Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Im Kampf gegen das Vergessen

Anthony Hopkins brilliert im Film „The Father“als demenzkran­ker Vater

- Von Stefan Rother

Es gibt ein böses Klischee in Hollywood: Der sicherste Weg, einen Oscar zu gewinnen, sei es, eine Figur mit schwerer Krankheit oder anderen Einschränk­ungen zu spielen. Vor diesem Hintergrun­d mag man erstmal skeptisch sein, ob „The Father“seinem Thema, der Demenzerkr­ankung der Hauptfigur, noch einen neuen Aspekt abgewinnen kann, auch wenn Anthony Hopkins die Hauptrolle spielt. Doch dann zeigt sich schnell: Der Film von Florian Zeller wählt einen einzigarti­gen Zugang zu dem Thema und dürfte viele Zuschauer zwar zunächst verwirren, vor allem aber tief berühren.

Denn, soviel darf man vorab verraten, die Verfilmung des gleichnami­gen Theaterstü­cks von Regisseur Zeller versucht zu vermitteln, wie ein Demenzerkr­ankter selber seine Umwelt wahrnimmt. Und das ist eine zunehmend verstörend­e Erfahrung. Dabei scheint zunächst noch alles in Ordnung zu sein. Der 80-jährige Anthony (Hopkins) genießt in seinem Londoner Appartemen­t klassische Musik. Als seine Tochter Anne (Olivia Colman, Queen Eliza beth II in „The Crown”) zu Besuch kommt, ist die Unterhaltu­ng zunächst ebenfalls einigermaß­en freundlich, wenn auch von ihrer Seite aus leicht besorgt. Schließlic­h hat ihr Vater gerade erst eine Pflegekraf­t vergrault und Anne fragt sich nun, wer sich um den Vater kümmern soll. Denn sie hat einen neuen

Mann kennengele­rnt und will mit ihm nach Paris ziehen.

Anthony reagiert ebenso verletzt wie verletzend, wirft Anne vor, dass sie ihn im Stich lasse und macht klar, dass er seine andere Tochter ohnehin mehr schätze. So weit, so vertraut ist dieser Familienko­nflikt, doch dann gibt es immer neue Verschiebu­ngen der Perspektiv­en. Plötzlich sitzt ein scheinbar fremder Mann (Mark Gatiss) in Anthonys Appartemen­t; als er zur Rede gestellt wird, behauptet er, Annes Mann zu sein und dass dies eigentlich seine Wohnung und Anthony nur zu Gast sei.

So geht es immer weiter, manche Szenen scheinen sich zu wiederhole­n, wobei es doch stets graduelle Verschiebu­ngen gibt. Die Einrichtun­g der Wohnung ändert sich in Details, Charaktere handeln anders oder entpuppen sich als jemand anders und Anthony versucht verzweifel­t, der jeweiligen Situation Herr zu werden. Es wird deutlich, dass er Zeit seines Lebens wohl ein energisch-selbstbewu­sster Patriarch war und so klammert er sich nun an gewisse Sprüche und Verhaltens­muster. Auch sein alter Charme blitzt gelegentli­ch auf, etwa als sich die neue Pflegerin Laura (Imogen Poots) vorstellt.

Was auf dem Papier zunächst vor allem surreal klingen mag, entwickelt als Film eine ganz eigene Sogwirkung. Dazu trägt in allererste­r Linie Anthony Hopkins bei, der für die darsteller­ische Leistung 29 Jahre nach „Das Schweigen der Lämmer“seinen zweiten Oscar erhielt – das adaptierte Drehbuch wurde bei der diesjährig­en Verleihung der Academy Awards ebenfalls ausgezeich­net. Dass die Rolle mit so einem etablierte­n und renommiert­en Schauspiel­er besetzt wurde, kommt dem Film dabei durchaus zugute. So so verbindet man mit der Figur eine natürliche Autorität und es ist umso verstörend­er zu erleben, wie dessen Welt ins Wanken gerät.

Doch auch wenn wir das Geschehen – überwiegen­d oder vielleicht sogar gänzlich – aus Anthonys Perspektiv­e erleben, gelingen den anderen Figuren ebenso viele Nuancen. So bemüht sich Colman als Tochter um klassisch-britische Gelassenhe­it, doch unter der Oberfläche wird je nach dem Verhalten des Vaters Verletzung oder Zuneigung spürbar. Mit ihrem Mann gerät sie aufgrund der Pflegesitu­ation aneinander und muss gleichzeit­ig immer wieder erfahren, dass sie mit der verehrten Schwester nicht mithalten kann.

Deren Schicksal gibt ebenfalls einige Rätsel auf wie überhaupt der Film über weite Strecken mit den Stilmittel­n eines Thrillers inszeniert ist. Dies erleichter­t etwas den Zugang, dennoch muss man bereit sein, sich auf „The Father“einzulasse­n. Dann wird man mit einer Vielzahl von Emotionen konfrontie­rt: Trauer, Mitleid, Sorge, dass es einem selber so ergeben könnte – und vielleicht auch etwas mehr Verständni­s für Menschen mit solch einem Schicksal.

The Father, Regie: Florian Zeller, GB 2020, 98 Minuten. Mit: Anthony Hopkins, Olivia Colman, Mark Gatiss.

 ?? FOTO: SEAN GLEASON/TOBIS FILM/DPA ?? Grandios: Anthony Hopkins in der Hauptrolle des dementen Vaters. Für seine darsteller­ische Leistung erhielt er seinen zweiten Oscar.
FOTO: SEAN GLEASON/TOBIS FILM/DPA Grandios: Anthony Hopkins in der Hauptrolle des dementen Vaters. Für seine darsteller­ische Leistung erhielt er seinen zweiten Oscar.

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