Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Orgelbauer stellt sich stets neuen Herausforderungen
In seiner Werkstatt hat Harald Rapp 41 Instrumente gebaut – Heute entstehen hier auch Fahrradgaragen
- Das Handwerk des Orgelbaus ist 2017 von der Unesco als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt worden. „Ganz aussterben wird der also nicht“, ist sich auch Harald Rapp sicher. Trotzdem wird der Ennetacher Orgelbaumeister seine Werkstatt wohl keinem Nachfolger übergeben. „Mit dem Stellenwert der Kirchen in der Gesellschaft gehen auch die Aufträge für neue Orgeln zurück“, sagt er. „Nur von Reparaturen und Wartungsaufträgen allein kann niemand leben.“Wenn Rapp seine Werkstatt einmal endgültig abschließt, endet eine Handwerkstradition, die in seiner Familie drei Generationen zurückreicht.
Eigentlich hatte schon sein Vater Franz Rapp, der wie der Großvater Eudard Rapp als Orgelbauer bei der Firma Späth in Ennetach gearbeitet hat, seinem Sohn vom Erlernen des Handwerks abgeraten. „Die Hochphase des Orgelbaus war Ende der 1960er-jahre vorbei und mein Vater sah keine besonders rosigen Zeiten auf die Branche zukommen“, erzählt Harald Rapp. Nach einer Ausbildung zum Werkzeugmacher bei den Füstlich Hohenzollerischen Hüttenwerken Laucherthal und knapp zwei Jahre bei Telefunken in Berlin habe er aber gemerkt, dass dies nicht seine Welt sei. „Die Welt der Orgelbauer hingegen kannte ich ja von klein auf, die hat mich mit ihren vielen Facetten und Herausforderungen sehr gereizt“, sagt er.
Anstatt aber nach der Gesellenprüfung in den Betrieb bei Späth in Enntach einzusteigen, der mittlerweile von seinem Vater als Geschäftsführer geleitet wurde, zog es Harald Rapp 1976 gemeinsam mit seiner Frau nach Amerika. „Nur mit zwei Koffern und ich vollkommen ohne Englischkenntnisse“, erinnert er sich. In Orgelbaukreisen sei die deutsche Handwerkskunst hoch angesehen, sodass er in Louisville Kentucky schnell Fuß fassen konnte. Die drei Jahre in den USA sind für Rapp in mehrfacher Hinsicht prägend gewesen. „Ich habe nicht nur tolle Menschen kennen gelernt, zu denen ich noch heute Kontakt habe, sondern auch fortschrittliche und zukunftsweisende Fertigungsmethoden und Führungsstile.“
Die hätte er gern mehr bei Orgelbau Späth eingebracht, wo er nach seiner Rückkehr dann doch zu arbeiten anfing. Nach Besuch der Meisterschule folgt er auf seinen Vater als Betriebsleiter und Geschäftsführer. „Die anderen sieben Gesellschafter wollten meine Ideen und Pläne nicht mittragen, es gab sehr viel Widerstand“, sagt er. Dass sich sein Sohn Harald 1985 schließlich auszahlen ließ und gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine eigene Orgelbauwerkstatt eröffnete, erlebte Franz Rapp nicht mehr.
Heute wäre der Senior wahrscheinlich
„Ich wollte meine eigenen Ideen und Arbeitsmethoden umsetzen“,
ziemlich stolz auf seinen Sohn und die 41 Orgeln, die seine Werkstatt seither verlassen haben. Die Orgel in der Mengener Liebfrauenkirche wurde in Ennetach ebenso gefertigt wie Exemplare, die in Kirchen und Kapellen in Einhart, Bingen, Markdorf oder im Klosterwald stehen. Aber auch Kirchengemeinden aus Haltern oder Trier haben ihre Aufträge an Rapp vergeben. Heute befindet sich die Orgel aus der Alten Kirche in Rulfingen in einer Kirche in Lissabon und im ungarischen Fürstenschloss Esterhazy ist eine Rapp’sche Truhenorgel in Gebrauch.
Jedes Instrument ist einzigartig. „Von der ersten Konstruktionszeichnung bis zum Einbau vor Ort hat der Orgelbauer alles in seiner erklärt Harald Rapp seinen Schritt in die Selbstständigkeit.s
Hand“, sagt Rapp. Im Austausch mit dem Kirchengemeinderat, Architekten und den Orgelsachverständigen sei Kompromissbereitschaft genauso wie Durchsetzungsvermögen gefragt. Und wenn es um die Produktion und den Zusammenbau von bis zu 70 000 Einzelteilen gehe, müsse man präzise arbeiten und den Überblick behalten können. „Ich habe die Herausforderungen immer gern angenommen“, sagt er. Auch das Anpassen der verschiedenen Orgelpfeifen und ihr Stimmen sei ihm immer gut von der Hand gegangen. „Wenn die Orgel dann bei einem Einweihungsgottesdienst zum ersten Mal gespielt wurde, war das immer ein ganz besonderer, emotionaler Moment für mich.“
Eins sei aber auch bei guter Auftragslage immer klar gewesen: „Reich wird man in diesem Beruf nicht“, stellt Harald Rapp klar. „Orgelbauer ist man aus Faszination und Leidenschaft.“Ohne seine Frau, die stets zu 100 Prozent hinter der Selbstständigkeit gestanden hätte, sei der eigene Betrieb kaum möglich gewesen. „Es gab immer wieder Durststrecken und Wochen voller Überstunden“, sagt er. „Nicht selten führten uns Familienausflüge in Kirchen, weil ich noch etwas anschauen oder vermessen wollte.“
Bis 2004 sei es gut gelungen, die Familie mit dem Betrieb zu ernähren. Dann aber nicht mehr. „Nach mehr als 20 Jahren Selbstständigkeit habe ich mir mit 55 Jahren wieder eine Arbeit als Angestellter gesucht“, sagt er. Denn auch der Versuch, sich gemeinsam mit Helmut Maier, einem Professor für Informatik und Medientechnik an der Hochschule Reutlingne ein zweites Standbein mit der Marke „R&M The Virtual Pipe Organ“aufzubauen, misslang. „Mit der Idee, die Töne von bekannten Meisterorgeln zu digitalisieren und für zu diesem Zweck gebaute Orgeltische an Musikhochschulen oder Berufsmusiker zu verkaufen, waren wir wohl unserer Zeit voraus“, sagt Rapp heute. Was einen Arbeitsplatz angeht, ist er bei Mundal in Munderkingen fündig geworden, einer Firma für Fenster- und Fassadentechnik. Dort seien ihm auch sein Wissen aus der Metallbranche und seine Englischkenntnisse zugute gekommen. Rapp leitete verschiedene Projekte im In- und Ausland und war für die Einführung der Qualitätssicherung verantwortlich. Erst vor eineinhalb Jahren ist er mit 68 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden.
„Kleine Aufträge, Reparaturen und Wartungsarbeiten habe ich aber immer weiter übernommen und mache das auch heute noch mit meiner Frau zusammen“, sagt Rapp. Zuletzt habe er eine Orgel auf der Schwäbischen
Alb komplett auseinandergebaut, gereinigt und wieder zusammengefügt. „Das hat drei Wochen gedauert und viel Spaß gemacht.“
Spaß macht ihm übrigens auch sein neustes Projekt: In der Orgelbauwerkstatt stellt Rapp jetzt regelmäßig hochwertige Fahrradgaragen her, die er und seine Frau selbst in ganz Deutschland ausliefern. Seine drei Töchter, da ist sich Rapp sicher, hätten sicher das musikalische Rüstzeug für eine Ausbildung als Orgelbauer mitgebracht. „Sie sind aber in ihren eigenen Berufen so erfolgreich, dass sich eine solche Frage gar nicht stellt.“Als verantwortungsvoller Vater hätte er natürlich sowieso abgeraten.
Informationen zum Orgelbaubetrieb gibt es unter www.orgelbaurapp.de und zu den Fahrradgaragen unter www.velo-sto.de.