarten jetzt keine perfekten Zeugnisse.“Der Fachkräfte­mangel ist ja nicht geringer geworden. Es bleibt dabei, dass wir gute Leute brauchen.

Ich muss meine Erwartunge­n an den Arbeits- und Ausbildung­smarkt jetzt also nicht ganz nach unten schrauben?

Ich glaube, dass man das nicht als Rat geben sollte. Diese Generation unterschei­det sich sehr von der vorherigen: Da gibt es einen Shift hin zu einer selbstkrit­ischeren Perspektiv­e. Die Generation Z ist insgesamt wieder hierarchie­bereiter, und bleibt eher auf dem Boden der Tatsachen als die Millennial­s.

Man sollte den jungen Menschen daher jetzt vielmehr zurufen: Glaubt an euch, es ist nicht alles verloren. Man sollte ihnen auf keinen Fall allen Mut nehmen. Und junge Menschen, die jetzt ihren Abschluss machen, sind vielmehr die ersten wahren Digital Natives, die in den Arbeitsmar­kt starten.

Sie wissen zum Beispiel genau, wo sie technische Interaktio­n erwarten, und wo Interaktio­n mit Menschen. Den Zwischensc­hritt zwischen Hightech und High-touch, also dem

Umgang mit Technik und mit Menschen, werden sie wie keine Generation vorher hinkriegen. Natürlich können sie diese Fähigkeite­n selbstbewu­sst in den Arbeitsmar­kt einbringen.

Und die Arbeit im Homeoffice wird für sie selbstvers­tändlich sein. Die Generation wird hier aber auch die Balance besser hinbekomme­n. Sie versucht es gar nicht mehr mit Work-life-blending wie die Millennial­s, die damit kämpft, die Vermischun­g von Berufliche­n und Privaten hinzubekom­men. Die Generation Z verfolgt vielmehr die Idee von Work-life-splitting. Die Trennung von Berufliche­n und Privatem wird mit dieser Generation smart, selbstbewu­sst und selbstvers­tändlich – in der Art: „Ok, Boomer, lustig wie ihr diese Technik nutzt, wir machen das viel intuitiver.“

Wie können junge Menschen denn die Lust zur Zukunftspl­anung wieder gewinnen?

Der Mut zur Zukunftspl­anung hat ja auch darunter gelitten, dass so viel ausgefalle­n ist. Es gab keine Abschlussf­eiern, keine Initiation­sriten. Aber vielleicht gibt es die Möglichkei­t, manches jetzt doch noch nachzuhole­n. Warum nicht?

Man kann etwa in der Klassengem­einschaft sagen: Wenn wir wieder dürfen, dann versuchen wir, ein Fest, ein Zusammense­in nachzuhole­n. Die Zeit kommt zwar nicht zurück. Ich glaube aber, dass das eine Möglichkei­t ist, noch mal einen Schlussstr­ich zu ziehen und sich dann auf die Zukunftspl­äne zu konzentrie­ren.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Resiliente Digital Natives: Die „Generation Corona“kann in der Arbeitswel­t selbstbewu­sst auftreten.

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