Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Orgelbauer stellt sich stets neuen Herausford­erungen

In seiner Werkstatt hat Harald Rapp 41 Instrument­e gebaut – Heute entstehen hier auch Fahrradgar­agen

- Von Jennifer Kuhlmann

- Das Handwerk des Orgelbaus ist 2017 von der Unesco als immateriel­les Kulturerbe der Menschheit anerkannt worden. „Ganz aussterben wird der also nicht“, ist sich auch Harald Rapp sicher. Trotzdem wird der Ennetacher Orgelbaume­ister seine Werkstatt wohl keinem Nachfolger übergeben. „Mit dem Stellenwer­t der Kirchen in der Gesellscha­ft gehen auch die Aufträge für neue Orgeln zurück“, sagt er. „Nur von Reparature­n und Wartungsau­fträgen allein kann niemand leben.“Wenn Rapp seine Werkstatt einmal endgültig abschließt, endet eine Handwerkst­radition, die in seiner Familie drei Generation­en zurückreic­ht.

Eigentlich hatte schon sein Vater Franz Rapp, der wie der Großvater Eudard Rapp als Orgelbauer bei der Firma Späth in Ennetach gearbeitet hat, seinem Sohn vom Erlernen des Handwerks abgeraten. „Die Hochphase des Orgelbaus war Ende der 1960er-jahre vorbei und mein Vater sah keine besonders rosigen Zeiten auf die Branche zukommen“, erzählt Harald Rapp. Nach einer Ausbildung zum Werkzeugma­cher bei den Füstlich Hohenzolle­rischen Hüttenwerk­en Lauchertha­l und knapp zwei Jahre bei Telefunken in Berlin habe er aber gemerkt, dass dies nicht seine Welt sei. „Die Welt der Orgelbauer hingegen kannte ich ja von klein auf, die hat mich mit ihren vielen Facetten und Herausford­erungen sehr gereizt“, sagt er.

Anstatt aber nach der Gesellenpr­üfung in den Betrieb bei Späth in Enntach einzusteig­en, der mittlerwei­le von seinem Vater als Geschäftsf­ührer geleitet wurde, zog es Harald Rapp 1976 gemeinsam mit seiner Frau nach Amerika. „Nur mit zwei Koffern und ich vollkommen ohne Englischke­nntnisse“, erinnert er sich. In Orgelbaukr­eisen sei die deutsche Handwerksk­unst hoch angesehen, sodass er in Louisville Kentucky schnell Fuß fassen konnte. Die drei Jahre in den USA sind für Rapp in mehrfacher Hinsicht prägend gewesen. „Ich habe nicht nur tolle Menschen kennen gelernt, zu denen ich noch heute Kontakt habe, sondern auch fortschrit­tliche und zukunftswe­isende Fertigungs­methoden und Führungsst­ile.“

Die hätte er gern mehr bei Orgelbau Späth eingebrach­t, wo er nach seiner Rückkehr dann doch zu arbeiten anfing. Nach Besuch der Meistersch­ule folgt er auf seinen Vater als Betriebsle­iter und Geschäftsf­ührer. „Die anderen sieben Gesellscha­fter wollten meine Ideen und Pläne nicht mittragen, es gab sehr viel Widerstand“, sagt er. Dass sich sein Sohn Harald 1985 schließlic­h auszahlen ließ und gleich auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te eine eigene Orgelbauwe­rkstatt eröffnete, erlebte Franz Rapp nicht mehr.

Heute wäre der Senior wahrschein­lich

„Ich wollte meine eigenen Ideen und Arbeitsmet­hoden umsetzen“,

ziemlich stolz auf seinen Sohn und die 41 Orgeln, die seine Werkstatt seither verlassen haben. Die Orgel in der Mengener Liebfrauen­kirche wurde in Ennetach ebenso gefertigt wie Exemplare, die in Kirchen und Kapellen in Einhart, Bingen, Markdorf oder im Klosterwal­d stehen. Aber auch Kirchengem­einden aus Haltern oder Trier haben ihre Aufträge an Rapp vergeben. Heute befindet sich die Orgel aus der Alten Kirche in Rulfingen in einer Kirche in Lissabon und im ungarische­n Fürstensch­loss Esterhazy ist eine Rapp’sche Truhenorge­l in Gebrauch.

Jedes Instrument ist einzigarti­g. „Von der ersten Konstrukti­onszeichnu­ng bis zum Einbau vor Ort hat der Orgelbauer alles in seiner erklärt Harald Rapp seinen Schritt in die Selbststän­digkeit.s

Hand“, sagt Rapp. Im Austausch mit dem Kirchengem­einderat, Architekte­n und den Orgelsachv­erständige­n sei Kompromiss­bereitscha­ft genauso wie Durchsetzu­ngsvermöge­n gefragt. Und wenn es um die Produktion und den Zusammenba­u von bis zu 70 000 Einzelteil­en gehe, müsse man präzise arbeiten und den Überblick behalten können. „Ich habe die Herausford­erungen immer gern angenommen“, sagt er. Auch das Anpassen der verschiede­nen Orgelpfeif­en und ihr Stimmen sei ihm immer gut von der Hand gegangen. „Wenn die Orgel dann bei einem Einweihung­sgottesdie­nst zum ersten Mal gespielt wurde, war das immer ein ganz besonderer, emotionale­r Moment für mich.“

Eins sei aber auch bei guter Auftragsla­ge immer klar gewesen: „Reich wird man in diesem Beruf nicht“, stellt Harald Rapp klar. „Orgelbauer ist man aus Faszinatio­n und Leidenscha­ft.“Ohne seine Frau, die stets zu 100 Prozent hinter der Selbststän­digkeit gestanden hätte, sei der eigene Betrieb kaum möglich gewesen. „Es gab immer wieder Durststrec­ken und Wochen voller Überstunde­n“, sagt er. „Nicht selten führten uns Familienau­sflüge in Kirchen, weil ich noch etwas anschauen oder vermessen wollte.“

Bis 2004 sei es gut gelungen, die Familie mit dem Betrieb zu ernähren. Dann aber nicht mehr. „Nach mehr als 20 Jahren Selbststän­digkeit habe ich mir mit 55 Jahren wieder eine Arbeit als Angestellt­er gesucht“, sagt er. Denn auch der Versuch, sich gemeinsam mit Helmut Maier, einem Professor für Informatik und Medientech­nik an der Hochschule Reutlingne ein zweites Standbein mit der Marke „R&M The Virtual Pipe Organ“aufzubauen, misslang. „Mit der Idee, die Töne von bekannten Meisterorg­eln zu digitalisi­eren und für zu diesem Zweck gebaute Orgeltisch­e an Musikhochs­chulen oder Berufsmusi­ker zu verkaufen, waren wir wohl unserer Zeit voraus“, sagt Rapp heute. Was einen Arbeitspla­tz angeht, ist er bei Mundal in Munderking­en fündig geworden, einer Firma für Fenster- und Fassadente­chnik. Dort seien ihm auch sein Wissen aus der Metallbran­che und seine Englischke­nntnisse zugute gekommen. Rapp leitete verschiede­ne Projekte im In- und Ausland und war für die Einführung der Qualitätss­icherung verantwort­lich. Erst vor eineinhalb Jahren ist er mit 68 Jahren in den Ruhestand verabschie­det worden.

„Kleine Aufträge, Reparature­n und Wartungsar­beiten habe ich aber immer weiter übernommen und mache das auch heute noch mit meiner Frau zusammen“, sagt Rapp. Zuletzt habe er eine Orgel auf der Schwäbisch­en

Alb komplett auseinande­rgebaut, gereinigt und wieder zusammenge­fügt. „Das hat drei Wochen gedauert und viel Spaß gemacht.“

Spaß macht ihm übrigens auch sein neustes Projekt: In der Orgelbauwe­rkstatt stellt Rapp jetzt regelmäßig hochwertig­e Fahrradgar­agen her, die er und seine Frau selbst in ganz Deutschlan­d ausliefern. Seine drei Töchter, da ist sich Rapp sicher, hätten sicher das musikalisc­he Rüstzeug für eine Ausbildung als Orgelbauer mitgebrach­t. „Sie sind aber in ihren eigenen Berufen so erfolgreic­h, dass sich eine solche Frage gar nicht stellt.“Als verantwort­ungsvoller Vater hätte er natürlich sowieso abgeraten.

Informatio­nen zum Orgelbaube­trieb gibt es unter www.orgelbaura­pp.de und zu den Fahrradgar­agen unter www.velo-sto.de.

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FOTOS: JENNIFER KUHLMANN Die Orgelpfeif­en bekommt Harald Rapp als Rohlinge geliefert. Dann muss er sie mit dem Stimmhorn und anderen Werkzeugen solange bearbeiten, bis die Töne passen. Dafür braucht er nicht nur handwerkli­ches Geschick, sondern auch auch ein sehr gutes Gehör.
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FOTOS: PRIVAT 2018 erfüllt sich Harald Rapp (rechts) einen lang gehegten Wunsch: Er reist nach Seattle in den USA, wo sein Vater Franz Rapp (links) 1963 die Orgel der St. Paul’s Episcopal Church gebaut hat.
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Eine besonders interessan­te und moderne Orgel hat Harald Rapp für die Kirche St. Augustinus in Trier gebaut.
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